Die Allianz für den Fortschritt gehörte zu den wichtigsten außenpolitischen Initiativen der Regierung Kennedy. Sie versprach den Gesellschaften Lateinamerikas rasche wirtschaftliche Entwicklungssprünge, sozialen Fortschritt und die Ausweitung demokratischer Verfahren. Die Ursprünge der Allianz und die Gründe ihres Scheiterns stehen im Mittelpunkt dieser Studie zur amerikanischen Entwicklungspolitik in Lateinamerika.
Taffets Arbeit ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen ist ein Untersuchungsgegenstand ausgewählt worden, der seit den späten 1980er Jahren praktisch nicht mehr erforscht worden ist. Das lässt prinzipiell Raum für neue Fragen, auch für neue Erkenntnisse. Zweitens kann man die Untersuchung als einen Beitrag zu der in den letzten Jahren wieder aufgelebten Debatte über Modernisierung verstehen. Und drittens zeigt sich der Autor von allen jüngeren Methodendiskussionen um eine Neue Internationale Geschichte ziemlich unbeeindruckt. So ist eine gewöhnliche Diplomatiegeschichte entstanden, die sich fast ausschließlich auf Dokumente der Regierungen Kennedy und Johnson stützt, lateinamerikanische Ansichten bis auf einige Zeitungsartikel aus El Tiempo hingegen nicht einbezieht.
Der Verfasser interessiert sich besonders für die Frage, inwiefern die US-amerikanische Entwicklungshilfe der Durchsetzung politischer Interessen diente. Folglich konzentriert sich die Untersuchung auf bilaterale Verhandlungen über amerikanische Kredite, in denen US-Akteure - nicht immer mit Erfolg - versuchten, ihre günstige Verhandlungsposition als Geldgeber auszuspielen. Die ersten beiden Kapitel zur Vorgeschichte und Gründung der Allianz lassen zunächst die üblichen Personen auftreten: einen amerikanischen Präsidenten Eisenhower, der sich für "trade not aid" ausspricht; amerikanische Modernisierungstheoretiker, die auf mehr Entwicklungshilfe für Lateinamerika drängen; Fidel Castro und Che Guevara, deren kubanische Revolution die Dringlichkeit eines US-amerikanischen Politikwechsels schlagartig erhöht - das alles ist hinlänglich bekannt und gehört ebenso zum Standardnarrativ der Allianz wie die obligatorischen Bemerkungen zur organisatorischen Ineffizienz oder zum Widerstand des US-Kongresses.
Neu ist dagegen der Ansatz, die politische Wirksamkeit US-amerikanischer Entwicklungshilfen in einzelnen Länderstudien zu überprüfen. Vier Länder stehen im Fokus: Chile, Brasilien, die Dominikanische Republik und Kolumbien. In allen vier Ländern trafen US-amerikanische Politiker auf unterschiedliche Bedingungen und mussten Entwicklungsgelder dementsprechend strategisch unterschiedlich einsetzen. In Chile diente die US-Entwicklungshilfe besonders 1964 als Wahlkampfhilfe für den konservativen Präsidentschaftskandidaten Eduardo Frei (der gegen den Sozialisten Allende antrat) und wurde nach der Wahl wieder reduziert. In Brasilien dagegen verteilten die Regierungen Kennedy und Johnson Entwicklungshilfen gezielt an US-freundliche Gouverneure, um die Zentralregierung des sprunghaften Neutralisten Goulart zu destabilisieren. Nach dem Militärcoup 1964 versprach sich die Regierung Lyndon Johnsons von Hilfskrediten eine Stabilisierung der brasilianischen Militärregierung. In der Dominikanischen Republik flossen amerikanische Hilfszahlungen in zunehmendem Maße nach der amerikanischen Militärintervention von 1965, Entwicklungsprojekte hatten aber eher kosmetischen Charakter. Anders gelagert waren die Verhältnisse in Kolumbien. Hier gab es (noch) keine verdeckten oder offenen US-Interventionen, vielmehr hofften US-Regierungen, dass sich Kolumbien zum Musterbeispiel einer erfolgreichen Allianz entwickeln würde. Diese Hoffnung, so Taffet, schwand jedoch, als eine wirtschaftliche Krise die politische Stabilität Kolumbiens gefährdete, zu Verstimmungen zwischen Bogotá und Washington hinsichtlich der Lösungsstrategien führte und das kurzfristige amerikanische Interesse an politischer Stabilität die Umsetzung einer langfristigen wirtschaftlichen Entwicklungsstrategie verhinderte.
Die hier besprochene Geschichte der Allianz für den Fortschritt bringt mehrere Probleme mit sich. Kritisch zu sehen sind die Beschränkungen auf US-amerikanische Quellen sowie der Verzicht auf methodische Modulationen. Wichtige neue Funde des Autors wie propagandistische Comics der United States Information Agency (USIA) mit Titeln wie El Despertar oder Arriba Muchachos, USIA-Dokumentarfilme oder fotografische Inszenierungen werden zwar knapp beschrieben, aber nicht analysiert. So bleiben die Konturen des bisher kaum untersuchten Problemkomplexes von Inszenierungsversuchen, Visualisierungsstrategien und massenkulturellen Vervielfältigungsmechanismen der Allianz weiterhin blass. Analytisch ist die Chance verpasst worden, ein neues Untersuchungsfeld zu öffnen. Leider verzichtet die Studie ebenso darauf, die in den Fallstudien untersuchten bilateralen Beziehungen in den multilateralen Kontext der Allianz einzuordnen. Dass das Kernorgan der Allianz, der "Interamerikanische Ausschuss der Allianz für den Fortschritt" (nach dem lateinamerikanischen Namen gewöhnlich CIAP abgekürzt) überhaupt nicht berücksichtigt wird, ist eine zentrale Schwäche der Untersuchung. So bleibt unklar, ob und inwiefern politische Interessen tatsächlich über modernisierungsmissionarische wirtschaftliche Erwägungen triumphierten oder welche Rückwirkungen die jeweiligen bilateralen Auseinandersetzungen um Entwicklungshilfen auf das gesamte Beziehungsgefüge der Allianz hatten. Positiv anzumerken ist jedoch, dass viele Tabellen und Grafiken einen guten Eindruck von der Höhe und der Breite amerikanischer Entwicklungshilfen vermitteln.
Woran scheiterte die Allianz für den Fortschritt? Taffet lässt keinen Zweifel daran, dass ihre Ziele zu ehrgeizig waren, betont aber zugleich, dass es in erster Linie die engen tagespolitischen Interessen der verschiedenen US-Regierungen waren, die einer Umsetzung langfristiger Entwicklungsstrategien im Weg standen. Inwiefern die Alianza para el Progreso in Lateinamerika zumindest punktuelle ökonomische Veränderungen bewirkte oder in Mentalitäten, Verhaltensweisen und kulturelle Praktiken vordrang, bleibt angesichts der einseitigen Perspektive offen. Aber Leser, die sich für die US-amerikanische Seite interessieren, werden in dieser soliden Diplomatiegeschichte ohne größere Überraschungen einen nützlichen Überblick zur Allianz für den Fortschritt finden.
Jeffrey Taffet: Foreign aid as foreign policy. The Alliance for Progress in Latin America, London / New York: Routledge 2007, 328 S., ISBN 978-0-415-97771-5, USD 24,95
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