Der Mainzer Kommunikationshistoriker Jürgen Wilke verschafft in der von ihm herausgegebenen renommierten Reihe "Medien in Geschichte und Gegenwart" des Böhlau-Verlages seinen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zur Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse. Dies gilt auch für Band 23, der drei auf Magisterarbeiten basierende Studien enthält: Julia Martin, Der Berufsverband der Journalisten in der DDR (VDJ); Denis Fengler, Westdeutsche Korrespondenten in der DDR. Vom Abschluss des Grundlagenvertrages 1972 bis zur Wiedervereinigung 1990 und Marc Levasier, "Der schwarze Kanal". Entstehung und Entwicklung einer journalistischen Kontersendung des DDR-Fernsehens.
Der Verband der Journalisten der DDR, in dem ca. 90 Prozent von den mehr als 10.000 DDR-Journalisten organisiert waren, fand bisher in der Forschung nur eine marginale Beachtung. Das liegt an der unzureichenden Quellenlage und wohl auch daran - so das zutreffende Resümee von Julia Martin -, dass der VDJ im Medienlenkungssystem der DDR nur eine untergeordnete Rolle spielte. Er verstärkte lediglich das Kontrollpotential der SED-Agitationsbürokratie. Unter deren Fittichen betrieb der VDJ die Aus- und Weiterbildung der Journalisten. Ihm unterstand die Leipziger Fachschule für Journalistik. Die Vorgaben für das Studium der späteren journalistischen Leitungskader an der Sektion Journalistik der Karl-Marx-Universität Leipzig kamen dagegen direkt von der SED-ZK-Abteilung Agitation. Die VDJ-Weiterbildungskurse erfreuten sich unter den Teilnehmern sogar einer gewissen Beliebtheit, weil sie Gelegenheit zum gelegentlich durchaus systemkritischen persönlichen Austausch boten. Das ist natürlich "off the records" geblieben und geht allenfalls aus MfS-Akten und aus Berichten von Zeitzeugen hervor, welche die Autorin allerdings nicht konsultiert hat. Darüber hinaus war der VDJ in die ideologisch einseitig ausgerichtete journalistische Entwicklungshilfe eingebunden. Etwas unkritisch bescheinigt die Verfasserin dem Journalistenverband, er habe sich als Mitglied der kommunistischen Internationalen Organisation der Journalisten (IOJ) großes Ansehen "durch seine internationale Arbeit nicht nur im In-, sondern auch im Ausland" erworben (71). Dies mag für das Gros der Absolventen der Ostberliner "Schule der Solidarität" aus Ländern der Dritten Welt zutreffen. Doch dieser Teil der DDR-Auslandspropaganda bedarf noch der weiteren Ausleuchtung. Insgesamt kann Julia Martin bescheinigt werden, dass ihre Arbeit den bisher gründlichsten Überblick über die wechselvolle Geschichte, die Strukturen und die Aufgaben des VDJ innerhalb der von der SED beherrschten DDR-Medienlandschaft bietet.
Denis Fengler betritt mit seiner Untersuchung über die Berichterstattung von westdeutschen DDR-Korrespondenten kein Neuland. Die Stärke seiner Arbeit liegt in der Auswertung von sechs aussagekräftigen Leitfadeninterviews, die Fengler 2004 mit - nach deren eigenem Bekunden - linksliberalen Journalisten geführt hat. Es sind die Pressekorrespondenten Peter Nöldechen (Westdeutsche Allgemeine Zeitung), Karl Heinz Baum (Frankfurter Rundschau), Helmut Lölhöffel (Süddeutsche Zeitung), der seinerzeit für die Deutsche Presseagentur tätige Hartmut Jennerjahn, der ZDF-Journalist Joachim Jauer und der vom Deutschlandfunk auch als Reisekorrespondent eingesetzte Hans-Jürgen Fink. Die Interviews ergänzen anschaulich bisher bekannte Berichte über die Arbeitsbedingungen von Westkorrespondenten in der DDR. Einsilbig blieben die Befragten nur, wenn es um Vorwürfe über angebliche Schönfärberei der Verhältnisse in der DDR ging. Der Autor konstatiert, dass die Interviews hier "von einer starken Vorsicht und einem Unwillen geprägt" waren, auf dieses Thema einzugehen (210). Grundsätzlich sei jedoch von den Interviewpartnern die Möglichkeit zur "schönfärbenden" Berichterstattung nicht bestritten worden, ohne allerdings auf solche Fälle näher eingehen zu wollen.
Karl-Eduard von Schnitzlers polemisches Politmagazin "Der schwarze Kanal" wurde von 1960 bis 1989 vom DDR-Fernsehen 1.519 Mal ausgestrahlt. Schnitzler bestritt davon mehr als 1.300 Sendungen. Seine Manuskripte hat das Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) digitalisiert und ins Internet gestellt. Es handelt sich um mehr als 50.000 Seiten, von denen Marc Levasier aus nachvollziehbaren arbeitsökonomischen Gründen nur die alljährlich dem Mauerbau gewidmeten Sendungen von 1961 bis 1989 inhaltsanalytisch ausgewertet hat. Dieses Vorgehen bot sich schon deshalb an, weil das Geschehen vom 13. August 1961 von bundesdeutschen Fernsehsendern regelmäßig zu den Jahrestagen thematisiert wurde und somit Schnitzler Stoff für seine "Kontersendung" bot. Dem Autor gelingt es an diesem Beispiel - auch durch die Befragung von Zeitzeugen und die Auswertung von weiteren DRA-Archivalien -, die manipulative Arbeitsweise Schnitzlers und die kritische Rezeption seiner spektakulären Fernsehauftritte in Ost und West transparent zu machen. Schnitzlers bemerkenswerte gesamtdeutsche Biografie, die Levasier auch kurz streift, bedarf einer intensiveren Bearbeitung. Schnitzler hat zwar selbst viel über sich geschrieben und gesprochen, aber auch dabei täuschte er sein Publikum mit Halbwahrheiten.
Für Band 24 seiner medienhistorischen Reihe zeichnet Jürgen Wilke selbst als Autor. Mit seiner kompakten, quellengesättigten Darstellung der Methoden und der Organisationsstrukturen der Presselenkung in Deutschland während des Ersten Weltkrieges, im Dritten Reich und in der DDR leistet er Pionierarbeit. Denn eine diesbezügliche zusammenhängende, quantitativ-inhaltsanalytisch und vergleichend angelegte Untersuchung der Presseanweisungen gab es bisher noch nicht. Wilke will damit auch zum medienpolitischen Systemvergleich und - was das NS- und das SED-Regime betrifft - auch zum Diktaturvergleich beitragen.
Gemeinsam war allen drei Systemen das Bemühen um die strikte Geheimhaltung der Vorgehensweise bei ihrer Mediengängelei. So durften beispielsweise weder von den 1914 bis 1918 durch Militärs geleiteten Pressebesprechungen noch von den Reichspressekonferenzen in der NS-Zeit oder von den "Donnerstags-Argus" im SED-Zentralkomitee Mitschriften von den teilnehmenden Journalisten angefertigt und aufgehoben werden. Nur weil dies gelegentlich trotzdem geschah, ist es heute überhaupt möglich, mit einschlägigen, allerdings nur fragmentarischen Überlieferungen zu arbeiten. Wilke korrigiert die bisher herrschende Meinung, dass die Berichterstattung im Ersten Weltkrieg ausschließlich systemkonform war. Vielmehr hätten sich damals die Journalisten - anders als im "Dritten Reich" und in der DDR - um ihre Selbstbehauptung bemüht. Das erkläre auch, warum die DDR-Journalisten in den 1980er-Jahren so gut wie keinen Anteil an der Bürgerrechtsbewegung in ihrem Staat gehabt hätten.
Wilkes Fazit lautet: "Blieben die Presseanweisungen im Ersten Weltkrieg ein zeitlich und inhaltlich begrenztes Vorhaben, so besaßen sie in den beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts eine universelle und tiefer reichende Stoßrichtung. Das ergab sich schon aus den 'Heilslehren', auf denen das Dritte Reich und die DDR gebaut waren. Ohne deren Unterschiede und Folgen in Abrede stellen zu wollen, aber auch ohne die früher in der westdeutschen DDR-Forschung nicht seltene Verharmlosung zu betreiben, ist doch eine beträchtliche Gleichartigkeit zu konstatieren." (311) Ein zutreffendes und wohl auch politisch korrektes Resümee. Schließlich waren die Methoden der Medienlenkung in beiden totalitären Systemen nahezu deckungsgleich.
Jürgen Wilke (Hg.): Journalisten und Journalismus in der DDR. Berufsorganisation - Westkorrespondenten - 'Der Schwarze Kanal' (= Medien in Geschichte und Gegenwart; Bd. 23), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, VI + 313 S., ISBN 978-3-412-36205-8, EUR 39,90
Jürgen Wilke: Presseanweisungen im zwanzigsten Jahrhundert. Erster Weltkrieg - Drittes Reich - DDR (= Medien in Geschichte und Gegenwart; Bd. 24), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, VII + 348 S., ISBN 978-3-412-10506-8, EUR 42,90
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