Der erste Blick auf und in die Dissertation von Sven Hauschke macht deutlich, dass hier ein Standardwerk für die Vischer-Forschung vorliegt. Mit einem umfassenden Katalog zu den Grabdenkmälern, die von der Vischer-Familie in Nürnberg geschaffen wurden, bietet sich ein Überblick, den man sich zu diesem Thema lange gewünscht hat. Um es vorwegzunehmen: der Katalog ist der bei weitem beste und nützlichste Teil der Arbeit. Sachliche Beschreibungen, hervorragende Abbildungen, vollständige Wiedergaben der Inschriften inklusive Übersetzung, sorgfältige Aufnahme technischer Details sowie eine Ergänzung der kunsthistorischen Aspekte durch Biografien der Verstorbenen sowie Details zur Liturgie und Bestattung ergeben ein wirklich gutes Nachschlagewerk.
Der Autor hat seine Dissertation, aus der das Buch hervorgegangen ist, schon 2003 abgeschlossen. Damit mag es teilweise zusammenhängen, dass man bei genauerer Betrachtung permanent veraltete Literatur zitiert findet, aber auch auffällig häufig "Vergesslichkeit" bei Quellenangaben aus neuerer und neuester Literatur. Ein beachtlicher Teil der "vergessenen" Literatur stammt, man kommt um die Beobachtung nicht herum, aus den Federn eines Kollegenkreises, der aktuell Themen bearbeitet, welche Hauschkes Dissertation nahe stehen. Mehr noch, es sind oft jene Kollegen, die sich in regelmäßigen Abständen auf Tagungen austauschten und in deren Kreis er verkehrte und an deren Wissen er partizipierte. Für die folgende Liste ist nur ein Teil der Fußnoten überprüft wurden.
Zahlreiche Autorennamen in den Fußnoten haben keine Entsprechung im Literaturverzeichnis, z. B.:
S. 61, Anm. 95, S. 62, Anm. 101, S. 350: "Teske 1891", mir leider nicht auflösbar.
S. 87, Anm. 71 "Eser 1996": Thomas Eser, Hans Daucher, Augsburger Kleinplastik der Renaissance, München 1996.
S. 106, Anm. 5; sowie S. 108, Anm. 59, "Körner 1997": Hans Körner, Grabdenkmäler des Mittelalters, Darmstadt 1997.
S. 112, Anm. 21 "Arens 1998": vermutlich gemeint: Fritz Arens, Der Dom zu Mainz, Darmstadt 1982 (2. Auflage 1998).
"Vergessene" Zitate und veraltete Literaturangaben:
S. 84-85: Bei dem Rüstungspanzer des Artus vom Innsbrucker Maximiliansgrab beschreibt Hauschke, wie die Drachenfiguren aus Modeln mit Wachs abgeformt und appliziert wurden. Diese Erkenntnis fußt auf: Otto Knitel: Die Gießer zum Maximiliansgrab, (Innsbruck) o.J., sowie Dorothea Diemer: Handwerksgeheimnisse der Vischer-Werkstatt: eine neue Quelle zur Entstehung des Sebaldusgrabes in Nürnberg, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 47, 1997, 24-54 (beide im Literaturverzeichnis, aber hier nicht zitiert).
S. 103, Anm. 83, zu dem Grabmal von Philipp dem Kühnen aktueller: Renate Prochno: Die Kartause von Champmol: Grablege der burgundischen Herzöge 1364 - 1477, Berlin 2002.
S. 107: Zum Grabdenkmal von Kardinal Albrecht von Brandenburg fehlt der Hinweis auf Kerstin Merkel: Jenseits-Sicherung, Kardinal Albrecht von Brandenburg und seine Grabdenkmäler, Regensburg 2004. Das Buch, die bisher einzige monografische Auseinandersetzung mit Vischer-Grabdenkmälern, fehlt auch im Literaturverzeichnis.
S. 108, Anm. 59: Zum Baldachin über dem Grab von Albrecht von Brandenburg aktueller: Merkel 2004, 97-155.
S. 110, Anm. 10: Zu den Mainzer Bischofsgrabmälern aktueller: Stefan Heinz, Barbara Rothbrust und Wolfgang Schmid, Die Grabdenkmäler der Erzbischöfe von Trier, Köln und Mainz, Trier 2004.
S. 112, Anm. 21: Zum Mainzer Grabdenkmal Albrechts von Brandenburg aktueller: Heinz u. a. 2004, S. 168-169; Merkel 2004, 192-199.
Zur Bronzetafel aus Kardinal Albrechts Sarg aktueller: Horst Reber, Albrecht von Brandenburg. Kurfürst-Erzkanzler-Kardinal 1490-1545 (AK Mainz), Mainz 1990, S. 148-150; Ausstellungskatalog Halle "Der Kardinal", hrsg. von Andreas Tacke, Regensburg 2006, Bd. 2, S. 58-59. Es mag überzogen erscheinen, Literatur zu vermissen, die im selben Jahr erschienen ist wie das rezensierte Buch, aber da es Hauschke gelungen ist, seine eigenen Beiträge aus eben diesem Katalog inklusive Seitenzahlen zu zitieren, kannte er den Katalog.
S. 113: In seinem Kapitel "Grabdenkmal und Memoria" behauptet Hauschke: "Für die Monumente der Vischer-Werkstatt und ihrer Klientel existieren diesbezüglich keine Studien". Vgl. Merkel 2004.
S. 283, Kat. 85: Bei der Grabplatte der Walburga von Schaumburg, die halbfigurig mit ihrem Ehemann dargestellt ist, befindet sich Hauschke auf dem richtigen Weg mit dem Vergleich mit Hochzeitsbildern. Hier hätte Angelica Dülberg: Privatporträts: Geschichte und Ikonologie einer Gattung im 15. und 16. Jahrhundert, Berlin, 1990, methodisch weitergeführt.
S. 299-306, Kat. 96: Eine der größten von Hauschke untersuchten Grabanlagen ist die von Erzbischof Ernst von Wettin. Zeitgleich entstand die Dissertation von Ernst Leo Mock: Die Kunst unter Erzbischof Ernst von Magdeburg, Berlin 2007. Sie zu zitieren wäre nicht nur gegenüber dem Autor, der Hauschke von den Hallenser Tagungen bekannt ist, korrekt gewesen, sondern auch für den Leser wichtig. Zur Biografie des Verstorbenen verschweigt Hauschke den Aufsatz von Jörg Rogge: Zum Amts- und Herrschaftsverständnis von geistlichen Fürsten am Beispiel der Magdeburger Erzbischöfe Ernst von Wettin und Albrecht von Brandenburg, in: Andreas Tacke: Kontinuität und Zäsur. Ernst von Wettin und Albrecht von Brandenburg, Bd. 1 der Vorträge der Moritzburg-Tagung Halle/Saale 2003, Göttingen 2005, 54-10. Der Sammelband von Tacke betrifft gleich zwei Protagonisten in Hauschkes Untersuchungen. Besonders ärgerlich ist der unterlassene Verweis, weil Hauschke im Fazit seines Katalogteils als ein wesentliches Ergebnis seiner eigenen Untersuchung präsentiert, Ernst von Wettin habe sich mit seiner Tumba auf Kaiser Otto I. berufen - ein Ergebnis, welches er von Rogge 2005, S. 68-69, übernimmt.
Zum Grabmal von Erzbischof Ernst aktueller: Heinz u. a. 2004, dort weiterführende Literatur, bes. Annette Schommers: Das Grabmal des Trierer Erzbischofs Jakob von Sierck. Deutungs- und Rekonstruktionsversuch von Inschrift und Grabaufbau, in: Trierer Zeitschrift 53/1990, S. 311-333.
S. 315-317, Kat. 100: Das Grabmal des Markgrafen Friedrich IV. von Baden, Bischof von Utrecht, ist das einzige Doppeldeckergrab mit einem Transi. Dazu wären noch wichtig: Kurt Bauch: Das mittelalterliche Grabbild, Figürliche Grabmäler des 11. bis 15. Jahrhunderts in Europa, Berlin / New York 1976; Körner 1997, S. 157-166 und S. 54-60. Dass diese grundlegenden Werke zur Grabmalskunst ebenso wie Panofskys "Grabplastik" im Literaturverzeichnis einer Dissertation über Grabmäler fehlen, ist unbegreiflich. - Ein Transi ist ein verwesender Leichnam, unter dem Grab von Friedrich IV. liegt aber ein Skelett, auf das der Terminus nicht zutrifft.
S. 320, Kat. 101, Anm. 17: Kardinal Albrecht von Brandenburg erhielt eine weitere, verschollene Grabplatte von Loy Hering, dazu aktuell Merkel 2004, S. 71-73.
S. 320, Kat. 101: Zu Kardinal Albrechts Mainzer Grabmal aktuell: Heinz u. a 2004, S. 168-169; Merkel 2004, S. 192-199.
S. 321, Anm. 26, 27: Zu Albrecht von Brandenburgs Rezeption von Cusanus aktuell: Merkel 2004, S. 59-70, mittlerweile auch Thomas Schauerte: ...ein ehrlich Bibliotheken, in: Andreas Tacke, Der Kardinal, Ausstellungskatalog 2006 Halle, S. 307-314.
S. 321-322, Anm. 31, 32: An der Unterseite des Baldachins, den Hans Vischer für das Grab des Kardinals Albrecht gegossen hat, befindet sich eine ikonographisch wichtige Ritzzeichnung mit den "Fünf Wunden Jesu". Dazu aktuell: Merkel 2004, S. 137-157.
S. 339, Kat. 107: Beim Grabdenkmal des Grafen Hoyer VI. von Mansfeld in Eisleben präsentiert Hauschke als Ergebnis, dass hier die Hallenser Anlage von Kardinal Albrecht zitiert wird. Er verschweigt die Herkunft dieses Ergebnisses: Merkel 2004, S. 200-214.
Da Hauschke die jüngste Forschung wohl kennt, aber ihre Ergebnisse ignoriert, basieren seine Antworten auf die Frage nach der Motivation Albrechts von Brandenburg, sich mehrere Grabmäler schaffen zu lassen, auf überholten Schlussfolgerungen. Er sieht sie als Reaktion auf Friedrich den Weisen, mit dem der Kardinal im Konkurrenzkampf gestanden hätte, schließlich erklärt er sie "mit der Prunksucht des Erzbischofs" (108). Man glaubt sich als Leser in die konfessionell belastete Diskussion des 19. Jahrhunderts versetzt. Die neue Forschung hat deutlich heraus gearbeitet, dass der Kardinal ein bewusster, gedankenreicher Auftraggeber war, bei dem religiöse und dynastische Aspekte eine erhebliche Rolle spielten. Der Mangel an Aktualität ist umso erstaunlicher, da Hauschke die Literaturlage fraglos bestens kennt, weil er in die "Forscher-Szene" um Albrecht von Brandenburg über Jahre hinweg involviert war, bei den Hallenser Tagungen Vorträge gehalten und in den Ausstellungskatalogen selbst Aufsätze publiziert hat (diese zitiert er auch, aber den beiden von Andreas Tacke herausgegebenen Katalogen aus Halle und Aschaffenburg räumt er im Literaturverzeichnis bezeichnenderweise keinen eigenen Vermerk ein und übergeht andere wesentliche Aufsätze).
Hauschke hat leider den Anschluss zu der in den letzten Jahren aktiven Memoria- und Gedächtnisforschung verpasst, deren Publikationen man im Literaturverzeichnis vergeblich sucht. Der "Urvater" der Grabmalforschung Erwin Panofsky wird peripher zitiert, Kurt Bauch erscheint nirgends, Hans Körner wird zu wenigen Fußnotentorsi reduziert; Karl Schmid, Joachim Wollasch und Otto Gerhard Oexle haben es immerhin geschafft, vollständig in einer Fußnote aufzutauchen, aber nur um unpassend den folgenden Satz zu begleiten: "Oft wurde er (der Zusammenhang von Grabdenkmal und Memoria, d. V.) von Seiten der kunsthistorischen Forschung vernachlässigt". In den letzten anderthalb Jahrzehnten war genau dieses Thema ein Dreh- und Angelpunkt der Forschung! Es ist nicht zu erwarten, dass Hauschke in seiner Dissertation die Flut der Grabmal-Monografien komplett zitiert, aber dass er ausdrücklich leugnet, es gebe entsprechende Studien zu Vischer-Grabmälern, stößt an die Grenzen wissenschaftlicher Redlichkeit.
Sven Hauschke: Die Grabdenkmäler der Nürnberger Vischer-Werkstatt (1453-1544). Denkmäler deutscher Kunst. Bronzegeräte des Mittelalters: 6, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2006, 592 S., 18 Farb-, 465 s/w-Abb., ISBN 978-3-86568-015-0, EUR 79,00
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