Die Historisierung des Kommunismus hat sich nach seinem Untergang in Europa in spannungsgeladener Gleichzeitigkeit von geschichtspolitischer Aufarbeitung und wissenschaftlicher Deutung abgespielt. Dies gilt in doppeltem Sinne: Zum einen, wenn es um die Geschichte der kommunistischen Regimes und Bewegungen geht, zum anderen, wenn die Geschichte ihrer kritischen oder affirmativen Wahrnehmung im Westen zur Sprache kommt. In der Figur des "kommunistischen Intellektuellen in Westeuropa" fallen beide Ebenen zusammen. Julien Benda hatte schon 1927 vom "Verrat der Intellektuellen" gesprochen, die nicht als Anwälte der Freiheit, sondern als Parteigänger der Unfreiheit wirken. François Furets Buch von 1995 über "Das Ende der Illusionen" deutet ihr kommunistisches Engagement ganz ähnlich als selbstverschuldeten Irrationalismus und Verblendung.
Wem allerdings politisch-moralische Kategorien wie Verrat und Verblendung wenig erklärungskräftig und ein zum ahistorischen Topos essenzialisiertes Ideal "des Intellektuellen" intellektuell unbefriedigend erscheinen, kann jetzt mit außerordentlichem Gewinn die große Studie von Thomas Kroll zur Hand nehmen. Sein imponierender Vierländervergleich informiert in großer Detailschärfe über die politische Sozialisation, das Selbstverständnis, das Denken und Handeln Hunderter kommunistischer Intellektueller in Frankreich, Italien, Österreich und Großbritannien zwischen der Gründung der kommunistischen Parteien nach dem Ersten Weltkrieg und der Entstalinisierungskrise von 1956. Wie jeder Vergleich wird auch diese Arbeit von der Frage nach Ähnlichkeiten und Unterschieden angetrieben. Lässt sich ein homogener "Typus" des westeuropäischen kommunistischen Intellektuellen beschreiben, wie er der Verrats- und Verblendungsinterpretation offen oder unausgesprochen zugrunde liegt, oder dominierten nationalspezifische Unterschiede? Aufgrund welcher Erfahrungen wandten sich bürgerliche Intellektuelle der kommunistischen Bewegung zu und was verstanden sie überhaupt unter "Kommunismus"? Welches Selbstverständnis pflegten sie und wie änderte sich ihre Haltung im Laufe der Zeit?
Die Leitfragen verweisen auf drei analytische Kategorien, die Krolls Untersuchung das erforderliche theoretische Gerüst liefern: Erstens die Kategorie der Generationalität, da der Verfasser mit guten Argumenten davon ausgeht, dass Motive und politische Visionen kommunistischer Intellektueller entscheidend vom kollektiven Erfahrungshorizont zum Zeitpunkt des Beitritts geprägt wurden. Zweitens die Kategorie des politischen Glaubens, mit der Kroll nicht an totalitarismustheoretisch inspirierte Theorien der "politischen Religion" anschließt, sondern mit Paul Tillich annimmt, dass "Glaube" sich als spezifische "Gesinnungsqualität" dadurch auszeichnet, "dass der Gläubige sein Handeln freiwillig einer absolut gesetzten Sache unterwirft." (10) Verehrt dieser Glaube die Sowjetunion als im Hier und Jetzt realisiertes Modell des erstrebten Kommunismus, habe er "sakramentalen" Charakter, verweist er auf ein erst in der Zukunft einzulösendes, noch unbestimmtes und erst zu definierendes Ziel, so habe er "utopische" Züge. Mit diesen Ausprägungen des "Glaubens" korrespondiert das Rollenverständnis der Intellektuellen, Krolls dritte Kategorie, das zwischen Heteronomie und Autonomie changiert und ganz unterschiedliche Ausprägungen ihres Verhältnisses zu den nationalen kommunistischen Parteien ermöglicht.
Im Zentrum der Untersuchung steht eine gruppenbiografische Studie, die 608 Personen umfasst - unter ihnen nicht einmal fünf Prozent Frauen -, die im weitesten Sinne akademisch qualifiziert waren, sich an öffentlichen politischen Debatten beteiligten und der kommunistischen Partei angehörten oder erklärtermaßen mit ihr sympathisierten. Die im Laufe der Darstellung immer stärker aufeinander verweisenden Länderstudien beginnen mit Frankreich, das als Vergleichsfolie für die drei anderen Fälle herangezogen wird. Obwohl Kroll in Frankreich zwischen 1930 und 1947 vier politische Intellektuellengenerationen unterscheiden kann, die aus Erschütterung über den Ersten Weltkrieg, als Teil der kulturellen Nachkriegsavantgarde, als republikanische Antifaschisten oder als Angehörige der Résistance zum PCF stießen, dominierte dort nach 1947 ein sehr einheitlicher Verhaltenstypus. Er beruhte auf einem strikt "sakramentalen" Glauben, der die Stalinsche Sowjetunion als Ort des Heils und als Modell eines zukünftigen kommunistischen Frankreich verehrte, sowie auf einem heteronomen Rollenverständnis, das die Intellektuellen zu unselbstständigen Dienern der Partei machte, deren Führung man sich auch deshalb widerspruchslos fügte, weil man den dort dominierenden Arbeiterkadern ein auf ihrer sozialen Herkunft beruhendes Wahrheitsmonopol zugestand. Trotz der Tatsache, dass Antifaschismus und Résistance den PCF zur Massenpartei gemacht hatten und obwohl viele Parteiintellektuelle als gut bestallte Lehrer und Universitätsprofessoren ökonomisch unabhängig waren, schotteten sich die Partei und ihre Intellektuellen im eigenen Milieu ab. Auch in der Krise zwischen 1953 und 1956 vollzog nur eine Minderheit den Bruch.
Zwar wies die Schichtung der Intellektuellengenerationen in der italienischen kommunistischen Partei und der Aufstieg des PCI zur Massenpartei gewisse Ähnlichkeiten zu Frankreich auf, doch unterschieden sich Politik- und Rollenverständnis erheblich. Nach 1945 dominierte hier die Resistenza-Generation, die das kommunistische Projekt als primär national konnotierte Utopie verfolgte. Die parteinahen Publizisten, Schriftsteller und Wissenschaftler verstanden sich weniger als getreue Diener der Parteiführung denn als "Erzieher zur Demokratie", und verstanden ihr nationalutopisches Projekt zugleich als Vollendung des Risorgimento. Mit Antonio Gramsci verfügte die Partei zudem über einen der wenigen originellen Denker, die sich nicht auf Klassikerexegese beschränkten, sondern eigenständige theoretische Entwürfe wagten. Trotz aller kultischen Verehrung für Stalin, die bis 1953 auch in Italien gang und gäbe war, waren damit die Grundlagen für ein primär autonomes Selbstverständnis und ein utopisches Glaubenskonzept gelegt.
Die österreichischen Kommunisten hatten sich zwar nie zu einer mit ihrem italienischen Pendant vergleichbaren Massenpartei entwickelt, die ihr nahe stehenden Intellektuellen teilten aber ein ähnliches Politikverständnis. Zumindest bis 1947, solange nämlich die exilierten oder untergetauchten KP-Intellektuellen, viele von ihnen mit jüdischem Hintergrund, ihre Energie daran setzten, ein stark kulturalistisch getöntes österreichisches Nationalbewusstsein zu konzipieren und zu propagieren. Erst nachdem diese auf die traumatischen Erfahrungen der 30er Jahre reagierende nationalutopische Vision im Nachkriegsösterreich des Kalten Krieges auf keine Resonanz stieß, traten die österreichischen Intellektuellen die "Flucht in den sakramentalen Glauben an den Kommunismus" an (312).
Dass sich die Intellektuellen im Umfeld der kleinen britischen KP von ihren kontinentaleuropäischen Genossen unterschieden, wird niemanden überraschen. Hervorzuheben sind in diesem Fall erstens die Verflechtungen mit dem elitären "Oxbridge-Milieu" und die große Bedeutung, die kommunistische Wissenschaftler für die Entwicklung einzelner akademischer Fächer - insbesondere für die Geschichtswissenschaft - der 50er und 60er Jahre hatten. Zweitens die bemerkenswerte Tatsache, dass nur hier eine ernsthaftere und tiefer gehende Rezeption des Marxismus stattfand, auf deren Basis eine eigenständige revolutionäre Utopie für den britischen Weg zum Kommunismus entworfen wurde. Drittens schließlich der weitgehende Zusammenbruch dieser Utopie in der Entstalinisierungskrise und der Rückzug der meisten Intellektuellen aus der CPGB.
Der Vergleich zeigt nationalspezifische Wege im Gehäuse des stalinistischen Parteikults und er zeigt auch, so die Schlussthese des Buches, eine "janusköpfige" Ambivalenz des kommunistischen Glaubens der Intellektuellen. Er konnte sich in Unterwerfung unter das Moskauer Denkregime erschöpfen, unter bestimmten Bedingungen aber auch zum Engagement für eine Demokratisierung westlichen Zuschnitts führen. Thomas Krolls Arbeit verschränkt auf exzellente Weise Politikgeschichte, Sozialgeschichte und intellectual history. Sie demonstriert zudem erneut das große Erkenntnispotenzial, das in komparativen Studien stecken kann. Der enorme Arbeitsaufwand, der in diese materialgesättigte Vierländerstudie investiert worden ist, hat sich jedenfalls gelohnt. Und sie ist ein überzeugendes Plädoyer für eine begriffsgeleitete und analytisch reflektierte Geschichte des Kommunismus in Europa jenseits totalitarismustheoretischer Verengungen.
Thomas Kroll: Kommunistische Intellektuelle in Westeuropa. Frankreich, Österreich, Italien und Großbritannien im Vergleich (1945-1956) (= Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte; Bd. 71), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, XI + 775 S., ISBN 978-3-412-10806-9, EUR 74,90
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