Werner von Blomberg, Hitlers erster und letzter Kriegsminister, ist vor allem als Namensgeber eines der größten Skandale des 'Dritten Reiches' und der sich daran anschließenden "Blomberg-Fritsch-Krise" in Erinnerung geblieben. Durch eine "unstandesgemäße" Heirat zum Rücktritt gezwungen, bot er Adolf Hitler die Möglichkeit, mittels eines großen Revirements 1938 konservative Funktionsträger gegen nationalsozialistische Parteigänger auszutauschen und die Selbstgleichschaltung der Reichswehr/Wehrmacht abzuschließen. Eine Verkürzung von Blombergs Karriere auf dessen Scheitern wird aber seiner Bedeutung nicht gerecht. Zwar ist Blomberg in der Forschung kein unbeschriebenes Blatt mehr [1], im Vergleich mit anderen Generälen ist er aber verhältnismäßig unbeachtet geblieben. Dies mag daran liegen, dass Blomberg weder am Zweiten Weltkrieg aktiv teilnahm (und somit auch nicht zu einem Kriegsverbrecher werden konnte), noch sich dem militärischen Widerstand anschloss. Militärpolitik erscheint offenbar weniger spektakulär als Panzerschlachten und Kriegsverbrechen. Blombergs Bedeutung für die Geschichte des Nationalsozialismus und für die Wehrmacht wird dies jedenfalls nicht gerecht. Er war als Reichswehrminister bzw. Reichskriegsminister einer der Hauptverantwortlichen für die Selbstgleichschaltung der bewaffneten Macht, was sich besonders in dem - freiwilligen - Eid auf Hitler und der ebenfalls freiwilligen Übernahme der sogenannten Arierparagrafen für die Reichswehr manifestierte.
Somit ist die Dissertation der Berliner Historikerin Kirstin A. Schäfer von großer Relevanz. Die Autorin geht chronologisch vor und gliedert ihre Arbeit in drei große Abschnitte: "Der Wanderer" über Blombergs Herkunft und frühe Karriere bis zur Versetzung in den Wehrkreis I Ostpreußen (18-83), "Der General 'ohne Eigenschaften'" (84-145) über die Jahre bis zum 'Röhm-Putsch' und "Verbündeter seiner Totengräber" (146-205) für die Zeit nach 1934. Diese Gliederung kann nicht gänzlich überzeugen. Die Prämissen ihrer Gliederung und die Frage, welche Zäsuren dieser zugrunde liegen, lässt die Autorin offen; man hätte also auch eine andere Unterteilung wählen können, in der die Ministerzeit und Blombergs Scheitern deutlicher von anderen Abschnitten getrennt und somit betont worden wären.
Der biografische Zugriff, in der Militärgeschichte kein Novum mehr [2], bietet die Chance, längerfristige Entwicklungen zu verdeutlichen und dadurch den historischen Kontext schärfer herauszuarbeiten. Folgerichtig und konsequent versucht daher Schäfer, Blombergs mentales Koordinatensystem zu bestimmen. Hier ist vor allem das Kapitel über die "junge Generation" (39-48) zu nennen, welches zu den lesenswertesten Abschnitten der Arbeit zählt. Noch immer wird das Bild der Reichswehr in der Weimarer Republik durch die Ära Seeckt dominiert, wo die Streitkräfte als monolithischer Block einen Staat im Staat gebildet hätten. Gleich ob dieses Bild zutrifft, verschleiert es die gruppeninternen Diskussionen und Strömungen. Zumeist wird noch die Auseinandersetzung um den Schlieffen-Plan wahrgenommen, wobei Blomberg wie sein großes Vorbild Walther Reinhards nicht zur Schlieffenschule gerechnet werden kann (35). Anders verhält es sich schon mit dem Gegensatz zwischen dem alten und neuen Militarismus, den Stig Förster für die Zeit bis 1913 herausgearbeitet hat. [3] Im Geiste des "Neuen Militarismus", basierend auf den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und auf der Suche nach einem Konzept für den Zukunftskrieg, bildete sich eine Gruppe junger Militärtheoretiker um Kurt Hesse, dessen Einfluss auf Blomberg nachgewiesen werden kann. Hesses Buch "Der Feldherr Psychologos" [4] ist wohl das eindrucksvollste Beispiel der zeitgenössischen Führersehnsucht im jungen Offizierskorps. Verbindet man diese Sehnsucht mit der angestrebten totalen Militarisierung der Gesellschaft, welche als Grundvoraussetzung für die Führung moderner, totaler Kriege angesehen wurde, wird deutlich, dass das Wehrstaatkonzept, wie es sich in den 1920er Jahren entwickelte, eine deutliche Nähe zur nationalsozialistischen Volksgemeinschaft hatte. Vor diesem Hintergrund räumt Schäfer zu Recht mit dem zumeist auf ehemalige Kameraden zurückgehenden Bild Blombergs als willenloser, emotionaler "Gummilöwe" auf. Blomberg ragte innerhalb des hohen Offizierkorps intellektuell hervor, und sein Handeln war kalkuliert. Diese positivere Beurteilung hindert die Autorin aber nicht daran, die Verantwortung des Ministers und seiner Mitarbeiter für die Etablierung einer totalitären Diktatur und für die Deformierung der Armee zu einem willigen Werkzeug im Vernichtungskrieg klar zu benennen.
Was die "Blomberg-Fritsch-Affäre" angeht, so erfährt der Leser trotz vieler Details nichts grundsätzlich Neues. Aufgrund der Akribie und Genauigkeit der Autorin kann also zumindest im Falle von Blomberg davon ausgegangen werden, dass dies auch so bleiben wird.
Insgesamt legt Kirstin Schäfer eine gut lesbare, auf breiter Literatur- und Quellenkenntnis basierende Biografie vor. Besonders verdienstvoll ist vor allem die fleißige Auswertung der Aufzeichnungen Blombergs. Allerdings vertraut die Autorin mitunter zu stark dieser Quelle, etwa bei der Frage der vorzeitigen Vereidigung zum Minister am 30. Januar 1933 (102f.). Auch lassen sich Detailfehler nachweisen, z.B. die Feststellung, dass ein Beitritt zu einem Freikorps eine bewusste Negierung des traditionellen Armeegedanken gewesen sei (91). Hier werden Freikorps, Selbst- und Grenzschutzformationen bunt durcheinandergewürfelt; außerdem wird verkannt, dass die Abkommandierung von Generalstabsoffizieren zum sogenannten Grenzschutz durch die Gruppenkommandos erfolgte und daher von einem freiwilligen Beitritt keine Rede sein konnte. Das positive Fazit kann dies aber nicht trüben. Schäfer hat mit ihrer Arbeit einmal mehr gezeigt, welch fruchtbarer Ansatz ein biografischer Zugriff auch und gerade in der Militärgeschichte sein kann.
Anmerkungen:
[1] Norbert Arthur jr. Huebsch: Field Marshal Werner von Blomberg and the Politicization of the Wehrmacht. An Aspect of Mass Political Involvement in Germany, Diss., Ann Arbor 1981; Richard M. Muller: Werner von Blomberg - Hitlers "idealistischer" Kriegsminister, in: Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biografische Skizzen, hg. von Ronald Smelser und Enrico Syring, Berlin 1997, 50-65.
[2] Herausragend: Bernhard R. Kroener: Generaloberst Friedrich Fromm, "Der starke Mann im Heimatkriegsgebiet". Eine Biografie, Paderborn 2005 und Johannes Hürter: Hitlers Heerführer. Die deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42, München 2006.
[3] Stig Förster: Der doppelte Militarismus. Die deutsche Heeresrüstungspolitik zwischen Status-Quo-Sicherung und Aggression 1890-1913, Stuttgart 1985.
[4] Kurt Hesse: Der Feldherr Psychologos. Eine Suche nach dem Führer der deutschen Zukunft, Berlin 1922, besonders 206f.
Kirstin A. Schäfer: Werner von Blomberg - Hitlers erster Feldmarschall. Eine Biographie, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2006, 291 S., ISBN 978-3-506-71391-9, EUR 29,90
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.