Am 23. Dezember 1715 kapitulierte die schwedische Besatzung der Festung Stralsund, nachdem sie über fünf Monate dem vereinten sächsisch-dänisch-brandenburgischen Belagerungskorps standgehalten hatte. Am Abend zuvor war König Karl XII. zu Schiff nach Schweden geflohen. Vorpommern nördlich der Peene und die Insel Rügen kamen unter dänische Verwaltung. Fünf Jahre später, am 17. Januar 1721, wurde das Land aufgrund des Friedensvertrages von Fredriksborg vom Sommer 1720 wieder an Schweden zurückgegeben.
Über diese fünf Jahre dänischer Herrschaft in Vorpommern von Dezember 1715 bis Januar 1721 war bislang kaum etwas bekannt. So konnte es sich denn bei den Auffassungen, die über diese Zeit schon seit dem frühen 18. Jahrhundert immer wieder geäußert wurden, um kaum mehr als Spekulationen handeln. Was aber war in diesen fünf Jahren tatsächlich geschehen? Welchen Grundsätzen war die dänische Politik in Vorpommern gefolgt? Welche Ziele hatte sie angestrebt? Hatte sich die dänische Besatzungsmacht von vornherein nur vorübergehend als Herrin des Landes gesehen oder hatte sie sich in Formen eingerichtet, die auf dauerhafte Sicherung ihrer Herrschaft in Vorpommern abzielten? Welchen Maximen folgte in der Frühen Neuzeit grundsätzlich die Politik gegenüber einem eroberten Land? Umgekehrt stellen sich aus der Perspektive des Landes Fragen, wie sich etwa die Landstände "in ihrer Gesamtheit und in ihren einzelnen Gruppen nach 1715" gegenüber der neuen Landesherrschaft verhielten (39). Diese und weitere Fragen hat Meier nun erstmals einer systematischen Untersuchung unterzogen.
Die Quellenlage zu dieser Phase zwischen 1715 und 1721 ist gut; die Archive in Stettin, Stralsund, Greifswald (Landesarchiv, Stadtarchiv, Universitätsarchiv) sowie vor allem das Dänische Nationalarchiv (Rigsarkiv) in Kopenhagen verwahren ein reichhaltiges Material, das Meier erstmals umfassend und unter systematischer Fragestellung ausgewertet hat.
Indessen belässt Meier es nicht bei der bloßen Aufarbeitung der Ereignisse und ihrer Abfolge. Er legte seiner Untersuchung zwei theoretische Ansätze zugrunde: 1. den Prozess der Staatsbildung als Fundamentalvorgang frühneuzeitlicher Geschichte und 2. das sozialhistorische Okkupationsmodell von Stubbe-da Luz. Nach Auffassung des Autors sei das dänisch besetzte Vorpommern besonders gut geeignet, um frühneuzeitliche Verwaltung unter den Bedingungen des Absolutismus zu untersuchen (298). Das Staatsbildungs-Paradigma bleibt jedoch weitgehend auf die Auseinandersetzung mit der Dualismus-These beschränkt. Das theoretische Fundament, das Meier seiner Analyse vorrangig zugrunde legt, erarbeitet er in kritischer Auseinandersetzung mit Stubbe-da Luz. Dessen Modell revidiert Meier in zwei wesentlichen Punkten: Erstens ersetzt er den chronologischen Aufbau bei Stubbe-da Luz durch eine phänomenologische Ordnung (13). Diese baut er mit Hilfe der Kriterien "Verwaltung/Regierung" und "Konfliktfelder" auf. Zweitens modifiziert Meier den Begriff der Okkupation, der von Stubbe-da Luz vorwiegend mit Blick auf Landesbesetzungen des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelt worden ist. Okkupation in der Frühen Neuzeit bedeutete das Eintreten des Eroberers in die Herrschaftsrechte des bisherigen Landesherrn. Somit hatte Okkupation in der Frühen Neuzeit eine grundsätzlich andere Qualität als Besatzung im Zeichen bürgerlicher Herrschaft. Als Beispiel für Letztere führt Meier die von Stubbe-da Luz untersuchte französische Besetzung Norddeutschlands unter Napoleon an. Hier sei das Prinzip "Bewachung und Ausbeutung" zur Anwendung gekommen.
Die Kategorien der prae- sowie der postokkupationalen Phase legt Meier gegenüber Stubbe-da Luz dagegen unverändert seiner Darstellung zugrunde. Dem so gewonnenen theoretischen Fundament folgt die Kapiteleinteilung. Nach der Darstellung des Forschungsstandes (Kapitel I), die im Wesentlichen darin besteht, die Spekulationen in der Literatur über die "Dänenzeit" Vorpommerns namhaft zu machen und auszuräumen (2-7), folgt in den Kapiteln II und III die praeokkupationale Phase, in den beiden anschließenden Hauptkapiteln die Verwaltung (Kapitel IV) und die Konfliktfelder (Kapitel V); schließlich wird in Kapitel VI die postokkupationale Phase dargestellt. Die Zusammenfassung in Kapitel VII beschließt den Band.
Mit der Darstellung der praeokkupationalen Phase in Kapitel III verfolgt Meier das Ziel, die Handlungsspielräume der dänischen Besatzungsmacht deutlich zu machen. Nicht zuletzt sei, so Meier, jedes Verwaltungshandeln ökonomisch determiniert. Dargestellt wird daher die konkrete Situation, welche die Dänen bei der Eroberung des Landes vorfanden: die Landesverfassung und die rechtlichen Verhältnisse, die landesherrliche Gewalt und die ständische Ordnung ebenso wie Art und Umfang der ökonomischen Ressourcen des Landes. Es schließen sich die beiden Hauptkapitel an, die von der eigentlichen "Besatzungs"-zeit handeln. Das Kriterium "Verwaltung" wird hier untergliedert in Regierung, Hofgericht, Konsistorium, Beamte, Militärs, Finanz- und Steuerpolitik, das Kriterium Konfliktfelder wiederum in Minderheiten, Zentralverwaltung versus Lokaladministration, Landesherr versus Landstände usw., die jeweils nacheinander abgehandelt werden. Die postokkupationale Phase wird in dem anschließenden Kapitel "Das Ende der dänischen Herrschaft" dann wieder gemäß dem Modell von Stubbe-da Luz behandelt. Abgeschlossen wird der Band durch eine Zusammenfassung unter dem Titel "Rügen und Vorpommern unter dänischer Herrschaft. Ein Resümee".
Hervorzuheben ist der durchweg konsequent direkte Zugriff Meiers auf die historische Realität. Gleich im allerersten Satz seiner Arbeit erteilt der Autor nationalen Geschichtskonstruktionen eine Absage: So habe Wismar (ebenso wie Pommern) eben nicht seit 1648 "zum schwedischen Reich gehört", wie es immer wieder, heutige Vorstellungen in die Geschichte hineintragend, gesagt und geschrieben wird, sondern es sei "als Reichslehen der schwedischen Krone" zugefallen (1). Erst die Erkenntnis der Tragweite dieses Unterschiedes eröffnet - jenseits von Legitimationsbedürfnissen der Gegenwart - das Verständnis für den spezifischen Charakter der schwedischen Herrschaft in Deutschland und damit auch der "Dänenzeit" Vorpommerns. Deutlich wird insgesamt das spezifisch Frühneuzeitliche der dänischen Hoheit über Vorpommern, bei der es sich eben gerade nicht um eine Okkupation im naiven Verständnis der Gegenwart handelte. Vielmehr sei, so Meier, die dänische Herrschaft in Vorpommern als eine "aus damaliger Sicht völkerrechtlich (vielleicht besser "kriegsrechtlich" in Anlehnung an das ius belli) legitime Ausübung landesherrlicher Gewalt über ein im Krieg erobertes Territorium" zu interpretieren. Dies dürfte das wichtigste und gleichzeitig gut dokumentierte Ergebnis dieser Arbeit sein.
Mängel zeigen sich mitunter dort, wo die Finanzen behandelt werden, so etwa wenn Meier die geringen Einnahmen aus der Domäne und den Licenten auf deren vermeintliche Verpachtung zurückführt (63 f.). Tatsächlich brachten Verpachtungen in der Regel gute und vor allem im Voraus berechenbare Einnahmen. Diese wurden von den landesherrlichen Verwaltungen zeitweise nachdrücklich angestrebt. Nach der Niederlage von Poltava 1709 fanden sich jedoch für die geplante vollständige Verpachtung der Domänengüter kaum genügend Interessenten; deshalb hatten diese antichretisch verpfändet werden müssen, was zunächst zu sehr hohen Einnahmen führt, im längeren Verlauf aber einer faktischen Veräußerung sowohl der Güter als auch der daraus fließenden Einkünfte gleichkommt. Der Verfasser dieser Zeilen hat diese Vorgänge ebenso wie die Einlösung der Domäne in den 1760er Jahren durch die Aufnahme eines Kredits in Genua auf den schwedischen Reichshaushalt untersucht und in der von Meier zitierten Arbeit dargestellt.
Trotz falscher Voraussetzung kommt Meier hier dennoch zu zutreffenden Schlussfolgerungen: Da die Antichrese letztendlich annähernd vergleichbare Auswirkungen hatte, wie er sie der Verpachtung zuschreibt, sind die Überlegungen, die er darauf aufbaut, im Großen und Ganzen wiederum stichhaltig.
Bis 1719 war die dänische Verwaltung in Vorpommern auf die dauerhafte Übernahme des Landes ausgerichtet. Das entsprach der dänischen Politik seit 1713, als man auf den Erwerb ganz Schleswigs sowie Rügens und Stralsunds hinzuarbeiten begann, und daher dem Kurfürsten von Hannover und englischen König Georg den Besitz Bremens und Verdens garantierte. Jedoch entzog Frankreich dieser Politik die Grundlage, als es 1719 begann, auf die Restitution seines traditionellen Verbündeten in Vorpommern hinzudrängen. Nun wollte Kopenhagen in der verbleibenden Zeit das Land ökonomisch stärker abschöpfen (301). Von Ausbeutung, wie diese im 20. und 21. Jahrhundert während einer Besatzung üblich ist, konnte freilich weiterhin keine Rede sein. Die jetzt erhöhten Kontributionen stellen sich immer noch als relativ moderat dar (301, 307). Vor diesem Hintergrund ist auch die strikte Wahrung der rechtlichen Formen seitens der Exponenten der dänischen Herrschaft anzuführen; so etwa wenn man sich im Oktober 1716 von den Ständen den Treueid leisten ließ (66).
Meier hat nicht nur eine bisher unbekannte Phase der pommerschen Landesgeschichte erhellt sowie unserer Kenntnis frühmoderner Staatsbildung weitere Facetten hinzugefügt, sondern auch einen fundierten Beitrag zum Phänomen "Besatzung" in der Frühen Neuzeit etwa im Unterschied zum Zeitalter des Nationalismus geleistet.
Martin Meier: Vorpommern nördlich der Peene unter dänischer Verwaltung 1715-1721. Aufbau einer Verwaltung und Herrschaftssicherung in einem eroberten Gebiet (= Beiträge zur Militärgeschichte; Bd. 65), München: Oldenbourg 2007, IX + 363 S., ISBN 978-3-486-58285-7, EUR 49,80
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.