sehepunkte 9 (2009), Nr. 10

Federico Santangelo: Sulla, the Elites and the Empire

Federico Santangelo hat seine Londoner Dissertation der Frage gewidmet, wie denn L. Cornelius Sulla, der berühmt-berüchtigte Erfinder der Proscriptionen, in der Zeit etwa von seinem Kommando gegen Mithridates bis zu seinem Rückzug aus der Politik auf die Entwicklungen im griechischen Osten und in Italien einwirkte. Kern des Buches ist denn auch folgerichtig eine akribische Bestandsaufnahme all dessen, was an relevanten Maßnahmen Sullas in diesen ca. 10 Jahren (88 - 79 v.Chr.) zu greifen bzw. einigermaßen sicher zu erschließen ist. Dass dabei das Verhältnis Sullas zu den Eliten der betroffenen Regionen besonders im Vordergrund steht, ist nicht nur der Quellenlage geschuldet, sondern auch durch die These bedingt, Sullas Politik habe die Ausrichtung dieser Eliten auf Rom neu gestaltet und letztlich intensiviert. Santangelo sieht den Bundesgenossenkrieg in Italien, aber auch die Abfallbewegungen in Kleinasien und zum Teil auch in Griechenland während des ersten Mithridates-Krieges als massive Krise römischer Herrschaftspolitik, die nach Sullas Eingriffen überwunden wurde, und er schreibt seinem Protagonisten dabei ein beachtliches Maß an Voraussicht zu.

Im ersten der drei Teile geht es um die soziopolitischen Beziehungen zu den Eliten, die Sulla erzeugte bzw. veränderte, im zweiten um Sullas Einwirken auf die Verwaltung des Reiches. Es ist klar, dass sich die beiden Bereiche nicht klar trennen lassen, doch ist der Zugriff im ersten Teil stärker chronologisch angelegt, im zweiten eher systematisch. Der dritte Teil fällt etwas heraus, indem hier sullanische Ansätze einer religiös angehauchten Reichsideologie herausgearbeitet werden.

Zunächst werden die Ursachen für die Krise des Mithridates-Krieges untersucht, der den Ausgangspunkt für Sullas Restabilisierungsaktivitäten bildete. Überzeugend hebt Santangelo hervor, dass die geringe Bereitschaft der Römer, sich nach der Gründung der Provinzen Macedonia und Asia intensiver um die Belange der Provinzbewohner zu kümmern und so etwas wie berechenbare Konfliktbewältigungsformen aufzubauen, eine Lage erzeugte, in der sich nur wenig Vertrauensbindungen an Rom entwickelten. Bei der Einschätzung des Mithridateskrieges wird die Neigung Santangelos deutlich, seinem Gegenstand durch Dramatisierung vermehrte Bedeutung zu verschaffen. So schreibt er zunächst: "The war against Mithridates [...] was a war in which the survival of the empire was at stake" (32). Auf der nächsten Seite heißt es dann: "The level of the military threat that Mithridates posed to Rome must not be overrated" (33) - eine Warnung, die man nur unterstützen kann.

Nacheinander werden im ersten Teil die Aktionen Sullas und seiner Helfer in Griechenland, in Kleinasien und in Italien vorgestellt, auch die Proscriptionen werden umsichtig analysiert [1], da sie massiv in die Zusammensetzungen der lokalen Eliten eingriffen, und es wird sehr gut veranschaulicht, wie die brutalen Unterdrückungen und teilweise Ermordungen von Gegnern in den italischen Städten durch sullanische Parteigänger praktisch durchgeführt wurden. Im zweiten Teil werden die strukturierenden Maßnahmen in Asia dargestellt, sodann die Zwangsmaßnahmen des Bürgerkriegssiegers mit den exemplarischen Bestrafungen in Capua und Praeneste, schließlich die sullanische Kolonisation mit sehr guter Differenzierung zwischen Koloniegründungen und Viritanassignationen und einem nüchtern-kritischen Umgang mit der oft keine eindeutigen Schlüsse zulassenden Überlieferung. Die Unterschiede zwischen Campanien und Etrurien als bevorzugten Regionen sullanischer Kolonisation werden klar herausmodelliert. Während die Ansiedlungen in Campanien im großen Ganzen erfolgreich waren, gab es in Etrurien viel mehr Schwierigkeiten, die sich sogar in der Beteiligung sullanischer Veteranen an den etrurischen Aufständen im Rahmen der Catilinarischen Verschwörung niederschlugen.

Im dritten Teil analysiert Santangelo die viel traktierten Beinamen, die Sulla annahm: in Italien Felix, im Osten Epaphroditos, ein von Aphrodite abgeleitetes Adjektiv, das als "faszinierend, bestrickend, charmant" übersetzt werden sollte (210). Mit dem Beinamen Epaphroditos habe Sulla gegenüber den Griechen verdeutlichen wollen, dass die Römer allgemein und insbesondere die troianischen Geschlechter, zu denen sich die Cornelier rechneten, als Abkömmlinge von Aphrodite/Venus durchaus in die griechische Welt gehörten, und so habe er den Griechen die Kooperation mit Rom erleichtern wollen. Darüber hinaus sieht Santangelo bei Sulla ein Bemühen, sich als neuer Gründer Roms zu präsentieren. Den Transfer der olympischen Wettkämpfer nach Rom wohl zur Aufwertung von Sullas neu gestifteten ludi Victoriae deutet er als Propagierung Roms als Zentrum eines Reiches, zu dem nun irreversibel auch die Griechen gehörten (218). Doch sind die religiösen und mythologischer Anspielungen in Sullas Ehrentiteln und Festen viel zu diffus, um eine eindeutige Botschaft zu vermitteln, entsprechend ist auch nicht klar, was er beabsichtigte und wie die Zeitgenossen das aufnahmen. Im Falle der Integration olympischer Elemente in römische Spiele halte ich es im übrigen für unwahrscheinlich, dass die Griechen den Abzug ihrer Athleten, der dazu führte, dass die Olympischen Spiele 80 v.Chr. bis auf die Wagenrennen ausfallen mussten, als Signal für Rom als Zentrale eines auch die griechische Welt integrierenden Reiches ansahen und nicht nur als nackte Willkür eines militärisch überlegenen Despoten. Ein Indiz für "Sulla's propagandistic genius" (217) sehe ich hier nicht.

Hierin liegt die Schwäche des Buches. [2] Seine gründliche Analyse hat Santangelo rhetorisch zusammengeklammert über eine Art von 'grand strategy' Sullas zur Neugestaltung römischer Herrschaftsbeziehungen (so z.B. 126 f.; 132 f.; 190 f.; 192 f.; 212 f.; 228). Doch bei unbefangener Betrachtung reicht eigentlich das ganz schlichte, in Rom wie in anderen Kulturen anzutreffende Prinzip der Machtfestigung durch Belohnung von Kooperation und Bestrafung von Widerstand zur Erklärung von Sullas Handeln völlig aus. Dass es bei der Umsetzung dieses Standardprogramms nach dem Sieg auch zu einigen langfristig wirksamen Neuregelungen kam, ist wenig verwunderlich. Die Härte von Sullas Strafen ist aus seinem ungewöhnlichen Geld- und Landbedarf herzuleiten, schließlich war er als Bürgerkriegspartei anderen Zwängen ausgesetzt als römische Feldherren in geordneteren Verhältnissen. Eine Beobachtung wie die Zunahme von römischen Patronaten in Kleinasien in der Zeit nach Sulla kann man vielleicht auch mit Santangelo als Zeichen der Einsicht ansehen, dass man sich mit den römischen Granden ins Benehmen und so die eigene Stadt in das Imperium integrieren müsse (128-130; 189 f.; 227), aber eine Gestaltung durch Sulla ist darin nicht zu erkennen. Sulla verhielt sich im Osten so, wie ein römischer Kommandeur sich Aufständischen gegenüber eben verhielt. Dass sich in nachsullanischer Zeit einerseits der Osten stärker als Teil des Reiches verstand und andererseits Italien stärker mit Rom zusammenwuchs, soll damit gar nicht in Abrede gestellt werden, doch bestand das, was Sulla dazu beisteuerte, wohl eher in der brutalen Demonstration der militärischen Überlegenheit Roms und in Abschreckung durch Strafe als in einem Integrationskonzept.

Trotz dieser Übersteigerung der Originalität von Sullas Handeln hat Santangelo durchaus ein gutes Buch vorgelegt, dessen großes Verdienst darin liegt, dass all die verstreuten Belege für die sullanischen Maßnahmen und Initiativen im Hinblick auf Italien und den Osten präzise präsentiert und interpretiert werden, mit zahlreichen guten Beobachtungen im Detail. Die umfangreiche Literatur ist weitgehend aufgearbeitet worden, nützliche Indizes erleichtern die Erschließung des Bandes. Jeder, der sich für die sullanische Bürgerkriegszeit, die Entwicklung Italiens nach dem Bundesgenossenkrieg und die des östlichen Reichsteils in dieser Zeit interessiert, wird gerne und mit Gewinn zu diesem Werk greifen.


Anmerkungen:

[1] Hinsichtlich der Chronologie der Proscriptionen schließt sich Santangelo 79 f. eng an die grundlegenden Untersuchungen von François Hinard: Les proscriptions de la Rome républicaine (= Collection de l'école française de Rome, vol. 83), Paris / Roma 1985, 104-116 an, doch hat zuletzt Herbert Heftner: Der Beginn von Sullas Proskriptionen, Tyche 21 (2006), 33-52 in Frage gestellt, ob man dem von Hinard bevorzugten Überlieferungsstrang (vor allem Appian, bellum civile 1,95 [441-443]), der den Proscriptionsbeschluss an den Anfang der organisierten Ausrottung von Gegnern stellt, gegenüber dem anderen Strang (vor allem Plutarch, Sulla 31,1-6 und Orosius 5,21,1-4), der eine Phase des wilden Mordens annimmt, das durch die formalisierten Proscriptionen abgelöst und bis zu einem gewissen Grade kanalisiert worden sei, wirklich folgen sollte.

[2] Das scheint der Autor auch zu spüren, räumt er doch wiederholt ein, dass man auch ohne auf Langfristigkeit angelegte Integrationsförderung durch Sulla auskommt, vgl. etwa 132; 192.

Rezension über:

Federico Santangelo: Sulla, the Elites and the Empire. A Study of Roman Policies in Italy and the Greek East (= Impact of Empire; Vol. 8), Leiden / Boston: Brill 2007, xix + 300 S., ISBN 978-90-04-16386-7, EUR 99,00

Rezension von:
Martin Jehne
Institut für Geschichte, Technische Universität, Dresden
Empfohlene Zitierweise:
Martin Jehne: Rezension von: Federico Santangelo: Sulla, the Elites and the Empire. A Study of Roman Policies in Italy and the Greek East, Leiden / Boston: Brill 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 10 [15.10.2009], URL: https://www.sehepunkte.de/2009/10/14413.html


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