sehepunkte 9 (2009), Nr. 10

Margaret Scott: Kleidung und Mode im Mittelalter

Mode und Kleidung galten lange als Marginalie in der Kunstgeschichte, da sich das Fach seit Jahrzehnten immer mehr von jenen Objekten entfernt, die im Ruch stehen, 'nur' als Gegenstand für realienkundliche Untersuchungen zu taugen. Doch mit neuen Fragestellungen eröffnet sich seit kurzer Zeit eine erweiterte kultur-, sozial- und mediengeschichtliche Perspektive, die eben jene Themen wieder populär macht. Die aktuelle Forschung steht aber auf gefährlich tönernen Füßen, denn es fehlt nach wie vor an realienkundlichen, aktuellen Kompendien.

So trifft das Buch von Margaret Scott auf eine gewisse Erwartungshaltung. Als Philologin und Historikerin ist sie eine ausgezeichnete Kennerin nicht nur von bildlichen, sondern auch von schriftlichen Quellen zur Mode, und diese Quellen versprach die ehemalige Leiterin der Abteilung für Dress History am Courtauld Institute zu vereinen. Dabei nutzte sie mit Konsequenz einzig die Gattung der Buchmalerei als Bildquelle, weil Kleidung aller möglichen Schichten in verschiedensten Lebenssituationen und aus allen Perspektiven dargestellt sei und die fast durchgängige Kolorierung im Gegensatz zur Skulptur auch Stoffmuster und -sorten vermittle. Der Zeitraum der Studie deckt sich mit jenem, in dem die (christlich-abendländische) Buchmalerei existierte: von 840 bis 1570. Der Autorin ist klar, dass sie hiermit das sogenannte Mittelalter erheblich ausdehnt, und man fragt sich als Leser bei dem durchaus stringenten Konzept des Buches, ob es nicht korrekter 'Kleidung und Mode in der Buchmalerei' hätte heißen müssen.

Das Buch ist chronologisch aufgebaut und in fünf Kapitel gegliedert. "Kleider für die Reichen und Berühmten (840-1100)" bezieht sich auf die nicht allzu zahlreichen frühen Beispiele, die fast ausschließlich im Zusammenhang mit religiösen Texten standen und historische Personen wie die ottonischen Kaiser in ihrer Amtstracht wiedergeben. Im zweiten Kapitel "Die Anfänge der Mode (1100-1300)" finden sich jene frühen Extravaganzen, die die Kleidung zur Mode machen: bunte Stoffmuster bis hinunter zu den Beinlingen, enge Schnürungen auf extrem schlanken Körpern sowie Schleppen und Ärmel, deren Überlänge sich nur noch durch Knoten bändigen lässt. Das dritte Kapitel "Mode und Moral (1300-1400)" erhält seine Überschrift wegen der zahlreichen Gesetze, Vorschriften, Verbote und kirchlichen Kritiken, die in Reaktion auf die sich immer schneller abwechselnden und immer erotischer werdenden Kleidungsstücke entstehen. Es ist das Zeitalter, in dem erstmals mit Schnitten experimentiert wird, die dem Träger Beweglichkeit auch in enger Kleidung gewähren und in dem die Dekolletés nach unten und die Rocklängen der Herren nach oben rutschen. Im vierten Kapitel "Kleidung für alle Klassen (1400-1500)" zielt die Autorin mit der Überschrift auf die Informationsfülle in der immer weltlicher werdenden Buchmalerei, die nun auch umfassende Beispiele für die Bekleidung der unteren sozialen Schichten liefert. Tatsächlich sind es dann nur drei Bildquellen (75, 80, 94), die das Versprechen einlösen, das die Überschrift verspricht, darunter aber eine besonders informative aus dem Gilderegister der Tuchhändler von Bologna, wo man eine seltene Markt- und Fabrikationssituation von ca. 1411 findet. Ansonsten befasst sich das Kapitel mit den internationalen Stilen dieser Zeit, die von den oberen Schichten getragen wurden. Das letzte Kapitel "Kleidung gestern und heute (1500-1570)" behandelt natürlich nicht unserer heutige Mode, sondern auf den letzten beiden Seiten das im 16. Jahrhundert erstmals auftretende Phänomen, dass man sich der Mode der Vergangenheit im Gegensatz zur damals 'heutigen' Kleidung bewusst und mit einem chronologischem Bewusstsein annahm.

Es gibt in diesem Buch also keine methodischen Überraschungen oder innovative Fragestellungen, es ist schlicht und einfach eine chronologisch geordnete Ansammlung von geschickt aufeinander bezogenen Bild- und Textquellen, die in lockerer Erzählform ein überaus buntes und reiches Bild der Kleidung im Mittelalter entfalten. Bei deutlich anglophilem Schwerpunkt fehlt es nie an europäischem Weitblick, wobei Deutschland recht kurz kommt, während Italien, Frankreich und überraschenderweise das gerne vernachlässigte Spanien reichlich vertreten sind, was zum einen mit den jeweiligen illuminierten Handschriften in der British Library zu tun hat (z.B. die Cantidas und die Siete Partidas von Alfons X.), zum anderen mit diversen Heiraten zwischen Englands und Spaniens Herrscherhäusern. Die Vielfalt der Quellentexte, die herangezogen werden, umfasst Romane, Gesetzestexte, Aussteuerlisten, Chroniken, Predigten, Rechnungsbücher, Berufslisten, Bestandsaufnahmen, Testamente, medizinische Fachbücher bis hin zu Reiseberichten. Somit findet der Leser eine Informationsbreite, die von medizinischen Ratschlägen über Kleidung zu unterschiedlichen Jahreszeiten, Kosten, Handel, Farbvorlieben, Verboten, deren Überschreitungen bis hin zu Kuriosa führt. Eine Zusammenfassung zu bieten ist aufgrund der Detailmenge unmöglich, und das additive Vorgehen der Autorin ist einzig durch die Chronologie zusammengebunden und besitzt ansonsten keinen roten Faden - das ist nicht als Kritik gemeint, sondern eher als Entschuldigung der Rezensentin, wenn sich aufgrund der divergierenden Fülle kein sinnvolles Resumée bieten lässt.

Die Kombination von Bild und Text fokussiert auf solche Themen, in denen historische Personen in historischen Kontexten geschildert werden: Hochzeiten (Abb. 76), Krönungszeremonien (Abb. 26, 63, 64), Buchwidmungen (Abb. 73, 77, 92, 103), Stifterinnen und Stifter (Abb. 56, 71, 85, 82). Hier bot sich der Autorin die beste Gelegenheit, Querverbindungen zwischen Bildern und diversen Texten herzustellen. Stellvertretend für eine fehlende Zusammenfassung seien hierfür als ausführliches Beispiel die beiden Abbildungen aus dem Krönungsbuch Karl V. von Frankreich genannt (Abb. 63,64), in denen das Einkleidezeremoniell des Königs und seiner Gemahlin Johanna von Bourbon im Jahr 1365 gezeigt wird. Mit akribischen Blick und durch das Heranziehen einer französischen und lateinischen Beschreibung führt die Autorin zu 'altmodischen' Elementen wie des Königs brauner Kleidung vor der Krönung, die als Bescheidenheitsgestus zu verstehen ist, zu rituellen Elementen wie den Schnürungen über des Königs Brust, die man für die Salbung öffnen konnte, zu hochmodischen Elementen wie dem sehr kurzen, sehr engen Rock eines Teilnehmers, den er aber in Anbetracht der heiligen Handlung unter einem langen Mantel versteckt oder den Stirnlocken der Damen, die ein Dichter wenig charmant mit den "Ohren eines aufgeschlitzten Schweins" verglichen hat (78). Texte von Christine de Pisan ergänzen das Bild der während des Zeremoniells bescheiden gekleideten Königin, die nach den Worten der Dichterin mehrmals am Tag die Kleider zu wechseln pflegte, was weniger ein Zeichen der Eitelkeit, sondern vielmehr in Anlehnung an königliche und auch priesterliche Gewohnheiten geschah. Ihre Assistentin bei der Einkleidung wird aufgrund der korrekten Witwentracht aus schlichtem braunem Stoff mit weißem Schleier als Margarete von Frankreich identifiziert. Doch beeilt sich die Autorin anhand der Inventarliste einer anderen Witwe darzulegen, dass nicht alle sich der Tradition einer solchen Witwentracht unterwarfen, besaß diese doch nur eine entsprechende Robe aus grobem dunklem Stoff, ansonsten bevorzugte sie feine Wolle zwischen Violett und Rot (86-91).

Die beiden Illuminationen werden also anhand der Chroniken, eines Gedichts, eines Textes von Christine de Pisan und eines Inventars erläutert - besser kann man sich die Verbindung von Bild- und Textquellen kaum vorstellen. Doch genau hier liegt der für Wissenschaftler gravierende Schwachpunkt: Es gibt keine Fußnoten, so dass man die Quellen nur mühsam, manchmal auch gar nicht nachvollziehen kann. Bekannte Texte wie der Roman de la Rose, der Perceval oder die Canterbury Tales lassen sich noch nach den entsprechenden Zitaten durchforsten, doch bei den Verwaltungslisten der 'Great wardrobe' (53) wird es schwierig, bei den Rechnungsbüchern über die Kleider der Kinder von König Eduard I. von England (57) unmöglich. Wo gar findet man eine Verordnung aus Venedig von 1281 (57), einen Erlass der Pariser Sorbonne 1274 (57) oder ein Gesetz aus Frankreich von 1279 (57)? Das Literaturverzeichnis, sortiert nach Kapiteln und dann noch einmal nach Buchgattungen, bietet hier auch keine brauchbare Hilfe.

Schon in der englischen Originalausgabe "Medieval Dress and Fashion" (British Library 2007) hatte man auf Fußnoten verzichtet. Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft bzw. der deutsche Konrad Theiss-Verlag konnten das Konzept nur übernehmen, was den akademischen Leser unbefriedigt zurücklässt. Der häufig anstehende Spagat der Verlage, sowohl den wenigen akademischen als auch der größeren Zahl populärwissenschaftlich interessierter Leser gerecht zu werden, ist darin weniger gelungen: Bei dem vorliegenden Buch sind die Seiten mit den hervorragenden Abbildungen ein Augenschmaus, die ausführlichen Bildunterschriften charmant, der gesamte Text sowohl leicht leserlich als auch wissenschaftlich fundiert, doch kein Laie hätte sich hier an einigen wenigen Fußnoten gestört, die für den quellenkundlich interessierten Wissenschaftler einfach unerlässlich sind. Dennoch, auch wenn Generationen von Wissenschaftlern auf der Suche nach den Quellen viel Zeit verschwenden werden, ist dieses Buch für die Kenntnis der mittelalterlichen Mode unerlässlich.

Rezension über:

Margaret Scott: Kleidung und Mode im Mittelalter. Aus dem Englischen von Bettina von Stockfleth, Stuttgart: Theiss 2009, 160 S., ISBN 978-3-8062-2199-2, EUR 29,90

Rezension von:
Kerstin Merkel
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Empfohlene Zitierweise:
Kerstin Merkel: Rezension von: Margaret Scott: Kleidung und Mode im Mittelalter. Aus dem Englischen von Bettina von Stockfleth, Stuttgart: Theiss 2009, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 10 [15.10.2009], URL: https://www.sehepunkte.de/2009/10/16335.html


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