Ein berühmter Ausspruch erhebt die Antike zum uns nächsten Fremden. Zur Frage aber, was man bei ihrer Betrachtung als das Gegenwärtige im Vergangenen erkennen könne, gehört ein Bewusstsein dafür, inwieweit man sich einem historischen Phänomen mit moderner Fachterminologie annähern dürfe, um irreführende Assoziationen zu vermeiden und das je Besondere in der Geschichte deutlich sichtbar hervortreten zu lassen. Dem Puristen, dessen quellennahes Vokabular peinlich auf die Umgehung von Missverständnissen zielt, steht der Praktiker gegenüber, der durch die Verwendung von Umgangssprache nach leichterer Verständlichkeit strebt. [1] Beim Nachdenken über Alte Geschichte ist schon länger eine Reihe plastischer, womöglich jedoch anachronistischer Begriffe in Misskredit geraten: Staat, Gesellschaft, Revolution. Wie aber steht es mit der römischen Außenpolitik? Zumal, wenn man bedenkt, dass Rom noch heute in der Debatte über internationale Beziehungen regelmäßig als Paradigma dient.
Christian Wendts Berliner Dissertation trachtet nun nach einem differenzierten Verständnis dessen, was man bislang unter römischer Außenpolitik verstanden hat. Sein Buch behandelt den Zeitraum von der Späten Republik bis zum frühen Principat. Der Autor insistiert nicht so sehr darauf, dass es für den Begriff Außenpolitik kein antikes Äquivalent gebe, was auch eine zu enge Vorstellung vom Agieren antiker Staatswesen bedeutet hätte. Im Zentrum seiner Thesen stehen vielmehr die zunehmende Personalisierung der Außenpolitik im ersten Jahrhundert, die mit den außerordentlichen Kommanden des Pompeius begonnen und im Bürgerkrieg ihren Höhepunkt erreicht habe [2], sowie die daraus folgende Konzeption von Herrschaft in der Kaiserzeit, die dem Princeps eine einheitliche, Äußeres und Inneres verbindende Politik aufgezwungen habe.
Das Buch ist in fünf Teile gegliedert. Im ersten Abschnitt vollzieht Wendt die äußere Politik Roms von Pompeius bis Octavian nach. Die Kapitel 2 und 3 behandeln das Regiment des Augustus: seine Konstruktion des Principats, den Aktionsradius seines Handelns, der in einem Sphärenmodell abstrahiert wird, die Grenzproblematik bei einem Reich sine fine, der Zusammenhang zwischen Reichs- und äußerer Politik. Im vierten Part, der von der Regentschaft des Tiberius bis zu derjenigen Neros reicht, erprobt der Autor die Tragfähigkeit seines Principatsverständnisses. Unvermeidlich wird der Leser in der Darstellung mit vielen bekannten Zusammenhängen konfrontiert; Wendt ist aber um Konzentration auf das für seine Argumentation Wesentliche bemüht. [3] Eine ausführliche Bilanz bildet den Schluss des Textteils. Den Band komplettieren ein Literaturverzeichnis, das antike Quellen lediglich in zweisprachigen Editionen aufführt, sowie diverse Indizes.
Den Kern des Buches macht sicherlich das 2. Kapitel aus. Dort zieht Wendt die Schlussfolgerungen aus seiner Analyse des Bürgerkrieges für das Principat. Pompeius habe nach seinen erfolgreichen Operationen, so legt er zuvor dar, in den jeweiligen Gebieten des Reiches als Patron gewirkt, dessen Klientel die dortige Bevölkerung war. Mit diesem Rückhalt habe er in Rom nach einer Erweiterung seines politischen Spielraums gestrebt. Aus dem gleichen Beweggrund habe Caesar in Gallien seinen Krieg geführt. In den sich anschließenden Bürgerkriegen sei das Völkerrecht ausgehebelt worden; nicht mehr von der res publica mit ihren Institutionen sei Politik betrieben worden; stattdessen hätten nur noch einzelne Klientelblöcke gegeneinandergestanden. Anschließend habe das gewissermaßen verlorengegangene Reich zurückerobert werden müssen. Wendt selbst räumt ein schwerwiegendes Manko seiner Interpretation ein: nicht den Nachweis führen zu können, ob Antonius wirklich eine endgültige Abspaltung seines Reichsteils von Rom erwogen habe (79ff.). Einen trefflicheren Beleg für die Behauptung, das Bewusstsein von einem einheitlichen Reich sei in der Elite geschwunden, hätte er sich nicht wünschen können. Als oberster Patron jedenfalls habe schließlich Octavian, alleiniger Sieger in den militärischen Auseinandersetzungen, die tutela imperii übernommen. In der Herrschaft des Augustus kulminiere daher die Entwicklung des Zeitalters der Bürgerkriege: der "Princeps als personale Mitte des Reichs" (143).
Für ihn habe deshalb keine konzeptionelle Trennung einer äußeren und inneren Politik bestanden. Die Tradition der über kriegerische Leistungen definierten summi viri, der großen exempla der Republik, die im Augustusforum eine monumentale Würdigung erfuhren, setzte den Princeps unter Legitimitätsdruck. Nur wenn er ihrem Beispiel folge, so der Autor in expliziter Anlehnung an Flaigs Akzeptanztheorie, aber auch im Gefolge anderer Gelehrter, könne er seine Herrschaft befestigen. Immer sei außenpolitisches Handeln innenpolitisch motiviert gewesen. Wenn nun Außen- und Reichspolitik untrennbar miteinander verknüpft seien, lautet Wendts zentrale Einsicht, verliere der Terminus "Außenpolitik" seinen sinnstiftenden Gehalt (140ff.; 186f. und öfter). So entwickelt er ein Modell, das die Politik der Kaiser in drei Sphären aufteilt (145f.): in die stadtrömische Politik, das Gebiet mit den direkten und indirekten Besitzungen des Reiches und die reichsfremden Gebiete. Die Verwertbarkeit dieses Ansatzes sucht der Verfasser dann im 4. Kapitel zu erweisen.
Verfehlt also, wer von einer Außenpolitik in der Kaiserzeit spricht, die Eigenständigkeit eines historischen Phänomens, weil er leichtfertig das Vergangene mit dem Vertrauten identifiziert? Bleicken verfocht einst die Unmöglichkeit, von Außenpolitik zu reden, weil hierfür der völkerrechtliche Rahmen gefehlt habe. Aber dies macht sich Wendt mit seiner juristisch undogmatischen Betrachtungsweise (134-139) eher nicht zu eigen. Sein Argument beruht im wesentlichen auf der Ununterscheidbarkeit zweier Politikbereiche, Innen und Außen, nicht auf den verschiedenen Status von reichsabhängigen und völlig eigenständigen Gebieten, die in der Tat eine genaue Berücksichtigung verdienten. Was man traditionell Außenpolitik nennen würde, heißt bei Wendt Agieren in der 2. oder 3. Sphäre. Schwer einsehbar ist, warum man nicht von Außenpolitik sprechen sollte, nur weil sie, faktisch existierend, die Komponente eines ganzheitlichen Ansatzes darstellt. Denn immer können sich auch abgrenzbare Politikfelder gegenseitig bedingen, und Außenpolitik besaß nicht nur in der Antike innenpolitische Implikationen. So verhelfen Wendts Bemühungen um einen Ersatz des althergebrachten, heutzutage durchaus mit Umsicht gebrauchten Begriffs "Außenpolitik" wenig zu einem differenzierteren Bild vom kaiserzeitlichen Rom. Zu diskutieren bleibt, in welchem Maß der Ruhm eines Kaisers im Stil der summi viri wirklich dazu beitrug, seine Macht zu legitimieren.
Anmerkungen:
[1] Anregende Überlegungen bei Uwe Walter: Der Begriff des Staates in der griechischen und römischen Geschichte, in: Althistorisches Kolloquium aus Anlass des 70. Geburtstags von Jochen Bleicken, hg. von Theodora Hantos/Gustav Adolf Lehmann, Stuttgart 1998, 9-27.
[2] Dieser Ansatz wurde vorformuliert von Ernst Badian: Foreign Clientelae, Oxford 1958; Jochen Bleicken: Verfassungs- und Sozialgeschichte [...] 2, 19943 und Ernst Baltrusch: Auf dem Weg zum Prinzipat [...], in: Res publica reperta [...], hg. von Jörg Spielvogel, Stuttgart 2002, 245-262.
[3] Eine Fülle verrutschter Metaphern schränkt allerdings die Lesbarkeit des Buches ein. Nur beispielsweise: Alte Zöpfe stehen zur Disposition (16); eine Aura wird zum tragenden Pfeiler (132); Rom ist nicht mehr Hort der Modell-res publica (107) etc.
Christian Wendt: Sine fine. Die Entwicklung der römischen Außenpolitik von der späten Republik bis in den frühen Prinzipat (= Studien zur Alten Geschichte; Bd. 9), Berlin: Verlag Antike 2008, 297 S., ISBN 978-3-938032-24-4, EUR 49,90
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