Der Band fasst die 13 Beiträge eines Studientags am Deutschen Historischen Institut in Rom (20. Januar 2006) zusammen, aus dem neben dem Tagungsband auch das internationale DFG-Netzwerk "Zentrum und Peripherie? Das universale Papsttum und die europäischen Regionen im Hochmittelalter" erwuchs.
Jochen Johrendt und Harald Müller geben in "Zentrum und Peripherie. Prozesse des Austausches, der Durchdringung und der Zentralisierung der lateinischen Kirche im Hochmittelalter" (1-16) einen Überblick über das Thema, das vom 26. Satz des Dictatus papae Papst Gregors VII. ("Niemand soll als rechtgläubig gelten, der nicht mit der römischen Kirche übereinstimmt") charakterisiert wird. Die Gratwanderung zwischen universalem Anspruch, den das Papsttum seit den Reformpäpsten mit Selbstverständlichkeit erhebt, und tatsächlicher Umsetzung dieses Anspruches in den einzelnen Regionen steht im Zentrum des Interesses. Der Tagungsband verfolgt den spannenden Institutionalisierungsprozess an dessen Ende das Papsttum als gesamtkirchliche Autorität steht.
Lotte Kéry, Dekretalenrecht zwischen Zentrale und Peripherie (19-45), gibt einen sehr material- und detailreichen Überblick über die Entwicklung des Dekretalenrechts. Sie kommt zu dem Schluss, dass die zunehmende Bedeutung der Dekretalen weniger den Zentralisierungstendenzen in Rom geschuldet war, sondern als Folge des wachsenden Einflusses der Juristen gedeutet werden muss. Der Einfluss der Juristen wuchs aber vor allem deshalb, weil es seit der Mitte des 12. Jahrhunderts ein immer stärkeres Bedürfnis nach effektiver Klärung von Rechtsfragen gab, das in der Peripherie forciert wurde.
Thomas Wetzstein, Wie die urbs zum orbis wurde. Der Beitrag des Papsttums zur Entstehung neuer Kommunikationsräume im europäischen Hochmittelalter (47-75), verdeutlicht die Kommunikationstechniken der Päpste seit Leo IX., die zunächst auf "die Kommunikationsgewohnheiten einer face to face Gesellschaft Rücksicht" (73) nahmen. Ab dem 12. Jahrhundert trat hier eine gravierende Veränderung ein: die Schrift ermöglichte eine intensive Kommunikation aus der Ferne. Ohne dass das Papsttum bis zum Ende des Mittelalters auf die Entsendung von Legaten, Bevollmächtigten oder Finanzeintreibern je hätte verzichten können, vertraute es immer stärker auf schriftgestützte Herrschaft.
Claudia Zey, Die Augen des Papstes. Zu Eigenschaften und Vollmachten päpstlicher Legaten (77-108), konzentriert sich auf die Zeit vom Amtsantritt Alexanders II. bis zum Tod Alexanders III. und demonstriert eindrucksvoll die Wandlungen der Legatenpolitik, die unter Alexander III. einen Höhepunkt erreichte. Im Schisma gewannen die Kardinäle enorme Bedeutung und fest umrissene Kompetenzen; selbst im Frieden von Venedig wird ihre Rolle gewürdigt. Prädestinierten unter Gregor VII. Persönlichkeit und Kampfeswillen einen künftigen Kardinallegaten für sein Amt, so war das Anforderungsprofil zur Zeit Alexanders III. klar: Ein Kardinallegat musste zur "Bildungselite des abendländischen Klerus" (108) gehören.
Harald Müller, Entscheidung auf Nachfrage. Die delegierten Richter als Verbindungsglieder zwischen Kurie und Region sowie als Gradmesser päpstlicher Autorität (109-131), betont, dass die Initiative zur Nutzung delegierter Richter eindeutig bei den Streitparteien lag, wodurch die Zahl der Prozesse vor päpstlich delegierten Richtern als Gradmesser für die Akzeptanz des Papstes dienen kann. Der Wunsch, einen Prozess nach römisch-kanonischem Verfahren zu führen und dabei die routinierte Anwendung des Verfahrensrechts zu nutzen, ist die Basis dafür, dass das "theologische Konzept des Petrus-Vorrangs mit kanonischem Prozessrecht verbunden [wird], [und] vom Papst eingesetztes Recht zum sachlichen und geografisch umfassenden ius commune"werden konnte (130).
Alle weiteren Beiträge beleuchten das Thema von der Peripherie aus. Ingo Fleisch, Rom und die Iberische Halbinsel: das Personal der päpstlichen Legationen und Gesandtschaften im 12. Jahrhundert (135-189), erforscht die Vorbildung der Legaten, ihre Rolle bei der Vermittlung spezifischer Kenntnisse und Erfahrungen und hebt besonders die Bedeutung des späteren Papstes Coelestin III., das ist Kardinaldiakon Hyazinth von Santa Maria in Cosmedin, als Spanienexperte hervor.
Przemysław Nowak, Die polnische Kirchenprovinz Gnesen und die Kurie im 12. Jahrhundert (191-206), bietet einen Forschungsüberblick, der vor allem für nicht-polnisch sprechende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überaus hilfreich ist.
Nicolangelo D'Acunto, Chiesa romana e chiese della Lombardia: prove ed esperimenti di centralizzazione nei secoli XI e XII (207-233), bietet einen vergleichbaren Überblick über die jüngste Forschung zu Oberitalien, wobei eine deutliche Skepsis hinsichtlich einer planhaften, stringenten Zentralisierungspolitik von Alexander II. bis zu Urban III. überwiegt.
Jochen Johrendt, Der Sonderfall vor der Haustüre: Kalabrien und das Papsttum (235-258), kann in minutiöser Betrachtung zeigen, dass sich die Zahl der Bitten um Privilegien, Visiten und Weihen nach 1124 keineswegs erhöht hatte, sondern stagnierte. Der Sonderweg des Machtbereiches der Normannen macht sich auch im politischen Verhältnis zum Papsttum bemerkbar, das sich konträr zur gesamteuropäischen Entwicklung gestaltete.
Rainer Murauer, Geistliche Gerichtsbarkeit und Rezeption des neuen Rechts im Erzbistum Salzburg im 12. Jahrhundert (259-284), erforscht die "innovative Wirkung" (284) des Erzbistums mit seinem Eigenbistum Gurk hinsichtlich der Rezeption des kanonischen Rechts und gesteht Salzburg in dieser Hinsicht eine fortschrittliche Modernität zu.
Stefan Weiß, Papst und Kanzler. Das Papsttum und der Erzbischof von Köln im 12. Jahrhundert (285-298), enthüllt, dass das Verhältnis der Kölner Oberhirten - und wohl des gesamten Reichsepiskopats - zum Papsttum auf "grundsätzlicher Ablehnung [des] päpstlichen Durchregierens" (296) beruhte. Die besondere Unwilligkeit des Kölners, sich der Machtausweitung des Papsttums zu beugen, dürfte an seiner überragenden Stellung innerhalb des Reichsepiskopats gelegen haben.
Rolf Große, La fille aînée de l'Église: Frankreichs Kirche und die Kurie im 12. Jahrhundert (299-321), bietet Gegensätzliches zu Stefan Weiß. Anders als in Köln stieß die päpstliche Politik in Frankreich auf viel Kooperation. Allerdings betont Große zu Recht, dass die Beziehungen zur Zentrale in Rom auf dauerndem Geben und Nehmen basierten, die Peripherie beim Aufstieg des Papsttums also nicht unterschätzt werden darf.
Klaus Herbers, Im Dienste der Universalität oder der Zentralisierung? Das Papsttum und die "Peripherien" im hohen Mittelalter - Schlussbemerkungen und Perspektiven (323-343), fasst noch einmal wichtige Thesen zusammen und lenkt den Blick auf weitere Forschungsfelder: Welche Desintegrationsprozesse ergeben sich aus päpstlichen Entscheidungen? Wer verliert durch die Einführung der römischen Normen? Welche Folgen hatte die Verbreitung des kanonischen Rechts für das römische Recht? Welche Entwicklungen fördern kulturelle Konflikte?
Ein Register der Orts- und Personennamen runden den spannenden und gelungenen Band ab.
Jochen Johrendt / Harald Müller (Hgg.): Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie. Das universale Papsttum als Bezugspunkt der Kirchen von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III. (= Neue Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Neue Folge; Bd. 2. Studien zu Papstgeschichte und Papsturkunden), Berlin: De Gruyter 2008, X + 356 S., ISBN 978-3-11-020223-6, EUR 58,00
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