Das Buch Erbschaft Altstadt. Fassade und Dach in der Kulturhauptstadt Graz - Restaurierung, Denkmalpflege und Kunstgeschichte enthält die Akten des Internationalen Kongresses "Erbschaft Altstadt", der im Jahr 2007 vom kunsthistorischen Institut der Grazer Karl-Franzens-Universität zusammengestellt wurde. Der Kongress hatte im November 2003 unter reger Anteilnahme der Öffentlichkeit in der Aula der Grazer Universität getagt. In diesem Jahr wurde Graz auch zur Kulturhauptstadt Europas ernannt.
Bereits der Titel des Kongresses und der Publikation zeigen, dass der Zustand der Grazer Altstadt, die Gefährdung ihrer Bausubstanz und der Umgang mit dem bedrohten architektonischen Bestand besprochen und aktualisiert werden mussten. Auf dem Kongress und in der hier vorliegenden Publikation handelt es sich um 15 Vorträge und Aufsätze renommierter Kunsthistoriker, Architekten, Denkmalpfleger, des Landeskonservators für die Steiermark wie auch des Vorsitzenden der Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission, des Direktors der Alten Galerie im Steiermärkischen Landesmuseum Joanneum und der Vizepräsidentin des internationalen Städteforums Graz. Ferner referierten und publizieren in diesem Band Vertreter der Fachbereiche Bauingenieurwesen, Bautechnik und Baurecht, des Baupolizeiamtes sowie Handwerks- und Dachdeckermeister, Restauratoren, Journalisten und Juristen. An der umfangreichen und differenzierten Zusammenstellung dieser Berufsgruppen und Ämter lässt sich die Vielseitigkeit der Positionen und Kommentare zu der desolaten Situation der Grazer Altstadt deutlich ermessen. Das Ziel des Kongresses bestand folglich auch darin, neue, innovative Zusammenhänge und Kombinationen der vielfältigen Gewerke zu erproben, denn sie alle werden durch die fortschreitende Zerstörung der Bausubstanz der Altstadt beeinträchtigt. Die Destruktion der Altbauten und der Verlust des homogenen Stadtbildes treffen somit nicht nur die Handwerker und Denkmalpfleger, Kunsthistoriker, Architekten und Wissenschaftler, sondern auch die Wirtschafts- und Industriezweige, die das repräsentative Stadtbild mit hervorgebracht haben und auch seinen Fortbestand bedingen. Entsprechend wurde das Vorhaben "Erbschaft Altstadt" auch von der Industrie finanziell unterstützt, die die traditionellen Baumaterialien produziert und den Kongress als Forum für die Präsentation ihrer Produkte nutzen konnte.
Die zwischen Kunsthistorikern, Restauratoren, Handwerkern und Denkmalpflegern auf dem Kongress geführten Diskussionen reflektieren aber nicht nur die schwierige und gelegentlich problematische Lage ihrer diversen beruflichen Tätigkeiten, sondern auch die vielschichtige, angespannte und teilweise widersprüchliche Situation der jeweiligen Berufsgruppen. So konzentriert sich der Kunsthistoriker im Wesentlichen auf wissenschaftliche Untersuchungen der Geschichte und Kunstgeschichte, auf die Bewahrung und den Schutz einer Stadt, eines Denkmals oder Kunstwerks. Die primär an theoretischen Fragen orientierte Kunstgeschichte bietet somit die Grundlagen für die stärker praxisbezogenen Tätigkeiten der nur teilweise mit kunsthistorischem Fachpersonal besetzten Denkmalämter und Restauratoren. Letztere wiederum sind häufig juristisch nur unzureichend gesichert, so dass der eventuelle Erhalt denkmalgeschützter Substanz oder in ihren Augen erhaltungswürdiger Kunstwerke, Denkmale oder Teilbereiche der Altstadt nicht gewährleistet ist. Mit der Zusammenlegung der wissenschaftlichen Lehren, der wirtschaftlichen Interessen und handwerklich und praxisnah ausgerichteten Gewerbstätigkeiten stellte sich der Grazer Kongress insofern als Pilotprojekt zum Thema Altstadtsanierung dar.
Die Diskrepanz zwischen den Interessen lokaler, häufig ökonomisch orientierter Verbände und denen nationaler und internationaler Organisationen - wie etwa ICOMOS, die das kulturelle Erbe einer Stadt zu bewahren sucht und über die Anerkennung und Beibehaltung des einer Stadt von der UNESCO zuerkannten Prädikats "Weltkulturerbe" wacht - zählt zu einem der Grundprobleme für die Bewahrung der Altstadt. Neben den genannten Organisationen kristallisiert sich in jüngerer Zeit auch die einheimische Bevölkerung zu einer Institution heraus, die sich zunehmend gegen die Vernichtung, Beschädigung oder den Abriss der Denkmale ihrer Altstadt engagiert. Im historisch und kulturell repräsentativen Graz hat sich offenbar die Mentalität eingeschlichen, aus wirtschaftlichen Gründen leichtfertig Denkmale abzureißen, um modernen Neubauten Platz zu machen. Dennoch sollten die hier aufeinander treffenden ökonomischen, kulturellen und rechtlichen Positionen vereint werden, um sowohl den historischen Bestand der Altstadt zu schützen als auch moderne Architektur zu fördern, die in den Altbestand integriert und dadurch aufgewertet wird.
Die in diesem dritten Band der Grazer Edition vorliegenden Aufsätze über das "Weltkulturerbe - im Konflikt der Interessen", "Das Kapital Altstadt. Vom Wandel ihrer Wertschätzung in Halle an der Saale" wie auch die eindrücklichen Referate über Teilbereiche eines Gebäudes, so zum Beispiel: "Das historische Dach in Graz", "Der Dachstuhl" oder "Die Altstadtfassade aus dem Blickwinkel eines Baumeisters" und "Fassaden - Grazer Beispiele", werden in dem Buch übersichtlich und klar strukturiert dargestellt. Die teilweise gründlich recherchierten Dispositionen im Bereich der Altstadtsanierung werden von den beteiligten Autoren sowohl aus kunsthistorischer als auch aus handwerklicher Sicht gut verständlich präsentiert und konstruktiv ausgewertet. Die politischen und auch philosophischen Problemstellungen wie etwa die Diskussion um den "Schleichenden Verlust der Identität - über die Bedrohungen der Grazer Altstadt", die Frage danach, ob das "Weltkulturerbe - Feigenblatt oder Chance für Graz" sei, werden im Sinne der Bewahrung und Erhaltung der Grazer Altstadt überzeugend und informativ ausgeführt. In den Berichten werden nicht zuletzt juristische Aspekte angeschnitten wie etwa der nach der "Wirksamkeit gesetzlichen Altstadtschutzes am Beispiel Graz" oder Überlegungen zum "[...] allmählichen Verschwinden der Moderne. Zur Situation der Architektur der klassischen Moderne in Graz" sowie zum grundsätzlichen Kriterium: "Rechnet sich Denkmalpflege?" werden überdenkenswerte Positionen bezogen und schlüssig durchdachte Aussagen getätigt. Schließlich wird dem bereits im Buchtitel angeschnittenen Thema der verschiedenen Berufsbilder: "Handwerker, Restauratoren und Kunsthistoriker - das Team in der Denkmalpflege" und "Zum Entwurf eines Berufsbildes: der Kunsthistoriker in der Denkmalpflege", wie den "Auswirkungen und Perspektiven für das Kulturerbe Altstadt im wiedervereinten Europa" informativ und ausführlich auf den Grund gegangen.
Dem Leser, der Wissenswertes über die beruflichen, künstlerischen und fachspezifischen Perspektiven zum Thema "Erbschaft Altstadt" erfahren möchte, ist der vorliegende Titel unbedingt zu empfehlen. Die vorgestellten Aufsätze erweisen sich ausnahmslos als interessante und problembewusste Sachbeiträge. Sie sind gut formuliert, analytisch intelligent ausgeführt, thematisch und fachlich innovativ zusammengestellt und bieten schließlich ein breites Spektrum an Detail- und übergreifendem Fachwissen aus den weitverzweigten Berufssparten, die sich speziell in Bezug auf die Altstadt von Graz, aber auch ganz allgemein auf Fragen zum Thema "Erbschaft Altstadt" stellen.
Johann Konrad Eberlein (Hg.): Erbschaft Altstadt. Fassade und Dach in der Kulturhauptstadt Graz - Restaurierung, Denkmalpflege und Kunstgeschichte. Akten des Internationalen Kongresses des Instituts für Kunstgeschichte der Karl-Franzens-Universität Graz zum Programm von "Kulturhauptstadt Graz 2003" am 14.-16.11.2003 (= grazer edition; Bd. 3), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2007, ii + 218 S., ISBN 978-3-8258-7533-6, EUR 24,90
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