Am 23. Januar 1710 gründete der sächsische Kurfürst August der Starke per Dekret die erste Porzellanmanufaktur Europas. Aus diesem Anlass stellte das Museum für Angewandte Kunst Köln unter dem Titel "Meissen: Barockes Porzellan" vom 24. Januar bis 25. April 2010, in der Verlängerung bis zum 16. Mai 2010, die privaten Schätze eines Sammlerehepaares aus. Dessen Förderung und Unterstützung erfährt das Museum seit vielen Jahren. Gleichzeitig mit der von Patricia Brattig, der Fachkuratorin für Keramik, initiierten Ausstellung entstand der von ihr herausgegebene Katalog zur Schau. Ermöglicht wurde das Projekt durch die großzügige Unterstützung der wohl auf eigenen Wunsch namentlich ungenannten Sammler, wie dem Vorwort des Kommissarischen Museumsdirektors Gerhard Dietrich zu entnehmen ist.
Schwerpunkte der erstmals der Öffentlichkeit präsentierten rheinischen Privatsammlung von rund 280 Exponaten bilden neben der figürlichen Porzellanplastik Schnupftabakdosen und Tafelgeschirr. Überwiegend vor Ende des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) gefertigt, stammen viele der Exponate aus der frühen Produktion der Meissner Manufaktur, die im Juni 1710 auf der Albrechtsburg in Meissen mit der Produktion des "Weißen Goldes" begann. Jüngste Ausstellungsstücke sind zwei um 1770-1775 datierte Figuren von Hippocampen (Kat. Nr. 75). Ein Koppchen und eine Unterschale mit Tiermotiven in Goldrelief um 1715/20 (Kat. Nr. 113), wohl von Christoph Conrad Hunger bemalt, gelten als älteste Objekte der Sammlung.
Dem 432-seitigen Ausstellungskatalog vorangestellt wurde das Faksimile des heute im Sächsischen Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden verwahrten zehnseitigen "Gründungsdekrets der Porzellanmanufaktur Meissen" (10026 Geheimes Kabinett Loc. 1339/6).
Einleitende Beiträge neben einer tabellarisch strukturierten "Chronik zur Geschichte des Meissener Porzellans" von dem als Journalist und leitender Redakteur bei der Sächsischen Zeitung tätigen Medienwissenschaftler und Historiker Peter Ufer sind Patricia Brattigs Abhandlung "Das Meissener Porzellan im Spiegel zeitgenössischer Nachschlagewerke" sowie der Aufsatz des Diplom-Restaurators Tobias Friedrich über "Die Herstellung und die Restaurierung des Werkstoffes Porzellan im 300-Jahre-Spiegel der Literatur" - Themen, die in dieser umfassenden Bearbeitung bisher wenig Berücksichtigung fanden.
Auf 361 Seiten werden 257 Katalognummern, Einzelobjekte oder Ensembles, unter den Gruppierungen "Figuren" (Xenia Ressos), nach dem "Preiß=Courante [...] bey der Churfürstl. Sächs. Porcellain=Manufactur zu Meissen von 1765" gegliederte "Galanterien" (Patricia Brattig) und "Geschirr" (Elena Klinkmann-Voß) verzeichnet. Jede dieser Rubriken beginnt mit einer einführenden Betrachtung: Xenia Ressos Überblick über die unter Johann Joachim Kaendler (1706-1775) entstandene figürliche Porzellanplastik, Patricia Brattigs Abhandlung zur Meissener Galanterieware der Tabatieren sowie Elisabeth Schwarms Beitrag zur Tafelkultur in der Hofhaltung der sächsischen Kurfürsten und polnischen Könige August dem Starken (1670-1733) sowie dessen Sohn und Nachfolger August III. (1696-1763).
Innerhalb des thematisch geordneten Abschnitts der Figuren und Figurengruppen ist dem Kavalier am Schreibtisch (Kat. Nr. 54) ein Exkurs von Romana Breuer nachgestellt, der diese Kleinplastik unter dem Aspekt der Brief(roman)kultur des 18. Jahrhunderts betrachtet.
Auf die Katalognummern zu Geschirr mit Augsburger Goldmalerei und Chinoiserien folgt Andreas Baumerichs Artikel über "Meissener Porzellanmalerei und Reisen im 18. Jahrhundert". Nachfolgend schließen sich Katalogeinträge zu Tafelporzellanen, dekoriert mit Veduten und Landschaften, Kauffahrtei und "Allerlei", an. Unter letzterem werden neben Bataillenszenen, Komödienfiguren, galanten Paaren, Watteau-Szenen und Genreszenen auch Tier- und Jagdszenen sowie Vogelmalerei und Allegorien zusammengefasst. Geschirr, verziert mit den verschiedenen Arten der Blumenmalerei auf Porzellan, bildet den Abschluss innerhalb dieser Rubrik.
Die einzelnen Katalogeinträge enthalten neben der Datierung für die Ausformung des Modells wenn möglich die Zuweisung an den Modelleur oder Porzellanmaler (mit Lebensdaten) sowie die zeitliche Entstehung des Modells. Hinzu kommen Material, Technik und Maße. Bei der Porzellanplastik wurde auf Angaben zu Breite und Tiefe verzichtet. Dem folgen Angaben zu Marken und Zeichen auf den Objekten vor Inventarnummer(n) und der nur selten übermittelten Provenienz.
Lassen sich Vorlagen für die Modelle benennen, werden sie ebenso angeführt. Zitate aus den seit 1731 von der Manufaktur geforderten Arbeitsberichten der Modelleure und der "Taxa derer vom H. Modell-Meister Kaendler, zur Königl. Porcelaine-Manufactur in Meiszen seit Ao 1740. gefertigten und gelieferten neuen Modelle" dienen als Beleg für die Datierung sowie die künstlerische und technische Entstehungsgeschichte der Objekte.
Besonders hervorzuheben sind die brillanten Farbfotografien der Porzellane von Marion Mennicken. Unter dem klar gegliederten Layout Helmuth Malzkorns werden vielen Katalognummern häufig ein bis zwei Seiten gewidmet. Großformatigen, das Objekt von mehreren Seiten erfassenden Abbildungen folgen bestechende Detailaufnahmen. Dem werden Reproduktionen der erwähnten Vorlagen gegenübergestellt. Soweit nachweisbar, wird die Manufakturmarke der gekreuzten Kurschwerter abgebildet, nahezu immer auch ein vorhandenes Vergolderzeichen. Malerzeichen, Pressnummern oder -zeichen erscheinen eher zufällig im Foto, wenn sie sich in unmittelbarer Nähe zu oben genannten Marken befinden. Erhielten Porzellane Montierungen in Metall oder Edelmetall, sind auch darauf angebrachte Meistermarken, Beschauzeichen und Einfuhrstempel im Foto erfasst.
Angaben zu den Autorinnen und Autoren sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis komplettieren den Ausstellungskatalog.
Verdienst von Ausstellung und Katalog sind das Vermitteln und Dokumentieren dieser bisher unpublizierten Privatsammlung für die Öffentlichkeit - Wissenschaft und Kunsthandel, Sammler und interessierte Laien. Zu wenig Berücksichtigung finden allerdings das Problem der zeitlichen Einordnung anhand der Staffierung bzw. Bemalung sowie der Nachweis von weiteren Ausformungen in öffentlichen oder privaten Sammlungsbeständen.
Patricia Brattig (Hg.): Meissen. Barockes Porzellan, Stuttgart: Arnoldsche Art Publishers 2010, 432 S., ISBN 978-3-89790-329-6, EUR 49,80
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.