Anders als fiktionale Literatur erhebt Geschichtsschreibung den Anspruch, von tatsächlich Vorgefallenem zu berichten. Die Aufgabe des Historikers, der Geschichtsschreibung als Quelle betrachtet und auf ihren Wahrheitsgehalt befragt, scheint dadurch wie selbstverständlich legitimiert: Er kritisiert die Texte nach ihren eigenen Maßstäben.
Geschichtsschreibung aber ist nicht gleich Geschichtsschreibung. Es ist ein Unterschied, ob Geschichtsschreibung sich als immer noch verbesserbaren und kritisierbaren Beitrag zu einem großen Projekt historischer Epochenrekonstruktion betrachtet oder ob sie heilsgeschichtlich aufgeladen ist und ihren Wahrheitsanspruch eben nicht oder nicht in gleicher Weise zur Disposition stellt. Diese Art Geschichtsschreibung nähert sich fiktionaler Literatur, wie ja überhaupt die Kategorisierung in fiktionale und nicht-fiktionale Literatur für voraufklärerische und religiös aufgeladene Geschichtsschreibung problematisch ist, und das gilt auch und gerade für die islamische Geschichtsschreibung.
Insofern ist es ein Schritt in die richtige Richtung, wenn Matthias Vogt mit seiner Dissertation "Figures de califes entre histoire et ficition" die Geschichtsschreibung der Abbasidenzeit als das betrachtet, was sie zunächst ist, nämlich als Literatur. Allerdings unterscheidet Vogt so gut wie nicht zwischen dem, was wir landläufig unter Geschichte bzw. Geschichtsschreibung verstehen, und dem Wahrheitsanspruch, den die quasihistoriographischen Werke der Abbasidenzeit erheben.
Das zeigt sich schon im ersten, theoretischen Teil ("Première partie", 19-80), den Vogt seiner Analyse der Kalifenfiguren al-Walīd b. Yazīd und al-Amīn in der abbasidischen Geschichtsliteratur voranschickt. In Auseinandersetzung mit den einschlägigen Theoretikern der Geschichtsschreibung und Narratologie (H. White, H.R. Jauss, R. Barthes, P. Ricouer, K. Stierle) arbeitet Vogt einige Grundsätze heraus, die im Rahmen jeder literaturwissenschaftlichen Dissertation als trivial empfunden würden, aber innerhalb der Islamwissenschaft angesichts ihrer eklatanten Theoriearmut ein dringendes Desiderat erfüllen. Ergebnisse sind unter anderem die Einsicht, dass historische Ereignisse nie in ihrer reinen Faktizität, sondern immer nur als Berichte von historischen Ereignisse gegeben sind; die Einsicht, dass die Art und Weise, wie historische Ereignisse in Berichte gebracht werden, durch den Horizont und die Aussageabsichten der Geschichtsschreiber bedingt ist; und die Einsicht, dass Geschichtsschreibung und fiktive Erzählung die gleichen narrativen Strukturen aufweisen. Anstatt nun aber ganz auf den Narrationscharakter der historischen wie auch der fiktionalen Erzählung abzustellen und die Unterscheidung fiktional / historisch zu suspendieren - das schiene mir die Konsequenz aus dem, was Vogt vorträgt, und auch aus der Sache selbst - , hält Vogt, wie im Untertitel schon angekündigt, an "ficition" als Gegenbegriff zu "histoire" fest. Abgesehen davon, dass der Gegenbegriff zu "ficition" eigentlich "réel" lauten müsste, wobei "histoire" dann den Raum zwischen "ficiton" und "réel" einnehmen würde, unterstellt das "entre" der islamischen Geschichtsliteratur eine Hybridität, die sie so nicht hat. Sie erscheint nur dann als ein "Zwischen", wenn man eine ihr fremde Unterscheidung zwischen fiktionaler und nicht-fiktionaler Literatur = Geschichte, an sie heranträgt.
Gegenüber Hans Robert Jauss, der im Verweis auf die "in geschichtlicher Erfahrung" immer schon wirkende "Fiktionalisierung" den Unterschied zwischen den "res factae" und den "res fictae" nivelliert, wahrt Vogt Distanz ("H. R. Jauss pense que ", 23); Ricoeurs Betonung des ganz eigenen Charakters der Geschichtsschreibung, der darin besteht, dass sie wirklich Vergangenes zu repräsentieren beansprucht, hingegen erscheint Vogt anschlussfähiger (32). Aber meint Ricoeur mit Geschichte auch so etwas wie die abbasidischen tārīḫ-Werke? Und wenn auch nicht: Lassen Ricoeurs Überlegung sich übertragen? Beanspruchen nicht die Prophetenlegenden (qiṣaṣ al-anbiyāʾ), die wir vielleicht als fiktionale Literatur klassifizieren würden, in gleicher Weise wirklich und wahrhaft Geschehenes zu repräsentieren, wie das auch die Berichte vom Sturz des Umaiyadenkalifen al-Walīd tun? Lässt sich der ganz eigene Wahrheitsanspruch dieser Literatur überhaupt mit den Kategorien von fiktionaler und historischer bzw. nicht-fiktionaler Literatur einfangen? Das sind Fragen, denen sich Vogt leider nicht gestellt hat. Er überträgt die Kategorien "Geschichte" und "Fiktion" ohne Modifikation vom theoretischen Diskurs abendländischer Historik und Narratologie auf die Geschichtsliteratur der Abbasidenzeit.
Etwas mehr Sensibilität für die Problematik, die mit der Übertragung literaturwissenschaftlicher Begriffe aus der europäischen auf die islamische Tradition verbunden ist, zeigt Vogt beim Begriff des Autors, der ebenso wie der Fiktionalitätsbegriff nur sehr eingeschränkt auch für die islamische Literatur gilt. In einem Unterkapitel zu den "Particularités de l'historiographie arabe" (34-41) weist Vogt darauf hin, dass die islamische Literatur zum Großteil aus Kompilationen kurzer Textmodule, im Falle der historischen Literatur sogenannten aḫbār, besteht, und es sich damit um eine Literatur handelt, auf die sich unsere Begriffe von Autorschaft nicht ohne weiteres übertragen lassen. Ansätze von Autorschaft zeigen sich je nachdem, wie der Geschichtsschreiber sich zu den überlieferten Texteinheiten verhält. Respektiert der Autor die überlieferten Texteinheiten oder hebt er sie auf und verfasst aufgrund der Informationen, die er ihnen entnimmt, eigenständig die Texte seines Werkes? In diesem Fall wäre er so etwas wie ein Autor; im anderen Fall könnte er seine eigenen Aussageabsichten nicht durch das selbständige Verfassen, sondern nur durch das Verwenden fertiger Texte zum Ausdruck bringen.
In dem anschließenden Unterkapitel "Le corpus de textes" (41-52) begutachtet Vogt seine Quellen dann daraufhin, ob sie autorenlose Überlieferungskompilationen darstellen wie aṭ-Ṭabarīs (gestorben 310/923) großes Geschichtswerk Taʾrīḫ ar-rusul wa-l-mulūk oder ob es sich um einen durchgängigen Text handelt, der somit von einem Autor, keinem bloßen Kompilator, stammen muss, wie ein anonymes Werk (!) mit dem Titel Kitāb al-Imāma wa-s-siyāsa. Diese Frage wird im Folgenden immer wieder aufgenommen. Vor allem in dem großen, zweiten Kapiteln beleuchtet Vogt nebenbei auch die Spannung zwischen einem potentiellen Autorenwillen und den Gegebenheiten der ḫabar-Überlieferungen.
Das eigentliche Thema im zweiten Kapitel "Conceptions de l'histoire et mise en intrigue historique" (81-210) aber ist die Frage, wie aus dem überlieferten Material zusammenhängende Geschichten werden. Der Handlungsstrang (intrigue, plot) eines historischen Berichts konstituiert sich überhaupt erst unter der Führung ideologischer Setzungen. Vogt arbeitet eben diese ideologischen Prämissen, die hinter den Geschichten stehen und die Geschichten fundieren, heraus. Er hat dabei die Vorstellung, es gäbe gewissermaßen ideologiefreie bzw. die Realität abbildende, nicht-fiktionale Berichte, die, indem der Historiker sie seiner Geschichtskonzeption unterwirft, zumindest teilweise fiktionalisiert werden. Das ist inkonsequent und, wie ich meine, falsch.
Vogt beginnt mit der Feststellung: "Les événements du passé n'ont pas de fin en soi, nous nions donc toute finalité d'un événement" (82). - Einverstanden, nur sind uns die Ereignisse der Vergangenheit nicht anders als in Berichten gegeben und diese Berichte haben immer eine gewisse Finalität.
"Si les fins auxquelles les historiens emploient les faits ne leur sont pas inhérentes, elles ne peuvent relever du réel historique, mais seulement de l'imaginaire de l'historien" (82). - Auch einverstanden, nur, dass die Historiker, wie schon gesagt, keine Ereignisse verwenden, sondern Berichte von Ereignissen, die schon durch ein imaginaire geprägt sind.
"La mise en intrigue sous le signe d'une conception de l'histoire est, par conséquent un acte de ficition" (82f.). - Sicherlich, doch ist dann jeder Bericht Fiktion, denn es ist nicht nur eine wie auch immer teleologische Geschichtskonzeption, die den Ereignissen Finalität unterstellt. Das macht jede auch noch so nüchterne und noch so sehr um Objektivität bemühte Erzählung. Eine Erzählung stellt als Erzählung neben der Handlung, von der sie berichtet, selbst eine Handlung dar - mit Stierle eine sog. Texthandlung - und trägt insofern eine Intentionalität bzw. Finalität. Wenn das ein Zeichen von Fiktion sein soll, dann ist jede Erzählung fiktional, und die Unterscheidung in fiktionale und nicht-fiktionale Erzählung wird hinfällig. Die Unterscheidung zwischen Fiktion und Geschichte ist ebenso fragwürdig wie die ihr zugrunde liegende Differenzierung zwischen der (zumindest potentiell realitätsnahen) Herstellung eines plots und der (dann schon fiktiven) Überformung des nackten plots durch eine bestimmte Geschichtskonzeption.
Die Konsequenzen dieses Denkfehlers für die konkreten Textanalysen halten sich aber glücklicherweise in Grenzen. Vogt untersucht die Geschichte von al-Walīd in zehn und von al-Amīn in sieben Werken der Abbasidenzeit von al-Madāʾinī (gest. 228/843) bis zu Ibn al-Gawzī (gest. 597/1200). Handlungselemente treten auf und verschwinden, wechseln ihre Konstellation und ihre Signifikanz. Veränderungen eines Elements verändern den Sinn des Gesamtgefüges. al-Masʿūdī etwa, der Šīʾit, stellt seinem Bericht von al-Walīds Sturz die Geschichte von der Ermordung des ʿAliden Yaḥyā b. Zaid unter al-Walīds Herrschaft voran (128), was einmal, wie Vogt betont, al-Walīds Ungerechtigkeit illustriert, ja auch die Möglichkeit eröffnet, al-Walīds Schicksal als gerechte Strafe zu verstehen. Die Ermordung von Yaḥyā b. Zaid gehört für al-Masʿūdī zur Geschichte von al-Walīd. Vogt zeichnet implizite Akzentsetzungen dieser Art mit viel Akribie und hermeneutischem Takt nach.
Die Geschichtsschreiber bedienen sich aus einem Reservoir überlieferter Informationen und konstruieren daraus nach Maßgabe ihrer Geschichtskonzeptionen und Aussageabsichten Handlungen. Dass beispielsweise al-Walīd kurz vor seiner Ermordung Koran gelesen haben soll, stellt als Anspielung auf ʿUṯmān und den Beginn des ersten Bürgerkriegs ein solches bedeutungstragendes Element dar. Die Parallele zwischen al-Walīd und ʿUṯmān entlastet al-Walīd zumindest teilweise von den Vorwürfen, die gegen ihn erhoben werden, und stellt die Revolte gegen ihn in die schlechte Tradition innerislamischer Spaltungen.
An anderer Stelle sagt Vogt, dass die Ereignisse vom Geschichtsschreiber so zu Zeichen gemacht werden (214, wiederholt 290). Statt von Ereignissen hätte er besser von Ereignisberichten oder Handlungselementen gesprochen, denn es ist keinesfalls ausgemacht, sondern sogar sehr unwahrscheinlich, dass al-Walīd unmittelbar vor seiner Ermordung tatsächlich Koran gelesen hat. Ob er es nun hat oder nicht, ist für die Verwendung und Signifikanz dieses anekdotischen Elements unerheblich. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Prinzipiell sind den Historiographen keine Ereignisse gegeben, sondern Berichte, die selbst schon von ideologischen Konzeptionen beherrscht (für Vogt also "fiktiv") sind.
Abgesehen davon aber ist Vogt natürlich zuzustimmen: Die Elemente der Geschichtsschreibung, die er untersucht, stellen eine Art Sprache dar. Ihre komplexen Zeichen bestehen aus überlieferten Informationen, kurzen Anekdoten und Berichten, aus denen der Geschichtsschreiber umfassendere Handlungszusammenhänge konstruiert. Dieser Sprachcharakter und der damit einhergehende hohe Grad an Standardisierung der einzelnen Elemente, die als feste Einheiten aufgegriffen, mehr oder weniger abgewandelt und zusammengestellt werden, fordert im Grunde eine Typologie, die in synoptischer Perspektive die Geschichten aufbricht und das Inventar der von ihnen verwendeten Elemente erstellt. Ein solches Inventar wäre zumindest ein sinnvolles Komplement zu dem von Vogt gewählten Ansatz, den literarischen Gestaltungswillen hinter den einzelnen Geschichtskompositionen zu erfassen. Dass Vogt es nicht in Angriff genommen hat, kann ihm schlecht zum Vorwurf gemacht werden, würde es doch eine eigene Dissertation umfassen. Eine solche im Anschluss an Vogt unternommene Arbeit bleibt jedenfalls ein Desiderat. Titelvorschlag in Anlehnung an Stetter: Topoi und Schemata der aḫbār-Literatur, wobei hinzu gesagt werden sollte, dass fast alles an dieser Literatur Topos und Schema ist.
Vogts Anliegen trägt demgegenüber dann doch einen etwas anderen Akzent. Abgesehen von dem theoretischen Rahmen geht es Vogt darum, ein Stück abbasidischer Literaturgeschichte zu schreiben, wobei ein Gutteil der Innovativität seines Ansatzes darin besteht, dass er die Historiographie eben nicht als Quelle für die Ereignisgeschichte, sondern als einen Teil dieser Literaturgeschichte betrachtet. Zu seiner Entschuldigung bringt er vor, dass es sich bei der Literaturgeschichte doch auch nur um eine Art Geschichte handelt, und in den beiden letzten Kapiteln, die kurzgefasste Nachträge zum zweiten, großen Kapitel liefern, widmet er sich wieder konventionelleren Fragestellungen.
Im dritten, "Narrativité" überschriebenen Kapitel (211-254) untersucht Vogt die Ausgestaltung der Erzählung mittels narrativer Techniken. Wie Vogt selbst sagt, existieren schon einige Untersuchungen dieser Art (Beaumont, Leder u.a.). Unter Rückgriff auf die von Gérard Genette entwickelte Terminologie beschreibt Vogt den Verlauf dreier Textstücke. In einer rechten Spalte neben dem Text sind die Kommentare angebracht. Vogt registriert die Abfolge der einschlägigen Techniken wie etwa "récit sommaire", "voix du narrateuer" u.a. Der Mehrwert dieser Untersuchung, die etwas selbstzweckhaft anmutet, fällt nicht sofort ins Auge. Vogt fasst ihr Resultat wie folgt zusammen: "L'analyse des techniques narratives montre que le récit historique n'est pas une simple reproduction des événements, mais que la matière historique est transformée et élaborée" (254). Dafür braucht es nun wahrhaft keines Beweises mehr. Es ist a priori ausgemacht, dass kein Bericht das Geschehen, von dem er berichtet, reproduziert, und zwar allein schon, weil das Geschehen zu vielfältig ist, als dass es überhaupt sprachlich wiedergegeben werden könnte. Es muss immer ausgewählt werden, um eine berichtbare Handlung zu konstruieren. Auswahl aber ist Interpretation und Bearbeitung. Sie folgt ideologischen Konzeptionen und konstruiert anstatt wiederzugeben. Das ist auch schon nach dem theoretischen Teil klar. Ebenso sind die weiteren Ergebnisse, etwa eine für die arabische Historiographie charakteristische Tendenz, auktoriale Eingriffe zu vermeiden, schon im zweiten Kapitel festgestellt worden.
Ein interessantes Resultat dieses dritten Kapitels ist allerdings die Freilegung des Collagierungsprinzips. Da Vogt sehr textnahe Untersuchungen durchführt, wird bei dem Kompilator al-Madāʾinī deutlich, dass wir es bei seinem Text mit einer Collage zu tun haben. Es sind in dem von Vogt gewählten Abschnitt vor allem Gedichte und Briefe, die als Versatzstücke fungieren, die Methode aber ist die gleiche wie bei Kompilationen generell. Die Verfasser solcher Werke verwirklichen ihre Aussageabsichten, indem sie nicht nur bestimmte, festgelegte Handlungselemente und historische Informationen verarbeiten, sondern auch, indem sie fertige Texte verwenden. Das hätte die Möglichkeit geboten, zu untersuchen, wodurch sich ein Erzählen auszeichnet, dass sich fertiger Texte bedient. Genettes Inventar an Begriffen ist dabei vielleicht sogar störend. Eher als Genette würde sich Claude Levy-Strauss und sein Konzept der bricolage anbieten. Die Konstruktion von längeren Texten aus kürzen Texten ist nichts anderes als eine bricolage im Sinne von Claude Levy-Strauss. In den Kompilationen nicht nur der islamischen Historiographie, sondern der islamischen Literatur generell zeigt sich ein ganz eigenes wildes Denken, von dem wir noch keinen Begriff haben.
Wie ist es etwa zu bewerten, dass, um eines von Vogts Beispielen aufzugreifen, aṭ-Ṭabarī einen Augenzeugenbericht zur Ermordung al-Amīns aus dem Mund von Aḥmad b. Sallām als ḫabar-Einheit en bloc in sein großes Geschichtswerk aufgenommen hat? Vogt arbeitet mithilfe seiner Analyse der narrativen Techniken die Aussageabsichten dieses Berichts heraus und schreibt sie wie selbstverständlich dem Ich-Erzähler Aḥmad b. Sallām zu, ohne aṭ-Ṭabarī zu erwähnen. aṭ-Ṭabarī aber hat diesen Bericht immerhin ausgewählt und ihn in seine Kompilation aufgenommen. Sollte aṭ-Ṭabarī ihn auch nicht verändert haben, was wir, solange keine Parallelüberlieferung existieren, nicht wissen können (zumindest kleinere Eingriffe in den Text auch durch den Kompilator sind sehr wahrscheinlich), so würde er allein schon durch die bloße Auswahl des Berichts an den Aussagen des Berichts partizipieren. Er hätte sie sich zu eigen gemacht, würde mit und durch Aḥmad b. Sallām sprechen, so dass man die Aussagen des Berichts weder allein auf Aḥmad b. Sallām noch auf aṭ-Ṭabarī zurückführen kann. Die Lösung dieses Problems scheint mir eher in Richtung von Foucaults/Becketts "Was liegt daran, wer spricht?" zu liegen und weniger in Leders Vorstellung davon, dass in den Texten "verschiedene Standpunkte in einer nur für den Kenner identifizierbaren Weise deutlich werden" und dieser Diskurs "die Stimmen der Autoren gleichsam reiht, nicht konfrontiert, sich implizit äußert und Ausschluss vermeidet" (37). Nicht jede Modifikationen an einem Text, die wir literarkritisch nachweisen können, muss den Verwendern und Rezipienten bewusst gewesen sein. Eine solche Sicht scheint den Autorbegriff durch die Hintertür in eine eigentlich schon als autorenlos erkannte Literatur einführen zu wollen. Wie dem auch sei: Es sind noch viele Frage zu klären, und noch viel Theoriearbeit muss geleistet werden, bevor eine abgesicherte Aufarbeitung dieser autorenlosen Literatur beginnen kann. Soweit das dritte Kapitel.
Im vierten, "Référencialité" (255-285) überschriebenen Kapitel untersucht Vogt die Signifikanz von Träumen, von Vorhersagen und von Metaphern. Das Gemeinsame dieser Erzählelemente ist, unabhängig von Vogt gedacht, dass sich in ihnen die Sinnzuschreibung des Geschichtsschreibers, die auch schon seine gesamte Erzählung regiert, verdichtet. Anders als die Träume und Vorhersagen, die als solche gegeben sind, werden die Metaphern von Vogt zu solchen erklärt. Es geht konkret um einen Fisch im Palastteich von al-Amīn, die Wildesel, die der Kalif al-Walīd zu jagen pflegt, und fehlendes Trinkwasser für den Kalifen al-Amīn. Die von Vogt unter Berufung auf Hayden White festgestellte metaphorische Struktur von Geschichtsschreibung überhaupt (255) macht es aber problematisch, Metaphern herauszugreifen, zumal, wie Vogt selbst sagt, gerade die arabische Geschichtsschreibung, die er untersucht, sich dadurch auszeichnet, dass "les récits métaphorique ne rendent pas impossible une intérpretation littérale" (256). Sie signalisieren also nicht selbst, dass es sich um Metaphern handelt.
Auf Vogts Aussage "La métaphore est, dans ce cas, un moyen d'interpréter les événements du passé et de leur donner un sens, sans sortir du cadre d'une représentation du passé qui est en surface représentation de faits" (257) könnte man erwidern, dass es doch schon Aufgabe der Geschichtsliteratur überhaupt ist, "d'interpréter les événements du passé et de leur donner un sens, sans sortir du cadre d'une représentation du passé qui est en surface représentation de faits."
Vogts Deutungen beispielsweise des Fisches als eines aus dem Avesta stammenden Symbols der Königsherrschaft aber überzeugen, so dass es vernachlässigbar scheinen mag, ob man das Ganze nun als Metapher ansprechen will oder nicht. Eine Literatur, die sich festgefügter Elemente bedient, seien es nun die Textmodule der aḫbār oder stofflich festgelegte Elemente, wird mit dem, was sie sagt, immer auch anderes aussagen. Insofern gilt Vogts Resümee des vierten Kapitels für die gesamte Studie und nicht nur für Sonderfälle einer metaphorischen oder anders gearteten Bedeutungsverdichtung: "Les événements et les personnages ne sont pas considérés dans leur facticité mais c'est la signification de l'événement qui se trouve au centre de l'intérêt" (285).
Faktizität, so würde ich nur ergänzen wollen, liegt nicht einmal in Berichten ohne im engeren Sinn metaphorische Bedeutungsebene vor. Schon die Herstellung eines plots schreibt Ereignissen Bedeutung zu und verarbeitet sie intellektuell. Eine "qualité noétique" (285) ist schon im bloßen, nicht-metaphorischen Bericht angelegt. Hier und auch in der abschließenden Zusammenfassung ("Résumé et Conclusions", 287-300) macht sich noch einmal Vogts, wie ich meine, ebenso inkonsequente wie auch überflüssige Unterscheidung zwischen einer objektiven, die Realität spiegelnden, interpretationsfreien Erzählung und einer fiktionalen Ebene geltend, auf der die Interpretation der Ereignisse durch den Geschichtsschreiber angesiedelt ist.
Vogt hält in der abschließenden Zusammenfassung zwei Absichten des Geschichtsschreibers auseinander, einmal die Darstellung der "realité dans sa facticité", dann aber auch "la signification du passé pour le présent de l'historien" (296). Ich würde sagen, dass die islamischen Geschichtsschreiber, die mit der modernen Historik und Narratologie noch nicht vertraut waren, zwar der Auffassung waren und den Anspruch hatten, wirklichste Wirklichkeit zu beschreiben, aber gerade deshalb natürlich nichts anders produziert haben als Geschichtsbilder und Geschichtsauslegungen, die ganz von der Gegenwart des Geschichtsschreibers und seinem Horizont geprägt waren.
In diesem Sinn hätte Vogt, anstatt sein duales Schema von Realität und Fiktion abschließend im Anschluss an W. Iser noch um das Imaginäre zu erweitern ("Epilogue", 296-300), dieses Schema besser ganz aufgegeben und das "entre histoire et fiction" aus dem Titel gestrichen: "Figures de califes - al-Walīd b. Yazīd et al-Amīn dans la représentation de l'historiographie arabe de l'époque abbaside." Da jenes "entre histoire et fiction" weniger Vogts konkrete Untersuchungen, sondern eher den theoretischen Rahmen und die Interpretation der Ergebnisse betrifft, leidet die Studie darunter nicht in ihrer Substanz. Und auch der theoretische Rahmen selbst steckt voller weiterführender Ansätze.
Ich habe mit Kritik nicht gespart, will meine Kritik aber ausdrücklich als Würdigung verstanden wissen. Diese Arbeit ist eine reichhaltige Inspirationsquelle. Sie verlässt die Sackgasse historistischer Forschung und begibt sich auf die Suche nach einer Perspektive, die den islamischen Geschichtswerken eher gerecht wird. Ein echter Durchbruch gelingt ihr aber, da sie Geschichtsschreibung immer noch im Gegensatz zu fiktionaler Literatur sieht, nicht. Allerdings könnte eine Auseinandersetzung mit Vogt viel zur theoretisch-methodischen Weiterentwicklung der Islamwissenschaft beitragen. Vogts Dissertation gehört sicherlich mit zum Besten, was die Islamwissenschaft in den letzten Jahren hervorgebracht hat.
Matthias Vogt: Figures de califes entre histoire et fiction. Al-Walīd b. Yazīd et Amīn dans la représentation de l'historiographie arabe de l'époque ʿabbāside (= Beiruter Texte und Studien; Bd. 106), Würzburg: Ergon 2006, XIII + 368 S., ISBN 978-3-89913-440-7, EUR 54,00
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