sehepunkte 12 (2012), Nr. 6

Tessa Friederike Rosebrock: Kurt Martin und das Musée des Beaux-Arts de Strasbourg

Kurt Martins (1899-1975) Amtszeit als Direktor der Karlsruher Kunsthalle und des Badischen Armeemuseums, als Staatlicher Bevollmächtigter für die Kunstsammlungen im Elsass und Generalverwalter der oberrheinischen Museen (GVOM) sowie als staatlicher Bevollmächtigter für die Sicherstellung von Kunstbesitz aus volks- und reichsfeindlichem Vermögen im Elsass fällt in die Zeit der Herrschaft der Nationalsozialisten, die ihn in sein Amt beriefen und denen er bis Kriegsende unterstand. In Karlsruhe war Martin ab 1926 tätig, als Direktor wurde er 1934 ernannt und blieb bis 1956 im Amt. Biografische Details wie diese lassen aus heutiger Sicht sofort Fragen nach Kontinuitäten zu wie auch Zweifel an der Rechtschaffenheit des Amtsinhabers, und nicht zuletzt drängen sich Mutmaßungen über Verstrickungen in die Aktivitäten des organisierten Kunstraubes auf. Gleichzeitig steht gerade Kurt Martin für vorbildliche, auf Internationalität gerichtete museumspolitische Aufbauarbeit der Nachkriegszeit. Als Mitbegründer des International Council of Museums, Berater des Auswärtigen Amtes, Direktor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen ab 1957 und Berater der ersten Documenta wie auch der Olympischen Spiele prägte er ganz wesentlich die deutsche Museumsgeschichte der 60er- und 70er-Jahre.

Rosebrock verknüpft in ihrer Publikation Martins Biografie mit den Institutionsgeschichten der genannten Museen und widmet sich auch ausführlich Täterbiografien nationalsozialistischer Kunstbevollmächtigter wie beispielsweise der von Robert Wagner (1895-1946), Gauleiter und Reichsstatthalter in Baden und im Elsass und Nominator von Kurt Martin an die Spitze der GVOM. Dessen ehrgeizige Pläne für Kunst und Kultur standen ganz in der nationalsozialistischen Ideologie und gründeten auf einem Kunstverständnis, das von einer germanischen Kunstproduktion und deren förderlichen Einfluss in den besetzten Ländern, vor allem im Elsass gründete und Straßburg zum hervorragenden ersten Kulturzentrum des Deutschen Reiches machen sollte. Einen weiteren Schwerpunkt legt die Autorin auf die Bewertung der Verdienste des seit 1907 bis zu seiner erzwungenen Ausreise an den Straßburger Museen tätigen Hans Haug (1890-1965), mit dem Kurt Martin über alle nationalsozialistischen Zwänge, Verbote und Gesetze hinweg stets einen kollegialen Austausch pflegte und den er auch vor politischer Verfolgung zu schützen versuchte.

Basierend auf umfangreichen Quellenstudien und unter Berücksichtigung wichtiger, bislang nicht zugänglicher bzw. nicht erschlossener Bestände entsteht eine wertende, äußerst detailreiche Schilderung von Martins Aktivitäten, die sich von denen zeitgleicher Museumskarrieren doch in etlichen Punkten grundlegend unterscheiden.

Während der größere Teil der deutschen Museumsdirektoren, die nach 1933 im Amt blieben bzw. ernannt wurden, hinsichtlich der Erweiterung ihrer Sammlungen in der Regel hinter den Direktoren des Sonderauftrages und den Bevollmächtigten für die Sammlung Göring zurückstanden und über so gut wie keine Ankaufsetats in Devisen verfügten, war Kurt Martin in seiner Position als Bevollmächtigter für die Kunstsammlungen im Elsass in der Lage, mit einem gut gefüllten Etat ab 1941 Einkaufsreisen in Paris und Holland zu tätigen. Das Palais Rohan sollte nach den ehrgeizigen Plänen Wagners zu einer Kunstsammlung von europäischer Bedeutung ausgebaut werden, für die ein Etat von 2 Millionen Reichsmark zur Verfügung stand. Weiter hatte Martin sich ausbedungen, Neuankäufe ohne die Beratung mit einer Ankaufskommission tätigen zu können. Martin war also in einer überaus privilegierten Position, die es ihm ermöglichte nach eigenem Urteil zwischen 1940 und 1944 an die 500 Werke im Namen der GVOM anzukaufen.

Martin selbst schrieb 1947, er habe es stets vermieden, aus beschlagnahmten Beständen zu kaufen. Tatsächlich befanden sich unter seinen Erwerbungen jedoch auch Kunstwerke aus ehemals jüdischem Besitz, ebenso kann man klar erkennen, dass Martin seine Ankäufe bei den in den nationalsozialistischen Kunstraub verstrickten Händlern tätigte. Quellen für diese ausführlichen Betrachtungen sind die erst 2004 von der Autorin im Karlsruher Generallandesarchiv wieder aufgefundenen Geschäftskorrespondenzen Martins zwischen 1940 und 1944.

Nach der Bombardierung Straßburgs im August 1944 ließ Robert Wagner sämtliche Aktivitäten des Museumsbetriebs im Elsass einstellen und ordnete Bergung und Konservierung der Kunstwerke vor Zerstörung an, was Martin umsetzte und für Hans Haug schriftlich überlieferte, der bereits im Dezember 1944 seinen Dienst für die Straßburger Museen wieder aufnahm. Martin zog sich dann für die letzten Kriegsmonate mit seiner Familie an den Bodensee zurück, wo er einen Bericht über seine Aktivitäten als Generalverwalter der oberrheinischen Museen verfasste, in dem er sämtliche Aufbewahrungsorte der von ihm dorthin verbrachten Kunstwerke und deren Ankaufsbestimmungen festhielt. Aufgrund seiner guten Kenntnis der Bergungsorte wurde Martin zu einem wichtigen Unterstützer der Kunstschutzoffiziere der amerikanischen Militärregierung. Seine eigenen an der Spitze der GVOM getätigten Ankäufe wurden nach Auffindung und Sichtung im Wiesbadener Collecting Point wie folgt verteilt: Sämtliche in Holland erworbenen Werke sollten an die Niederlande zurückgehen, sämtliche im deutschen Kunsthandel erworbenen Werke an die Kunsthalle in Karlsruhe. Die in Paris für Karlsruhe erworbenen Werke wurden an Frankreich restituiert und die in Frankreich für Straßburg erworbenen Kunstwerke überführte man ins Elsass.

Eine Einordnung Martins unter Berücksichtigung seiner Aktivitäten vor und nach 1945 leidet stets unter dem "Blick zurück nach vorn". Jeder Versuch, seine Ankaufspolitik zu bewerten, wird problematisch, da er als Beauftragter der Nationalsozialisten an einer der tragenden und privilegiertesten kulturpolitischen Stellen des 'Reiches' an dessen Vollendung mitwirkte. Jeder Blick auf die Aktivität nach 1945 steht unter dem Deckmantel der für einen Neubeginn zwingend notwendigen Entnazifizierung, jeder Beweis von Integrität nach Kriegsende muss im Angesicht des nicht erfolgten Widerstands gegen das Unrechtsregime bewertet werden. Daher stimmen die Überlegungen der Autorin zugunsten einer Entlastung Martins im Angesicht der so umfangreichen wie qualitätsvollen Untersuchung abschließend nachdenklich.

Die zweifellos als grundlegend zu bezeichnende Arbeit von Tessa Rosebrock über Kurt Martin und sein Wirken als Museumsdirektor in der Zeit des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit thematisiert zwei wesentliche und bislang als Desiderate zu verzeichnende Phasen der Museumsgeschichte sowohl der Karlsruher als auch der elsässischen Museen. Der umfangreiche Band rekonstruiert minutiös die wesentlichen beruflichen Stationen Martins und seine Erwerbungen für die jeweiligen Sammlungen. Die 2012 mit dem Johann-Daniel-Schöpflin-Preis ausgezeichnete Autorin stützt sich auf ihre eigene mehrjährige Quellenauswertung in den relevanten Archiven und berücksichtigt neueste Literatur zu dem Spezialgebiet der hier relevanten Provenienzforschung. Die komplexen Hintergrundinformationen samt umfangreichem Fotomaterial und Dokumenten sind von der Autorin in angenehm lesenswerter Form aufbereitet.

Rezension über:

Tessa Friederike Rosebrock: Kurt Martin und das Musée des Beaux-Arts de Strasbourg. Museums- und Ausstellungspolitik im 'Dritten Reich' und in der unmittelbaren Nachkriegszeit (= Ars et Scientia. Schriften zur Kunstwissenschaft; Bd. 2), Berlin: Akademie Verlag 2012, XII + 481 S., zahlreiche Abb. und Dokumente, ISBN 978-3-05-005189-5, EUR 99,80

Rezension von:
Andrea Christine Bambi
Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München
Empfohlene Zitierweise:
Andrea Christine Bambi: Rezension von: Tessa Friederike Rosebrock: Kurt Martin und das Musée des Beaux-Arts de Strasbourg. Museums- und Ausstellungspolitik im 'Dritten Reich' und in der unmittelbaren Nachkriegszeit, Berlin: Akademie Verlag 2012, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 6 [15.06.2012], URL: https://www.sehepunkte.de/2012/06/21327.html


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