sehepunkte 12 (2012), Nr. 7/8

Ronald D. Gerste: Roosevelt und Hitler

Nach seinen Büchern über Abraham Lincoln und Amelia Earhart [1] legt Ronald D. Gerste nun mit Roosevelt und Hitler. Todfeindschaft und totaler Krieg eine weitere Biographie einer für die USA prägenden Persönlichkeit vor. Denn auch wenn Adolf Hitler im Titel vorkommt, im Zentrum des vorliegenden Bandes steht eindeutig der amerikanische Präsident, dem Gerste auch bereits ein Kapitel in seinen Defining Moments. Amerikas Schicksalstage [2] widmete. Adolf Hitler dient vor allem als Kontrast zu dem überzeugten Optimisten und Demokraten, als den Gerste Franklin D. Roosevelt anschaulich beschreibt.

Roosevelts und Hitlers politischer Aufstieg verliefen parallel, beiden verhalf die Weltwirtschaftskrise zum Aufstieg an die Spitze ihres jeweiligen Landes. Hitler ergriff 1933 die Macht, Roosevelt wurde 1933 zum 32. Präsidenten der USA ernannt, beide starben 1945, der eine durch Selbstmord, der andere an einer Hirnblutung. Allerdings könnten die beiden unterschiedlicher nicht sein, hier der mit überwältigender Mehrheit gewählte, gebildete, regierungserfahrene, charismatische Optimist Roosevelt, dort der ungebildete, antidemokratische, hysterische Demagoge und Egomane Adolf Hitler. Diesen dramatischen Gegensatz weiß Gerste gekonnt zu nutzen und zeichnet ein eindrückliches Bild vom "Duell zwischen dem Demokraten und dem Diktator" (11). Hierbei gelingt es ihm, ganz im Gegensatz zur allgemeinen Tendenz in der gängigen Geschichtsschreibung, zu zeigen, dass historische Ereignisse und Entwicklungen doch entscheidend von einzelnen Personen abhängen können. Er sieht sich einer Meinung mit Thomas Mann, den er mit den Worten zitiert: "Als ich das Weiße Haus verließ, wusste ich, dass Hitler verloren war." (13) Nicht auszudenken, wenn statt FDR ein Isolationist im Weißen Haus residiert hätte. Auch wenn man Gerstes Stil anmerkt, dass er seit längerem in den USA lebt - der überschwängliche Optimismus Roosevelts scheint auch zu Gerstes zweiter Natur geworden zu sein - tut dies der Gesamtdarstellung keinen Abbruch. Im Gegenteil, es bringt dem Leser den amerikanischen Präsidenten als Menschen und Politiker näher.

Prägend war für Franklin D. Roosevelt ein dramatisches Erlebnis, als er mit 39 Jahren an Poliomyelitis erkrankte (nach neuesten Erkenntnissen war es wahrscheinlich das Guillain-Barré-Syndrom), wovon er sich nicht mehr vollständig erholte und für den Rest seines Lebens an den Beinen gelähmt blieb. Dem Kampf gegen diese Behinderung verdankte FDR nicht nur seinen Optimismus, sondern auch sein auffallendes Charisma, das bereits Thomas Mann beeindruckte: "Diese Mischung von Schlauheit, Sonnigkeit, Verwöhntheit, Gefalllustigkeit und ehrlichem Glauben ist schwer zu charakterisieren, aber etwas wie Segen ist auf ihm, und ich bin ihm zugetan als dem geborenen Gegenspieler gegen das, was fallen muss. Hier ist einmal ein Massen-Dompteur modernen Stils, der das Gute oder doch das Bessere will und es mit uns hält wie vielleicht kein Mensch in der Welt. Wie sollte ich es nicht mit ihm halten?" (112). Mit demselben Optimismus überzeugte er die Amerikaner in seinen "fireside chats", den "New Deal" und seine Sozialpolitik zu akzeptieren. So setzte er sich auch gegen seine innenpolitischen Widersacher, die Isolationisten, durch, deren berühmtestem Vertreter, Charles Lindbergh, Ronald Gerste erstaunlich viel Aufmerksamkeit schenkt. Piloten-Biographien scheinen ihn nicht loszulassen.

Seinem außenpolitischen Widersacher und Kriegsgegner, Adolf Hitler, war FDR ebenfalls gewappnet. Seine Deutschkenntnisse erlaubten es ihm, Mein Kampf im Original zu lesen, was ihn zu einem frühzeitigen Warner gegen das 'Dritte Reich' werden ließ (anders als Charles Lindbergh). Gerste schildert wie Roosevelt in seine englische Ausgabe von Mein Kampf notiert: "Diese Übersetzung ist bereinigt und gibt einen vollständig falschen Eindruck von dem, was Hitler wirklich sagt. Das deutsche Original erzählt eine ganz andere Geschichte." (57) Gegenüber dem französischen Botschafter Paul Claudel betonte er im April 1933: "Hitler ist ein Wahnsinniger und seine Berater, von denen ich einige kenne, sind wahrscheinlich noch verrückter als er selbst." (57) Trotz seines Wissens um das "Ausmaß des antisemitischen Hasses bei Hitler" (57), verweigerte Roosevelt den 930 jüdischen Flüchtlingen an Bord der St. Louis (Gerste lässt es sich nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass Lindberghs Flugzeug nach derselben Stadt benannt war) die Einreise in die USA (133), was zur Folge hatte, dass später 234 von ihnen dem Holocaust zum Opfer fielen (135). Auch die anderen eher kritisch zu betrachtenden Seiten Roosevelts, wie der Bombenkrieg gegen Deutschland und Japan und die verfassungswidrige Internierung von amerikanischen Staatsbürgern japanischer Herkunft nach dem Angriff auf Pearl Harbor, finden bei Gerste Erwähnung. Letztere bezeichnet er als "Schandfleck in der Biographie Roosevelts" (194). Gerste betreibt, wie er selbst betont, keine Hagiographie (272), sondern stellt unbequeme Fragen, wie die nach dem Misstrauen gegenüber dem deutschen Widerstand und den Zugeständnissen an Stalin. Was Roosevelts Ansehen und Ruhm letztlich ausmacht, ist für Gerste die Tatsache, dass FDR einen "good war" (272) führte, wie es nach dem 2. Weltkrieg keinen mehr gegeben habe.

Anstatt den aktuellen Forschungsstand zu referieren schreibt Ronald Gerste eine anschauliche und lebendige Biographie Franklin Delano Roosevelts, wobei er sich maßgeblich an bekannten Eckpunkten orientiert. Da sich der Autor überwiegend auf US-amerikanische Quellen stützt und sich in seinem bisherigen Œuvre auch hauptsächlich mit den USA beschäftigt hat, kann man manchen Fehltritt in Bezug auf die deutsche Geschichte leichter verzeihen. Anders als von Gerste behauptet, ließ Adolf Hitler nicht Reichskanzler Heinrich Brüning samt seiner Ehefrau in der "Nacht der langen Messer" erschießen, sondern Kurt von Schleicher (59). Brüning konnte sich vor seiner Verhaftung 1934 in die USA retten, wo er 1970 in Norwich, Vermont starb. Umso gelungener ist dafür Gerstes Darstellung der amerikanischen Perspektiven, seine Betrachtung Roosevelts sowie dessen Gegnerschaft zu Adolf Hitler. Kennt man hierzulande bisher doch vor allem Stalin und Churchill als dessen große Widersacher. Gerste schildert Roosevelts und Hitlers Todfeindschaft aus der Perspektive der beteiligten Personen, was die Jahre von 1933 bis 1945 für den Leser anschaulich und lebendig werden lässt. So erklärt sich letztlich auch der starke Fokus auf Charles Lindbergh, der als innenpolitischer Gegner Roosevelt zusätzlich Kontur verleiht. All dies macht Roosevelt und Hitler. Todfeindschaft und totaler Krieg für ein breites Publikum uneingeschränkt empfehlenswert.


Anmerkungen:

[1] Ronald D. Gerste: Abraham Lincoln: Begründer des modernen Amerika. Regensburg 2008 und ders.: Amelia Earhart. Der Traum von grenzenloser Freiheit. Regensburg 2009. Vgl. hierzu meine Rezension in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 3, URL: http://www.sehepunkte.de/2010/03/17485.html

[2] Ronald D. Gerste: März 1933 - "Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst", in: ders.: Defining Moments. Amerikas Schicksalstage. Regensburg 2002, 171-180.

Rezension über:

Ronald D. Gerste: Roosevelt und Hitler. Todfeindschaft und totaler Krieg, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2011, 312 S., ISBN 978-3-506-77088-2, EUR 29,90

Rezension von:
John Andreas Fuchs
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Empfohlene Zitierweise:
John Andreas Fuchs: Rezension von: Ronald D. Gerste: Roosevelt und Hitler. Todfeindschaft und totaler Krieg, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 7/8 [15.07.2012], URL: https://www.sehepunkte.de/2012/07/19452.html


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