"Boldly Going Where Captain Cook Has Gone Before" (das zeigte vor einigen Jahren der Journalist und Schriftsteller Tony Horwitz) ist ein problematisches Unterfangen: Wie orientiert man sich auf den Spuren einer umstrittenen historischen Figur wie Cook, dem Seefahrer und 'Entdecker' oder dem 'imperialistischen Zerstörer pazifischer Kulturen'? Frank McLynns furchtloser Vorstoß in die Reihe der Cook-Biographen möchte darauf eine Antwort bieten. Für eine Darstellung von Cooks Leben setzt noch immer J. C. Beagleholes postum veröffentlichte Biographie des Seefahrers (1974) Standards. Wenn ein ausgewiesener Experte der postkolonialen Explorationsgeschichte wie Felipe Fernandez-Armesto McLynns Arbeit im Klappentext als eine Leistung würdigt, die Beagleholes Werk deutlich übertreffe, legt dies die Messlatte für eine Beurteilung sehr hoch.
McLynn bietet tatsächlich eine lebendige Darstellung von Cooks Lebensstationen in chronologischer Abfolge - von der Jugend auf den Küstenschiffen des britischen Kohlenhandels bis zum gewaltsamen Tod auf Hawaii. Die siebzehn Kapitelüberschriften geben Hinweise auf die geographische Verortung des erzählten Geschehens, signalisieren dabei aber auch romanhaftes Auf und Ab des Schicksals bis hin zur finalen Tragödie am Strand von Kealakekua Bay.
Besonderen Wert legt McLynn auf Cooks Fähigkeiten als Seemann und Kartograph. Lebensabschnitten, die in der Forschung weniger beachtet wurden, wie Cooks frühe Karriere auf dem nordamerikanischen Schauplatz des Siebenjährigen Kriegs oder bei der Vermessung der Küsten Neufundlands, widmet McLynn ebensoviel Aufmerksamkeit wie den zuletzt intensiv erforschten Aspekten von Cooks pazifischen Entdeckungsreisen. In der farbigen Beschreibung der Arbeits- und Lebensumstände auf rauer See liegt eine Stärke des Buches. Auch Cooks Leistungen in der Küstenkartographie hebt McLynn überzeugend hervor. Jedes Kapitel beginnt mit einer Kartenreproduktion, darunter einige aus dem eindrucksvollen persönlichen kartographischen Oeuvre des Seefahrers. Die Liste der verwendeten Karten (xiii-xv) bereitet McLynn als 'Kartierung Cooks' narrativ auf, wodurch es ihm gelingt, diese besonderen Quellen in seine Darstellung einzubinden.
Jedoch birgt McLynns Entscheidung für das Muster der biographischen Erzählung über einen 'großen Mann' Fallstricke. Der Biograph, der sich in seinen Protagonisten einzufühlen sucht, scheint bisweilen Vorurteile der britischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts zu übernehmen. Während er Cooks Aufstieg aus einfachen Verhältnissen zu einem zentralen Thema des Werkes macht, zollt er Cooks Begleitern zum Teil nur wenig Aufmerksamkeit oder Respekt. Cooks untergebene Offiziere genießen individuelle Würdigung oder Kritik. Die Crew bleibt hingegen ein undifferenzierter, wenig disziplinierter Haufen, aus dem sich Individuen höchstens herausheben, wenn sie für ein Vergehen bestraft werden.
Deutlich mehr Aufmerksamkeit erhalten in McLynns Darstellung diejenigen von Cooks Reisebegleitern, die seinem Kommando nicht unterstellt waren und dem Kommandanten daher Schwierigkeiten bereiten konnten. Für Tupaia und "Omai" (Mai), die im Pazifik zu Cooks erster bzw. zweiter Expedition hinzustießen, fallen McLynns charakterliche Bewertungen recht negativ aus. Auch die Wissenschaftler, die Cooks Reisen begleiteten, erscheinen nicht in gutem Licht. Eine spezielle Abneigung hegt McLynn als Erzähler für Johann Reinhold Forster und dessen Sohn Georg, die Wissenschaftsvertreter auf Cooks zweiter Expedition. Etwas seltsam muss auf akademisch gebildete Leserinnen und Leser aus Deutschland die Charakterisierung der beiden als "standard Teutonic Herr Doktor Professors" (178) wirken. Immerhin zitiert McLynn hier O. H. K. Spate, der in seinem Werk den nationalen Bezug der stereotypisierenden Beschreibung sofort relativiert und die Schriften der Forsters als generischen Ausdruck einer international agierenden und nach Selbstlegitimation strebenden neuen Wissenschaftlerklasse liest. [1] Eine solche Relativierung ist in McLynns Arbeit wohl nicht intendiert, wird doch der Ausdruck (ohne Anführungszeichen) als Bildunterschrift zu einem Doppelporträt der Forsters (Abb. 22) wiederholt. Hier wird außerdem behauptet, Johann Reinholds einzige Motivation zu der Reise sei sein großzügiges Honorar gewesen. Welchen Erkenntniswert solche nicht belegten Aussagen an dieser Stelle haben sollen, bleibt unklar.
Obwohl das Buch mit einem ausführlichen Endnotenapparat und einer Autorennotiz aufwartet, die McLynn als "highly regarded historian" präsentiert, erfüllt es die Erwartungen an eine wissenschaftliche Arbeit nur bedingt. Die beigegebenen farbigen Abbildungen dienen offenbar lediglich der Illustration, eine Auseinandersetzung mit dem visuellen Quellenmaterial im Text unterbleibt. Fast identische Bilder (in einer kolorierten und in einer seitenverkehrten schwarz-weißen Version (Abb. 37, 43)) werden verwendet, um einmal Menschenopfer, das andere Mal, um Cooks Verehrung als übermenschlicher polynesischer atua zu illustrieren. Der Zeichner John Webber hat hier wohl seinen eigenen Entwurf mehrfach verarbeitet. Eine Erläuterung hierzu fehlt jedoch leider.
Offenkundig pflegt McLynn eine Abneigung gegen die kritische akademische, insbesondere die postkoloniale Forschung zu Cook. Alternative Lesarten der historischen Figur (als Vorläufer imperialistischer Eingriffe) lehnt er als mehr oder minder "howling and foaming-mouthed" (416) oder als akademische Krittelei ab. McLynn verzichtet dort, wo er alternative Theorien einmal diskutiert (z. B. zu Cooks Tod auf Hawaii, 398-400), darauf, andere Positionen positiv zu würdigen. Die in den Endnoten aufgeführte wissenschaftliche Literatur darf McLynns Darstellung lediglich untermauern, sonst tadelt er: "academic critics are prone to join forces with the postcolonial agitators" (417).
Befremdlich ist schließlich auch McLynns Tendenz zur psychologisierenden Lesart seines Protagonisten, an dem er beispielsweise "bipolar behaviour" (365) diagnostiziert. McLynn scheut sich nicht, Cook mehrfach mit einem 'Entdecker' zu vergleichen, dem er sich ebenfalls bereits biographisch genähert hat: [2] Henry Morton Stanley und Cook "were men who seemed to have sublimated libido in the lust for glory." (411) Da Stanley persönlich am Aufbau eines brutalen Kolonialregimes im Belgischen Kongo beteiligt war, überrascht der Vergleich - besonders insofern, als McLynn eine Kontinuitätslinie zwischen Cooks Reisen und dem Kolonialismus des 19. Jahrhunderts ausdrücklich ablehnt.
Insgesamt liegt es nahe, McLynns Arbeit als Teil seines breiten populären Repertoriums zu verorten, in dem er Persönlichkeiten von Marc Aurel bis hin zu C. G. Jung behandelt und auch die Militärgeschichte des Zweiten Weltkriegs nicht auslässt. McLynns Biographie ist sicherlich kein Werk, das geschichtswissenschaftliche Arbeiten zu Cook, insbesondere Beagleholes Studien, ersetzen könnte. Es hebt in recht gut lesbarer Form einige Aspekte von Cooks seefahrerischen Leistungen wieder hervor, die in der aktuellen Forschung wenig Beachtung gefunden haben. Doch stereotypisierende Abwertungen (ob sie nun Cooks Reisebegleiter oder seine postkolonialen Kritiker betreffen) mindern das Vergnügen leider.
Anmerkungen:
[1] O. H. K. Spate: The Pacific Since Magellan, Bd. 3: Paradise Found and Lost, Canberra 1988, 198.
[2] F. McLynn: Stanley. The making of an African explorer, London 1989.
Frank McLynn: Captain Cook. Master of the Seas, New Haven / London: Yale University Press 2011, XV + 490 S., diverse Karten und Farbabb., ISBN 978-0-300-11421-8, GBP 25,00
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