Nach dem Ersten Weltkrieg waren die Überzeugung, Europa befinde sich in einer politischen, sozialen und wirtschaftlichen Krise, die Sehnsucht nach einem "charismatischen Führer", der die eigene Nation aus dem Niedergang führte, und die Vision eines "neuen Menschen" weit verbreitet. Diese Mischung aus Pessimismus und Zukunftsverheißung, gepaart mit der Angst vor dem Kommunismus und der Erfolgsgeschichte Benito Mussolinis, ließ in vielen europäischen Ländern Bewegungen entstehen, die sich zunächst auf den Duce und den italienischen Faschismus beriefen. Seit der "Machtergreifung" Hitlers 1933 existierten jedoch zwei Fixsterne im faschistischen Kosmos, zwischen denen sich ein politisches Kraftfeld bildete, in das alle faschistischen Bewegungen gerieten. Gerade die philo-faschistischen Gruppen in Ost- und Mitteleuropa galten dabei bislang als bloße Satelliten und Marionetten der Nationalsozialisten. An der Spitze dieser rechts-autoritären und faschistischen Gruppen standen Persönlichkeiten ganz unterschiedlicher Couleur. Ihnen ist der hier besprochene, von den Ost- und Mitteleuropa-Historikern Rebacca Haynes und Martyn Rady herausgegebene Sammelband gewidmet. Er ist das Ergebnis eines Seminars, das zwischen 2003 und 2008 am University College London angesiedelt war. In siebzehn Beiträgen, die sowohl von renommierten Historikern als auch von Doktoranden verfasst wurden, wird ein breites Spektrum bekannter und weniger bekannter Persönlichkeiten der politischen Rechten Ost- und Mitteleuropas behandelt.
Im einleitenden Aufsatz gibt der britische Historiker und Faschismusexperte Roger Griffin den Rahmen für die einzelnen Studien vor. Griffin stellt deutlich heraus, dass sich viele Menschen aus ganz unterschiedlichen sozialen und beruflichen Milieus aufgrund ihrer Erfahrungen im Ersten Weltkrieg dazu entscheiden, sich in der Politik zu engagieren. Der Krieg sei damit die Geburtsstunde einer "neuen" Generation von Politiker gewesen - einer Generation, die den ersehnten Führer bringen sollte, der die eigene Nation vor dem Verfall bewahren konnte. Dieses Phänomen sei nicht auf einzelne Länder beschränkt geblieben, sondern sei ein europäisches Phänomen gewesen. Dies habe nicht nur einen transnationalen Transfer und neue Formen von Kooperation ermöglicht, sondern den Akteuren auch ganz unterschiedliche Handlungsspielräume eröffnet, die es im Einzelfall zu untersuchen gelte.
Miklós Zeidler legt in seiner Studie über Gyula Gömbös (1886-1936) eindrucksvoll dar, wie der politische Außenseiter durch geschicktes Taktieren versuchte, im traditionell aristokratisch geprägten politischen Establishment Ungarns Fuß zu fassen. Der überzeugte Nationalist, Antisemit und Machtmensch Gömbös habe dabei jedoch am Ende immer wieder von vielen radikalen Reformen Abstand nehmen müssen, um nicht die dringend benötigte Unterstützung der aristokratischen Elite zu verlieren. Vor allem was die antisemitische Gesetzgebung und die Neuorientierung der Außenpolitik Ungarns hin zu Italien und dem Deutschen Reich betrifft, habe er sich nicht gegen den Widerstand des Establishments durchsetzen können. Gömbös sei es am Ende nicht gelungen, so Zeidler treffend, die politischen Institutionen durch einen Kult um seine eigene Person nach italienischem Vorbild zu ersetzen.
Dies gelang - wenn auch nur kurzzeitig und mit deutscher Unterstützung - seinem Landsmann Ferenc Szálasi (1897-1946). Martyn Rady veranschaulicht in seinem Aufsatz überzeugend, wie Szálasi einer übersteigerten, nahezu ins grotesk-lächerliche abgleitenden Selbstwahrnehmung verfallen, davon überzeugt gewesen sei, der Einzige zu sein, der Ungarn aus dem Niedergang führen könne. Trotz eines teils wahnwitzigen Handelns, utopischer Zukunftsvorstellungen und der Beteiligung am Holocaust, sei er nach seiner Hinrichtung vor allem in den ärmeren Schichten Ungarns als Märtyrer verehrt worden. Denn Szálasi habe vor allem dank eines tief verwurzelten Nationalismus und einer latenten Angst vor der kommunistischen Gefahr gerade diese Kreise auf seine Seite ziehen können, ohne jemals konkrete politische Ergebnisse zu liefern.
Auch bei den Faschisten Corneliu Zelea Codreanu und Jure Francetić stand der Kult um die eigene Person, wie Rebecca Haynes und Rory Yeomans darlegen, im Zentrum ihres Wirkens. Codreanu habe mit der Gründung der "Legion Erzengel Michael" im Jahr 1927 die erste politisch-soziale Massenbewegung in Rumänien initiiert. Als "frommer Asket" und "Mann der Aktion" habe er wie kein anderer den faschistischen "Neuen Menschen" personifiziert, er wurde von seiner Gefolgschaft noch zu Lebzeiten als christlich-orthodoxer Märtyrer verehrt. Der überhöhte Toten- und Märtyrerkult spielte auch eine zentrale Rolle bei Jure Francetić, dem Anführer der berühmt-berüchtigten "Schwarzen Legion" im "Unab hängigen Staat Kroatien". Anhänger eines jugendlichen, martialischen Männlichkeitsideals sollte nach seiner Vorstellung durch Gewalt und Krieg der "neue" kroatische Mensch geformt werden. Er propagierte einen kroatischen Staat, der von Juden und Serben gereinigt sein müsse. Rory Yeomans führt detailliert aus, dass die zahlreichen Massenverbrechen der "Schwarzen Legion" auf der Grundlage dieser Ideologie entstanden sind und weniger als Folge einer Einmischung ausländischer Mächte.
Während Codreanu und Francetić Repräsentanten eines radikalen Faschismus in Osteuropa waren, sind der rumänische Diktator Ion Antonescu und insbesondere der jugoslawische Ministerpräsident Milan Stojadinović eher einer konservativ-autoritären Rechten zuzuordnen. Dennis Deletant erläutert in seiner Studie über Ion Antonescu, wie dieser weniger aus ideologischen Motiven, als vielmehr aus Angst vor der Sowjetunion und dem Bolschewismus, die Nähe zur "Achse" gesucht habe. Die fehlende ideologische Affinität habe auch zu den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Eisernen Garde und seinem Regime geführt. Die maßgebliche Beteiligung Rumäniens an der Vernichtung der Juden resultierte ebenfalls aus einer nahezu panischen Angst vor dem Bolschewismus. Für Antonescu hätten die Juden als fünfte Kolonne Moskaus und der kommunistischen Weltrevolution vernichtet werden müssen. Rumänien, so betont Deletant, habe stets unter rumänischer Führung gestanden und sich seine Handlungsspielräume bewahrt.
In seinem eindrucksvollen Porträt über Milan Stojadinović, der von seinen Anhängern als "vodja" (Führer) verehrt und von seinen Gegnern als "djavo" (Teufel) gehasst wurde, zeichnet Dejan Djokić dessen politisches Wirken nach. Insbesondere Desinteresse seitens der westlichen Alliierten habe dazu geführt, dass sich Stojadinović immer mehr den Achsenmächten zuwandte, um sich einer inneren und äußeren Bedrohung seines Landes zu erwehren. Auch wenn, wie bei Antonescu, vor allem außenpolitische und weniger ideologische Motive für diese Annäherung ausschlaggebend gewesen seien, habe ihn das nicht daran gehindert, faschistische Elemente in die politische Kultur seines Landes zu importieren. Denn der jugoslawische Ministerpräsident blickte stets mit einer gewissen Hochachtung und Bewunderung auf Rom, auch wenn er sich vor allem im Bereich der Wirtschaft immer stärker Berlin zuwandte. Stojadinović sei, so resümiert Djokić, der Prototyp eines Ost-Zentral-Europa Politikers der Zwischenkriegszeit gewesen: Konservativ, antikommunistisch und desillusioniert von den westlichen Demokratien, der gleichsam in die Arme der "Achse" getrieben wurde.
Der Sammelband überzeugt nicht nur durch seine informativen Einzelbeiträge, die einen guten Eindruck von den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen vermitteln. Den Autoren gelingt es auch, die unterschiedlichen Handlungsspielräume der Akteure im Kontext nationaler Pfadabhängigkeiten darzulegen und ihre Beziehung zu Rom beziehungsweise Berlin zu verorten. Anders als frühere Sammelbände über faschistische Persönlichkeiten der Zwischenkriegszeit, konzentriert sich dieser Band nicht ausschließlich auf die nationale Ebene und auf die Bedeutung der "charismatischen Führung". [1] Vielmehr versuchen die Autoren, in ihren Beiträgen auch auf die transnationale Zusammenarbeit und einen möglichen Transfer zwischen den einzelnen rechtsautoritären und faschistischen Organisationen und ihren Anführern einzugehen. Dabei wird deutlich, wie die Strahlkraft des italienischen Faschismus innerhalb des faschistischen Kosmos allmählich verblasste und vom Nationalsozialismus abgelöst wurde. Erst angesichts der militärischen Niederlage wurde insbesondere bei den rechts-autoritären Regierungen Rom als ein engerer Partner wieder attraktiv, der einen Weg aus dem Krieg finden sollte. Die einzelnen Untersuchungen machen deutlich, dass die Faschisten wie ihre Organisationen und Regime in Ost- und Mitteleuropa keine bloßen Befehlsempfänger des Deutschen Reiches waren. Vielmehr entwickelte sich ein komplexes Wechselspiel, das teils von ideologischen Motiven, teils von pragmatischem Vorteilsdenken bestimmt wurde und die Akteure zwischen dem italienischen und deutschen Modell hin und her schwanken ließ.
Sieht man von der relativ späten Publikation der Forschungsergebnisse des Seminars in London ab - freilich ein Problem, mit dem sich viele Herausgeber von Sammel- und Tagungsbänden herumschlagen müssen -, so liegt mit dem hier besprochenen Buch ein beeindruckendes Panorama rechter Persönlichkeiten aus Ost- und Mitteleuropa vor, das nicht nur die Faschismusforschung bereichert, sondern auch jedem historisch Interessierten einen fundierten Einblick in die Thematik bietet.
Anmerkung:
[1] Dieser Schwerpunkt findet sich u.a. bei Antònio Costa Pinto / Roger Eatwell / Stein Ugelvik Larsen (eds.): Charisma and Fascism in Interwar Europe, London New York 2007.
Rebecca Haynes / Martyn Rady (eds.): In the Shadow of Hitler. Personalities of the Right in Central and Eastern Europe, London / New York: I.B.Tauris 2011, XII + 332 S., ISBN 978-1-84511-697-2, GBP 59,50
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