Der vorzustellende Sammelband ist aus dem Verbundprojekt "Klöster im Hochmittelalter: Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle" der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (mit Sitz des Teilprojektes in Dresden) und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hervorgegangen, wobei die Beiträge auf Vorträge zurückgehen, die von dem sächsischen Verbundpartner unter dem Sektionstitel "Caritas as Ethical Basis in Monasteries and Religious Orders" im Juli 2010 auf dem "International Medieval Congress" in Leeds präsentiert worden waren.
In seiner Einleitung skizziert der Herausgeber Gert Melville (Dresden) als Intention die Darlegung der verschiedenen, auf die Bibel und die frühen Kirchenväter zurückgehenden Vorstellungen von Caritas in den älteren wie neuen Orden vornehmlich während des 12. und 13. Jahrhunderts, die sowohl in normativen Zeugnissen als auch in zeitgenössischen Diskursen deutlich werden und auf die unterschiedlichen Lebensentwürfe, aber auch sich ändernde Zeitumstände reagierten.
Bruce Brasington (Canyon - Texas), From Charitable Sentences to Amicable Settlements: A Note on the Terminology of Twelfth Century Canon Law (1-10), nimmt die Interpretation der Termini caritas bzw. conventio bei den Glossatoren zweier selten kommentierter Canones der Dekretalen Gratians in den Blick, die nur noch aus dem Kontext Römischen Rechts heraus verstanden werden konnten. Lars-Arne Dannenberg (Dresden), Charity and Law. The Juristic Implementation of a Core Monastic Principle (11-28), untersucht, nachdem caritas im Rahmen einer Rückbesinnung auf die Ideale der Urkirche während des 11. und 12. Jahrhunderts eine Aufwertung in kirchenrechtlichen Zusammenhängen erfahren hatte, ihre Bedeutung als normative Kategorie vor allem bei Benediktinern und Zisterziensern mit einem kurzen Ausblick auf das Verständnis bei Ritter- und Hospitalsorden bzw. den Dominikanern. Im benediktinischen Selbstverständnis des Hochmittelalters wurde caritas als von Gott gesetzte unveränderbare Kategorie verstanden, die es aber auch erlaubte, klösterliche Regeln neuen Verhältnissen anzupassen. Bei den Zisterziensern bildete caritas das normative Fundament des Ordens, das maßgeblich den engen Zusammenhalt des Klosterverbandes bedingte.
Jörg Sonntag (Dresden), On the Way to Heaven. Rituals of Caritas in High Medieval Monasteries (29-53), erläutert die Omnipräsenz der Nächstenliebe im Klosteralltag mit Hilfe der caritas-Symbolik bei Benediktinern wie Zisterziensern während des 11. und 12. Jahrhunderts. Konkret analysiert er die Umtrünke der Liebe, das Fußwaschungszeremoniell, das Totengedenken der Mitbrüder und - nur im benediktinischen Kontext - den Umgang mit Präbendaren. Auf Grundlage der consuetudines kann er dabei Formen des Wandels und Unterschiede ausmachen. So waren die Zisterzienser beispielsweise nicht verpflichtet, Wein zu trinken, konnten diesen aber - dann jedoch in verwässerter Form - zu sich nehmen. Und während sich das Zeremoniell der Fußwaschung in Benediktinerklöstern auf die symbolische Zahl von drei Armen beschränkte und in den Wintermonaten ausgesetzt wurde, wurden bei den Zisterziensern alle Gäste bedacht, wobei das Ritual weniger aufwendig inszeniert wurde.
Mirko Breitenstein (Dresden), Is there a Cistercian Love? Some Considerations on the Virtue of Charity (55-98), greift die bereits bei Dannenberg thematisierte Frage nach dem außerordentlichen Stellenwert der caritas für den Orden der Weißen Mönche als Institution sowie für die einzelnen Mitglieder der Konvente auf. Zentrale Bedeutung erlangte in diesem Zusammenhang das von Bernhard von Clairvaux in De diligendo Deo entwickelte Konzept einer vierstufigen Hierarchie der Liebe, innerhalb der der Einzelne die fleischliche Liebe schrittweise überwindet, um schließlich auf der höchsten Stufe sich selbst um Gottes Willen zu lieben.
Gert Melville (Dresden), What role did charity play in Francis of Assisi's attitude towards the poor? (99-121), rekonstruiert anhand dreier Erzählungen aus dem Leben des heiligen Franziskus den von seinen Biographen dargestellten Entwicklungsprozeß in seiner Einstellung zur unverschuldeten bzw. freiwilligen Armut. Im Gegensatz zur unfreiwilligen Armut war die selbstgewählte von der Aussicht auf Ewiges Heil motiviert. Den Berichten zufolge nahm Franziskus dabei auch die Perspektive der unfreiwillig Armen an, indem er zeitweilig in Rom bei St. Peter unter ihnen lebte. In selbstgewählter Armut eiferte er Christus nach, der sich selbst den Menschen im unverschuldeten Armen offenbart. Aus diesem Grund beneidete Franziskus folglich auch Personen, die noch ärmer als er selbst waren. Carlos Ruta (Buenos Aires), Quod est in vita, vita est: The theology of Charity in Meister Eckhart (123-146), zeigt auf, wie Meister Eckhart caritas mit dem Liebesbegriff bei Aristoteles, der aus der Eigenliebe resultiert, in Einklang brachte, und die Theologie der Nächstenliebe in das Mittelhochdeutsche übertrug. Rudolf Kilian Weigand (Eichstätt), Proclaiming Caritas: The Propagation of a Way of Life in Sermons (147-166), schließlich untersucht die Begrifflichkeit in dominikanischen Predigten insbesondere bei Meister Eckhart und Johannes Tauler, die caritas mit mittelhochdeutsch minne gleichsetzten, und damit der Tatsache Rechnung trugen, das im Mittellateinischen caritas und amor sowie andere Termini oftmals synonym verwandt wurden.
Ein Index der Namen und zitierter Textstellen rundet diesen instruktiven Band ab, der einen konzisen Überblick in Konzepte von und Einstellungen zu caritas in einer Umbruchphase monastischer Lebensformen bietet.
Gert Melville (ed.): Aspects of Charity. Concern for one's neighbour in medieval vita religiosa (= Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter. Abhandlungen; Bd. 45), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2011, XII + 180 S., ISBN 978-3-643-11166-1, EUR 29,90
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