Der von Nicole Hegener und Lars U. Scholl herausgegebene Band widmet sich dem "uferlosen Thema des Schiffs in der bildenden Kunst" (7), das in den letzten Jahrzehnten immer wieder von der Kunstgeschichte aufgegriffen wurde. Entsprechende Publikationen blieben allerdings oftmals schön bebilderte Werke ohne den Anspruch, aktuelle wissenschaftliche Forschung zu präsentieren. Vom Anker bis zum Krähennest setzt hier einen willkommenen Gegenpunkt. Der Fokus liegt auf den Aspekten der politischen Ikonografie. Diese Einschränkung ist durchaus sinnvoll, sind an die "Nautischen Bildwelten" doch Annäherungen unter vielerlei Gesichtspunkten möglich, wie der vorliegende Band und auch andere Publikationen der letzten Jahre zeigen. [1] Anders als im Vorwort angekündigt, wird jedoch keine "Brücke von der Antike und dem frühen Christentum bis zum Zeitalter der Fotografie und der Moderne geschlagen" (7), werden also nicht alle Epochen berücksichtigt, sondern nur jene - wie es ja auch schon im Untertitel heißt - von der Renaissance bis zur Fotografie. [2]
Der Band selbst besteht aus 13 vorwiegend kürzeren Beiträgen von ca. 10 Seiten, Ausnahmen sind die beiden Beiträge von Hegener, von denen ersterer als Einleitung gedacht ist. Positiv fällt die reiche Bebilderung auf; einschränkend muss gesagt werden, dass einige der Abbildungen unter einem zu kleinen Format leiden und so gerade die kleinteiligen Grafiken eher pro forma der Illustration dienen, als dass auf ihnen tatsächlich ausreichend zu erkennen wäre, und sie den Betrachter zum Schauen einlüden. Hierunter fallen vor allem die Stiche des Bucintoro in Hegeners Einleitung und auch einige der Karten und Buchmalereien sowie einzelne Stücke der Schatzkunst. Hervorragend abgebildet sind hingegen Medaillen und Siegel; auch die einzelnen Seiten aus Michele da Rodis Schrift Taccuino nautico, mit dem sich Piero Falchettas Beitrag beschäftigt, sind trotz ihrer eher geringen Größe schön zu betrachten. Am Schluss dieser allgemeinen Bemerkungen sei noch der Hinweis angebracht, dass der Band leider den Eindruck erweckt, mit der heißen Nadel gestrickt worden zu sein. So finden sich an manchen Stellen formale, aber auch inhaltliche Fehler, die durch ein aufmerksames Schlusslektorat hätten vermieden werden können.
Nicole Hegener hat die Aufgabe übernommen, mit Ein Arsenal von Schiffen: Nautische Bildwelten in Kunst, Politik und Wissenschaft (11-59) eine Einleitung zu liefern und begibt sich dafür thematisch nach Venedig. Eine gute Entscheidung, denkt man bei Venedig doch von vornherein an Wasser und das städtische Treiben auf diesem, sodass dieser Ort als besonders geeignet erscheint, um auf die im Sammelband verhandelten Fragen einzustimmen und den Themenkomplex zu umreißen. Hegener stellt zahlreiche Aspekte vor, die alle eng mit den venezianischen Verhältnissen verbunden sind und zeigt, dass auch hier noch viele Ansätze für weitere Forschungen zu finden sind. Leider vergibt sie die Chance, anhand ihrer Beispiele auf die folgenden Beiträge zu verweisen und so dem Buch zu einem verbindenden Überbau zu verhelfen. Anknüpfungspunkte gäbe es viele, sei es der Reisebericht des Venezianers Marco Polo, der auch in Barbara Peruckas The Ship and its Meaning in the Illuminations of the Livre des merveilles (130-139) eine Rolle spielt, seien es die Schiffe, die in dem Barbari-Plan so wiedererkennbar illustriert werden, dass ein Verweis auf Richard W. Ungers Aufsatz zu der Darstellung und Aussagekraft von Schiffen auf See- und Weltkarten (60-73) angebracht wäre. Auch lässt die Einführung gewisse historische und theoretische Hintergründe vermissen, was kaum problematisch wäre, würde in den einzelnen Beiträgen hierauf mehr Wert gelegt. Doch so bleiben sie zuweilen in ihrer Nische, ohne dass eine Einordnung in einen größeren Diskurs erfolgt oder eine Verbindung zu den übrigen im Buch verhandelten Themen gezogen würde.
Von den einzelnen Beiträgen, die hier aus Platzgründen nicht alle im Einzelnen rezensiert werden können, sind jene von Jan Pieper, Stephan Leibfried und Jutta Kappel hervorzuheben. Pieper nähert sich den in der Forschung viel diskutierten drei Darstellungen der Idealstadt und ihrer Datierung unter Gesichtspunkten des Schiffbaus an. In The Ships in the Berlin Città Ideale: Some Observations on Naval Typology, Structural Characteristics and Rigging (81-91) verweist er darauf, dass Rahsegler in früheren Zeiten eine geringe Lebenserwartung von zehn bis fünfzehn Jahren (85) hatten. "Since this type of vessel underwent fundamental changes in the fifteenth century, especially after 1450, the possibilities of a structural analysis are much greater" (85). Mit diesem Ansatz datiert Pieper die Schiffe der Berliner Idealstadt auf 1465-1475, was sich entsprechend auf die Datierung des Gemäldes auswirkt.
Stephan Leibfried beschäftigt in seinem Beitrag Bismarcks Fall 1890 und die Erfindung des deutschen Staatschiffs (120-128) die Frage nach dem Gebrauch der Metapher des Staatsschiffs in Deutschland. [3] Er verweist auf Karikaturen der Bismarckzeit, wobei John Tenniels 1890 im Punch Magazine erschienener Karikatur Der Lotse geht von Bord eine Schlüsselrolle zukommt. Den Grund für dieses recht späte Eindringen der schon aus anderen Ländern bekannten und dort etablierten Metapher vom Staatsschiff in den deutschen Kulturkreis sieht Leibfried in der Geschichte Preußens als Landmacht, das zunächst keine Ambitionen zur See hatte (121). "Erst als Wilhelm II. wenige Jahre nach Bismarcks Entlassung den Flottenbau durchsetzte und das Reich als Seemacht gegen England in Stellung brachte, war das Klima für die umfassende Politisierung dieser Metapher auch in Deutschland überreif geworden" (121f.).
An dieser Stelle greifen die Beiträge Leibfrieds und Lars U. Scholls hervorragend ineinander. Scholl beschreibt die Marinemalerei in Deutschland (173-188) und zeigt, dass mit dem Erstarken der maritimen Wirtschaft um die Mitte des 19. Jahrhunderts und der zur gleichen Zeit erfolgenden Aufstellung einer ersten Kriegsflotte ein erhöhtes Interesse an Marinemalerei einhergeht (177), der eigentliche Aufschwung aber erst mit der Thronbesteigung Wilhelm II. 1888 einsetzt - zur gleichen Zeit also, in der auch das Staatsschiff zur auf Deutschland anwendbaren Metapher wird.
Im Hinblick auf diese Entwicklungen ist interessant zu sehen, dass das Schiff bereits im Barock ein in seiner Repräsentationskraft nicht zu unterschätzendes Kunstkammerobjekt war. Hierauf macht Jutta Kappel in ihrem Beitrag Schiffe im Grünen Gewölbe zu Dresden: Ein Sujet der Schatzkunst (151-161) aufmerksam. In der Dresdener Kunstkammer befanden sich zwei Schiffe (eines davon Abb. 6; 15), "auf denen Kaiser Rudolf II. en miniature inmitten der um ihn versammelten Kurfürsten zu sehen war" (156). Diese Szene ist nicht dem wirklichen höfischen Leben entnommen, sondern zeigt eine "Metapher des von den Regenten selbst geleiteten Staatsschiffes, auf dem der Kaiser den Kurs bestimmt" (157). Wie aus den hier angerissenen Themen ersichtlich, verspricht gerade die weitere Erforschung der Staatsschiff-Metapher, ihrer Anwendung und Aktualisierung in Deutschland, aber auch in anderen Binnenregionen, interessante Ergebnisse für die Geschichte der politischen Ikonografie.
Betrachtet man die Vielzahl und Komplexität der Themen, die sich in den Beiträgen entfalten, so ist der Band fast ein wenig zu schmal geraten, zeigen doch alle Beiträge Aspekte, denen problemlos auch eigene Publikationen gewidmet werden könnten - nach dem Lesen wünscht man sich mehr und hofft darauf, dass dieser Band Anstoß für weiteres sein möge.
Anmerkungen:
[1] Zuletzt: Martina Sitt / Hubertus Gaßner (Hgg.): Segeln, was das Zeug hält. Niederländische Gemälde des Goldenen Zeitalters (Ausstellungskatalog Kunsthalle Hamburg), München 2010; Hannah Baader / Gerhard Wolf (Hgg.): Das Meer, der Tausch und die Grenzen der Repräsentation, Zürich 2010.
[2] Dem Buch voraus gingen zwei direkt nacheinander im April 2010 in Venedig abgehaltene Treffen, zum einen ein von Nicole Hegener organisierter Studientag im Rahmen des RSA-Meetings und ein thematisch erweiterter Workshop am Deutschen Studienzentrum.
[3] Zum Gebrauch von nautischen Metaphern in Literatur und Philosophie siehe Hans Blumenberg: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt am Main 1979. Aus Blumenbergs Nachlass wurde jüngst eine das Nautische ergänzende Sammlung zu Wassermetaphern herausgegeben: Hans Blumenberg: Quellen, Ströme, Eisberge, Berlin 2012.
Nicole Hegener / Lars U. Scholl (Hgg.): Vom Anker zum Krähennest: Nautische Bildwelten von der Renaissance bis zum Zeitalter der Fotografie (= Deutsche maritime Studien; 17), Bremen: Werbedruck Bremen H.M. Hauschild 2012, 214 S., ISBN 978-3-89757-508-0, EUR 36,00
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