Vor gut 20 Jahren veröffentlichte Alois Schmid eine Biografie Franz Stephans von Lothringen, den er im Titel als "unbekannte[n] Kaiser" qualifizierte. [1] Cum grano salis wäre diese Einschätzung bis vor kurzem auch für Ferdinand III. zutreffend gewesen, denn dieser stand zwar nicht im Schatten einer dominanten Gemahlin, wohl aber eines Vaters, Ferdinands II., der oft als der Kaiser des Dreißigjährigen Krieges betrachtet wird, und eines Sohnes, Leopolds I., dem die Geschichtswissenschaft seit einiger Zeit den Rang des eigentlichen Kaisers des Westfälischen Friedens zuzusprechen geneigt ist. Ferdinand III., der immerhin über zwei Jahrzehnte hinweg das Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation war, als bloße Übergangsfigur zu betrachten, griffe aber viel zu kurz. Zwar war in der Tat die erste Hälfte seiner Regierungszeit von dem lange vergeblichen Bemühen um die Liquidation des von seinem Vater "ererbten" Krieges geprägt und schlugen die Ansätze zur Stabilisierung des kaiserlichen Ansehens nach dem Friedensschluss von 1648 gegen Ende seines Lebens in eine erneute Krise um, die dem Haus Habsburg 1657/58 einen der schwierigsten Wahltage der gesamten Frühen Neuzeit bescherte. Dennoch war es eben doch Ferdinand III., in dessen Regierungszeit der Westfälische Friede geschlossen werden konnte, und zwar nicht zuletzt wegen seiner (erzwungenen) Konzessionsbereitschaft gegenüber den auswärtigen Kronen und den Reichsständen. Somit steht er an einer Epochenschwelle der Reichsgeschichte.
Schon von daher ist es höchst verdienstvoll, dass Mark Hengerer eine wissenschaftliche Biografie dieses Kaisers vorgelegt hat. Nicht zuletzt dank jüngerer Studien zum Wiener Hof im 17. Jahrhundert hatte sich die Literaturbasis für ein solches Unterfangen in letzter Zeit gebessert. Dennoch war der Verfasser nach Ausweis des Quellenverzeichnisses und der umfangreichen Endnoten gezwungen, in erheblichem Maße ungedrucktes Material aus einer ganzen Reihe von Archiven zu konsultieren. Neben den Wiener und weiteren österreichischen sowie einigen tschechischen Archiven kam hier dem Archivio Segreto Vaticano erhebliche Bedeutung zu. Selbstverständlich hat Hengerer auch die gedruckten Quellen und die einschlägige Forschungsliteratur umfassend ausgewertet (das Quellen- und Literaturverzeichnis ist stolze 28 Seiten lang), allerdings nur bis 2008, als das Manuskript im Wesentlichen fertiggestellt war (349f.). Nicht mehr berücksichtigt werden konnte leider auch die Ferdinand-Biografie von Lothar Höbelt. [2] Überrascht ist man, dass einige erwartbare Titel im Verzeichnis fehlen, so die Serie der französischen Korrespondenzen der Acta Pacis Westphalicae und das Dickmannsche Standardwerk zum Westfälischen Frieden. [3]
Ins Thema wählt Mark Hengerer dann einen sehr abrupten Einstieg: Nach einer kurzen Danksagung fällt er ohne weitere Vorrede sozusagen gleich mit der Tür ins Haus, respektive in die erzherzogliche Wochenstube im Graz des Jahres 1608. Ein fachwissenschaftliches Publikum hätte an dieser Stelle zunächst einige theoretisch-methodische Reflexionen zum Genre der Herrscherbiografie erwartet. Außerdem wäre es für eine mit dem Gegenstand weniger vertraute Leserschaft nützlich gewesen, wenn zunächst eine systematische Kontextualisierung vorgenommen worden wäre, um die Fülle der im Folgenden dargebotenen Informationen einordnen zu können. Diese Informationen (z.B. zu den habsburgischen Herrschaftsgebieten, zur Dynastie und zum Heiligen Römischen Reich und seiner Verfassung) werden zwar bald darauf nachgereicht (bes. 15-22), allerdings nicht in eigenen Kapiteln, sondern eingestreut in die im Wesentlichen chronologisch aufgebaute Darstellung, sodass die betreffenden Abschnitte nur schwer zielgenau angesteuert werden können.
Die Gliederung in drei chronologische Großabschnitte liegt nahe: Der erste Teil skizziert den Weg Ferdinands vom nachgeborenen Prinzen, der durch den Tod seines älteren Bruders zum Thronfolger aufrückte, zum König von Ungarn und Böhmen (1627), zum Sieger von Nördlingen (1634), wobei Hengerer die Rolle seines Protagonisten eher verhalten würdigt, bis hin zur Römischen Königswürde (1636). Der zweite, umfangreichste Teil thematisiert den Regierungsantritt 1637 und, zumeist in analytischer Trennung, Friedensverhandlungen und Kriegführung bis zum Abschluss des Westfälischen Friedens (1648). Das dritte Großkapitel widmet sich den letzten Jahren Ferdinands, die im Zeichen der Bemühungen zur Umsetzung des Westfälischen Friedens in den habsburgischen Territorien wie im Reich standen. Dabei hält der Autor, wie bereits angedeutet, das chronologische Gliederungsprinzip nicht sklavisch ein. Immer wieder sind an passender Stelle systematische Abschnitte, z.B. zum Hof (145-167), eingestreut. Insgesamt ist das Buch - so der Eindruck des Rezensenten - sine ira et studio geschrieben. Dezidierte Wertungen wie die Entlarvung der kaiserlichen Kriegführung als auf einem dreifachen Irrtum beruhend (204) sind eher die Ausnahme. Die Bedeutung des Westfälischen Friedens für das Haus Österreich sieht Hengerer nicht zuletzt in einer Weichenstellung weg vom Universalismus hin zur Donaumonarchie (240).
Auch wenn das Werk vor allem ereignisgeschichtlich strukturiert ist, beinhaltet die quellennahe und detaillierte, dabei gut lesbare und (bei den entsprechenden Vorkenntnissen) verständliche Darstellung eine Fülle von Informationen zu Dynastie und Hof, Herrschaftsverständnis, politischer und gesellschaftlicher Ordnung, Kirche, bildenden Künsten und Musik - um nur einige der angesprochenen Bereiche zu nennen. Auch wer mit der behandelten Epoche vertraut ist, wird manches Neue erfahren. Positiv ist nicht zuletzt, dass Ferdinand III. in seinen unterschiedlichen Rollen fassbar wird: als Habsburger, als Landesherr, als Kaiser ... - aber auch als Komponist und Musikliebhaber. Dass nicht alle Fassetten seines Lebens gleichmäßig ausgeleuchtet werden, ist dabei nachvollziehbar. Auffällig ist hingegen, dass die Abschnitte zur Reichsgeschichte und den internationalen Beziehungen in den Details bisweilen ungenau sind. So wird das frühneuzeitliche Kaisertum auf Seite 174f. verkürzend dargestellt oder fallen auf Seite 311 die Aussagen zu den "von den Kaisern um der Thronfolge ihrer Söhne willen akzeptierten Wahlkapitulationen" zumindest missverständlich aus. Definitive Fehler haben sich in die Darstellung eingeschlichen, wenn behauptet wird, im Regensburger Frieden von 1630 sei den Herzögen von Guastalla das Monferrato zugedacht gewesen (73), oder wenn der Ursprung des Hauses Wasa von Schweden nach Polen verlegt wird (326).
Trotz aller Monita im Einzelnen: Mark Hengerer hat ein wichtiges Werk vorgelegt. Wer sich künftig mit Ferdinand III. und seiner Zeit beschäftigen wird, wird an diesem Buch nicht vorbeikommen, das auch durch seine Ausstattung mit zahlreichen qualitätsvollen Abbildungen gefällt. Eine Besonderheit ist fraglos die beigegebene CD mit Musik aus der Umgebung Ferdinands III. bzw. eigenen Kompositionen des Kaisers. Die eigentliche Darstellung schließt mit einigen Bemerkungen dazu, dass sich Ferdinand III. für das Phänomen des Sehens interessiert habe: "Der Kaiser erfuhr, dass nicht allein das betrachtete Objekt, sondern auch der Sehende an der Konstruktion (s)eines Bildes beteiligt ist" (345) - es scheint, als habe der Autor ganz am Ende verklausuliert doch noch ein Wort auch zu seinem Verständnis einer Herrscherbiografie sagen wollen.
Anmerkungen:
[1] Alois Schmid: Franz I. Stephan von Habsburg-Lothringen (1745-1765), der unbekannte Kaiser, Regensburg 1991.
[2] Lothar Höbelt: Ferdinand III. (1608-1657). Friedenskaiser wider Willen, Graz 2008.
[3] Fritz Dickmann: Der Westfälischen Frieden. 7. Aufl., hg. von Konrad Repgen, Münster 1998.
Mark Hengerer: Kaiser Ferdinand III. (1608-1657). Eine Biographie (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs; Bd. 107), Wien: Böhlau 2012, 560 S., 1 CD, ISBN 978-3-205-77765-6, EUR 49,00
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