Der zweisprachige Katalog dokumentiert erstmalig die Sammlung von Bildnisminiaturen aus dem späten 18. Jahrhundert des in Celle lebenden Sammlerpaares Lieselotte und Ernest Tansey und trägt damit dem internationalen Interesse von Forschern und Sammlern an diesem Bestand Rechnung. Sowohl formal als auch ikonografisch transportieren die Miniaturporträts die Ahnung des bevorstehenden gesellschaftlichen Umbruchs und zeigen die Loslösung von traditionellen Formulierungen.
Der Katalog beinhaltet 168 Bildnisminiaturen aus dem Zeitraum 1770 bis 1795 und somit nur einen kleinen Ausschnitt der Tansey-Sammlung, die Miniaturporträts vom Barock bis in das späte 19. Jahrhundert umfasst. [1] Sechs wissenschaftliche Aufsätze zu unterschiedlichen Facetten der Miniaturmalerei sind dem Katalogteil vorangestellt.
Gerrit Walczak befasst sich in seinem Beitrag mit der Position der Miniaturisten auf dem Pariser Kunstmarkt, der damaligen Popularität von Porträtminiaturen und ihrer kunsttheoretischen Bewertung. Aufgrund der geringen Größe ihrer Arbeiten befanden sich die Miniaturenmaler grundsätzlich "im Nachteil beim Wettbewerb um die Aufmerksamkeit" (27) des Publikums. Dabei muss unterschieden werden zwischen dem finanziellen Erfolg einerseits und der künstlerischen Reputation andererseits. Überwiegend kamen die Auftraggeber der Bildnisminiaturen aus den bürgerlichen Schichten der Bevölkerung. Die Mehrzahl der porträtierten Personen ist dementsprechend auch nicht identifizierbar. Porträtminiaturen wurden unter Verlobten, Ehepartnern und Verwandten getauscht und verschenkt und als Ausdruck der Verbundenheit sichtbar oder unsichtbar am Leib getragen (29).
Erfolgreiche Miniaturisten verdienten aufgrund der Popularität des Brauchs in den 1780er-Jahren bei 60 bis 70 Bildminiaturen pro Jahr das Fünffache eines bürgerlichen Haushalts und standen in Bezug auf das Einkommen etablierten Porträtisten kaum nach (30). Kunsttheoretisch blieb ihnen jedoch die Anerkennung versagt, denn ihre Arbeit galt mit dem "Makel behaftet, weniger durch künstlerische Invention als durch bloße Nachahmung der Natur geprägt" (34) zu sein. Umso mehr, da die meisten Bildnisminiaturen von großformatigen Porträts kopiert wurden. Die wenigsten Miniaturisten waren dementsprechend Mitglieder der Académie Royale, sondern der zünftig organisierten Pariser Maler-Akademie von Saint-Luc (35). Trotzdem förderten der Hof und auch die Königin Marie Antoinette selbst Einzelne, die in größeren Mengen Miniaturporträts für diplomatische Geschenke produzierten. So unterminierte der marktbedingte Erfolg der Miniaturisten die akademische Gattungshierarchie.
Nathalie Lemoine-Bouchard verfolgt detailliert die Karrieren einiger Miniaturisten am französischen Hof im "Kontext der Neuausrichtung der Künste nach dem Herrschaftswechsel" (51) im Jahr 1774. Hofämter gehörten zu den begehrtesten Stellungen für Miniaturisten. Umgekehrt wurden vor allem in der Regierungszeit Ludwigs XVI. verstärkt Miniaturmaler in Hofämter berufen, aber nicht ausschließlich als Porträtminiaturisten, sondern auch als Militär-, Marine-, Porzellan- und Blumenmaler oder als Zeichenlehrer der königlichen Kinder. In den adeligen Auftraggeberinnen und Auftraggebern von Miniaturporträts bildeten sich zugleich die sozialen Kreise am Hof und ihre jeweiligen Patronagebeziehungen ab sowie die standesgemäße Verpflichtung zum Mäzenatentum (65). Karrieren bei Hofe waren nur mittels persönlicher Empfehlungen möglich (54) und die Abhängigkeit der Künstler demzufolge groß. Besonders erfolgreiche Miniaturisten am französischen Hof waren der Schwede Peter Adolf Hall und der Italiener Ignazio Pio Vittoriano Campagna, mit deren Biografien sich zwei weitere Beiträge von Bernd Pappe und Bernardo Falconi beschäftigen.
Der Beitrag von Juliane Schmieglitz-Otten widmet sich der Herausbildung eines neuen Bildtypus im Miniaturformat, das sich nur noch in spielerischer Weise barocker Formulierungen bediente und die Individualität der Dargestellten in den Vordergrund rücken lies. Dabei bringe die Darstellungsweise die Flüchtigkeit des Augenblicks und die "Hingabe an den Moment" zum Ausdruck (110). Der nicht-öffentliche Umgangskontext der Gattung prädestiniere diese dazu, einen neuen, persönlichen Blick in die privaten Lebens- und Empfindungswelten der Dargestellten malerisch zu ermöglichen. Ganz richtig stellt die Autorin die Darstellungsweise in den Kontext des spürbar nahenden gesellschaftlichen Umbruchs gegen Ende des Ancien Régime, die ein sich "wandelndes Selbstbewusstsein nicht nur des Künstlers, des Malers, sondern auch des Dargestellten" (110) mit sich brachte. Erst mit der französischen Revolution verloren die Bildnisse ihre spielerische Heiterkeit (123). Trotz der Hinwendung zum individuellen Porträt waren die ästhetischen Kategorien die der "Lebendigkeit, Leichtigkeit, Frische, Verspieltheit", die eine "stilisierte Natürlichkeit" zum Diktum erhob. Die besondere Qualität der Miniaturbildnisse der Zeit Marie Antoinettes war die Darstellung der "Unmittelbarkeit des Moments" (118).
Bedauerlicherweise findet außer dem steten Verweis auf die Kleinheit der Objekte weder eine Reflexion ihrer spezifischen Eigenheiten noch ihrer langen Tradition statt. Auch Fragen nach der mentalitäts- und teilweise geschlechtsgebundenen Popularität der kleinen Form, nach der Begeisterung für das Detail und die Kuriosität bleiben unbeantwortet. [2] Trotz einiger Hinweise auf den Nutzungszusammenhang der Bildnisminiaturen wäre ein gezielterer Blick auch auf die Umgangspraxis wünschenswert gewesen.
Der Publikation (und auch der Sammlung) kommt das Verdienst zu, sich mit einem Format zu befassen, dem akademisch noch wenig Aufmerksamkeit vergönnt ist. Die Kunstgeschichte leitet auch heute zumeist noch die Bedeutung ihres Gegenstands aus den ästhetischen oder kunsttheoretischen Urteilen vergangener Epochen ab. Die vielfach hohe Qualität der gezeigten Stücke, die quasi der populären Kunst der Massen des ausgehenden 18. Jahrhunderts zuzuordnen sind, könnte helfen, der Miniatur im akademischen Kanon einen Platz zu verschaffen. Besonders bemerkenswert ist die Qualität der fotografischen Abbildungen des Katalogteils, die nicht nur die Details der Miniaturen sichtbar macht, sondern auch deren Rahmungen nahezu plastisch hervortreten lässt. Die Wiedergabe der Porträtmedaillons in Originalgröße evoziert nahezu eine dreidimensionale, haptische Erfahrbarkeit der Stücke.
Anmerkungen:
[1] S.a. die bereits erschienenen Kataloge zur Miniaturensammlung Tansey: Miniaturen des Rokoko, München 2008; Miniaturen der Revolutionszeit (1789-1799), München 2005; Miniaturen des 19. Jahrhunderts, München 2002.
[2] Vgl. John Mack: The art of small things, Cambridge 2007 und Naomi Schor: Reading in Detail, New York 1987.
Bernd Pappe / Juliane Schmieglitz-Otten (Bearb.): Miniaturen. der Zeit Marie Antoinettes aus der Sammlung Tansey. Katalogbuch zur Ausstellung in Celle, München: Hirmer 2012, 460 S., 220 Farb-, 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-7774-9021-2, EUR 59,00
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