sehepunkte 13 (2013), Nr. 7/8

Bernhard Dietz: Neo-Tories

Es ist ein zeitgenössisches Buch das immer wieder benutzt wird: Tory MP von 1939. Angefüllt mit Statistiken werden darin die gesellschaftlichen und finanziellen Verstrickungen der britischen Konservativen aufgezeigt - ein depremierendes Amigosystem. Verfasst wurde das Buch von einem gewissen Simon Haxey - einem Mann, den es nie gab. Hinter diesem Pseudonym stand das Ehepaar Arthur and Peggy Wynn. Wie wir seit ein paar Jahren wissen, war Arthur Wynn der Sowjetagent Scott, Mitglied des Oxford-Spionagerings (dessen Mitglieder bis heute nicht alle enttarnt worden sind). [1] Es ist folglich anzunehmen, dass Scott kein Interesse daran hatte, ein seriöses Buch über die Tories zu schreiben. Trotzdem wird es immer wieder als Quelle benutzt, auch in der vorliegenden Dissertation von Bernhard Dietz.

Obwohl Wynns Werk mittlerweile diskreditiert ist, bedeutet das natürlich nicht, dass die Tories keine versierten Netzwerker waren, die wussten, wie man sich an der Macht hielt.

Die englische Literatur zur Zwischenkriegszeit und Appeasement ist bekanntermaßen nicht enden wollend, und man muss entweder neue Quellen oder neue Thesen haben, um hier zu bestehen. Bernhard Dietz versucht es in seinem flüssig geschriebenen Buch mit einer These. Sein Augenmerk gilt einer radikalen Gruppierung die in den 1930er Jahren die Tory Partei neu erwecken wollte: Im Mittelpunkt seiner Untersuchung stehen radikale Rechte wie Douglas Jerrold, Charles Petrie, Francis Yeats-Brown, Viscount Lymington, Rolf Gardiner und Anthony Mario Ludovici. Er bezeichnet sie als eine wichtige Gruppe und gibt ihnen aus aktuellem Anlass den Namen "Neo Tories".

Bei der Gruppeanalyse setzt Dietz eine stark kontinentale Brille auf und sieht seine Untersuchungsobjekte als eine englische Variante der konservativen deutschen Revolution. Das funktioniert jedoch nur bedingt. Ein Grund dafür ist - um es mit Friedrich Torbergs Tante Jolesch zu sagen - Großbritannien "ist immer ein bissel anders." Während die deutschen Parteien eine klare Identität hatten, waren die Tories immer eine "broad church" mit vielen divergierenden Meinungen. Es gab in den 1930er Jahren mindestens vier innerparteiliche Richtungen, wobei die Positionen der wichtigsten Protagonisten im Laufe der Jahre fluktuieren konnte. Die späteren Tory-Premiers Anthony Eden und Harold Macmillan besetzten z.B. in den 1930er Jahren den linken Flügel, Churchill stand bei vielen Themen rechts außen (besonders wenn es um Indien ging) und Premier Stanley Baldwin übernahm die Rolle des Synthetisiers, der alles mehr oder minder zusammenhielt.

Auch wenn man nicht Agent Scotts Verschwörungstheorien folgen will, ist es wichtig zu verstehen, warum diese Strömungen nebeneinander existieren konnten: All diese Leute hatten die gleichen Schulen besucht und heirateten in der Regel untereinander. Das verlangte ein enormes Maß an Toleranz. Beim gemeinsamen Abendessen war man also nicht immer einer Meinung, aber beim Portwein kam es in der Regel zur Versöhnung. Am Ende dachte man eben pragmatisch und nicht dogmatisch.

Dies war ein Grund, warum die "Neo Tories" nie ein ernsthaftes Problem für die Parteiführung wurden. Ganz im Gegensatz zu UKIP heute - einer Partei, die David Camerons Konservativen ernsthaft zu schaffen macht - wollten, wie Dietz ja auch zeigt, die "Neo Tories" nie eine eigene Partei gründen (sie waren also nicht in der gleichen Position wie Mosleys British Union of Fascists, mit der sie vorübergehend flirteten). Dietz argumentiert jedoch, dass sie eine größere Bedrohung als die BUF waren, weil sie eine "Revolution von oben anstrebten". Der Autor will folglich seine Neo-Tories gegen andere Strömungen in der Tory Partei abgrenzen. Aber wie ungewöhnlich waren ihre "revolutionären" Ideen?

Hier ist der zweite Grund, warum Dietz' These nur bedingt funktioniert - es gibt einerseits zu viele Überlappungen seiner Gruppe mit den mainstream-Tories und andererseits mit BUF Konzepten. Auch die Mehrzahl der mainstream-Tories waren antiamerikanisch (d.h. anti-Roosevelt), sie wollten die Dominions verteidigt wissen und waren alle überzeugte Antikommunisten. Sie waren keine Faschisten, aber wenn es um Großbritanniens Außenpolitik ging, hatte die Mehrheit keine ernsthaften Probleme mit faschistischen und autoritären Regimes. Sie hielten den italienischen Faschismus lange Zeit für eine nützliche Entwicklung, weil sie schon aus strategischen Gründen die Unterstützung Italiens für die britische Flotte im Mittelmeer brauchten. Im Spanischen Bürgerkrieg wurde Franco ebenfalls von mainstraim-Tories unterstützt. Hitler war ein komplizierterer Fall, aber solange er nicht auf einen Krieg zustrebte, schien eine Kooperation mit ihm durchaus möglich.

Indem Dietz versäumt, diese - innerhalb der Torypartei weitverbreiteten Vorstellungen zu beschreiben - erscheint seine Gruppe von Neo-Tories als etwas Besonderes.

Dass man im Ausland autoritäre und faschistische Regimes duldete, bedeutete natürlich nicht, dass man sie im eigenen Land haben wollte. Unterscheiden sich hier die Neo Tories also vom Rest?

Eindeutig ja. Die Konzepte von Viscount Lymington und seiner Freunde hat Dan Stone als erster untersucht und dieser Gruppierung einen anderen, treffenderen Namen gegeben - er nannte sie die "Organo-Faschisten". [2] Diese Leute werden also hier nicht zum "ersten Mal systematisch analysiert" (326): Sie werden einfach anders genannt.

Dietz punktet, wenn er die Männlichkeitskonstruktionen und bizarren Geschichtsbilder seiner Gruppe beschreibt, vernachlässigt jedoch einen wichtigen Kontext ihres Denkens: die Angst vor dem wirtschaftlichen Niedergang. Man darf bei einer Analyse der 1930er Jahre nicht die Wirtschaftsgeschichte völlig ausblenden. Scott Newtons wichtiges Buch zu diesem Thema sollte zumindest erwähnt werden. [3]

Vielleicht hatte Agent Scott am Ende eben doch recht - man muss nur die Verbindungen erkennen. Only connect.


Anmerkungen:

[1] Er hat sogar mittlerweile seine eigene Wikipedia Seite: http://en.wikipedia.org/wiki/Arthur_Wynn

[2] Dan Stone: Responses to Nazism in Britain, 1933-1939. Before War and Holocaust, London 2003; Ders.: The Extremes of Englishness. The "exceptional" Ideology of Anthony Mario Ludovici, in: Journal of Political Ideologies 4, 1999; Martin Pugh: "Hurrah for the Blackshirts". Fascists and Fascism in Britain between the wars, London 2005; Arnd Bauernkämper: Die radikale Rechte in Großbritannien, Göttingen 1991.

[3] Scott Newton: Profits of Peace. The Political Economy of Anglo-German Appeasement, Oxford 1996.

Rezension über:

Bernhard Dietz: Neo-Tories. Britische Konservative im Aufstand gegen Demokratie und politische Moderne (1929-39) (= Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London; Bd. 71), München: Oldenbourg 2012, IX + 334 S., ISBN 978-3-486-71302-2, EUR 49,80

Rezension von:
Karina Urbach
Institute of Historical Research, London
Empfohlene Zitierweise:
Karina Urbach: Rezension von: Bernhard Dietz: Neo-Tories. Britische Konservative im Aufstand gegen Demokratie und politische Moderne (1929-39), München: Oldenbourg 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 7/8 [15.07.2013], URL: https://www.sehepunkte.de/2013/07/20581.html


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