sehepunkte 13 (2013), Nr. 7/8

Richard Smith / Patrick Salmon / Stephen Twigge (eds.): The Invasion of Afghanistan and UK-Soviet Relations, 1979-1982

Die Edition ist Teil der Serie "Documents on British Policy Overseas" (DBPO). 20 bislang erschienene Bände umfassen Schlüsseldokumente aus den Beständen des Foreign and Commonwealth Office (FCO) und behandeln die britische Außenpolitik der Jahre 1945 bis 1990. Der vorliegende Band hat die britisch-sowjetischen Beziehungen zwischen dem Einmarsch der UdSSR in Afghanistan 1979 und dem Tod Leonid Breschnews am 10. November 1982 zum Inhalt.

177 überwiegend erstmals öffentlich zugängliche Dokumente illustrieren eine permanente Gratwanderung der britischen Regierung. Diese kritisierte einerseits den aggressiven und expansionistischen Charakter sowjetischer Politik scharf. Andererseits war sie stets um ein konstruktives britisch-sowjetisches Verhältnis bemüht. Vor dem Hintergrund des Gegensatzes zwischen Warschauer Pakt und NATO galt es darüber hinaus schließlich, nach außen die Einigkeit der Atlantischen Gemeinschaft zu demonstrieren. Den angesprochenen Problemkreis spiegelt der erste Abschnitt der chronologisch geordneten Dokumentenauswahl am Beispiel der sowjetischen Afghanistan-Intervention wider. Der zweite Abschnitt deckt die Zeit von der Verhängung des Kriegsrechts in Polen am 13. Dezember 1981 bis zum Tod Breschnews im November 1982 ab.

An den Anfang haben die Herausgeber mit Bedacht eine als vertraulich eingestufte FCO-Analyse der Beziehungen zur UdSSR vom 7. Dezember 1979 gestellt. [1] Auf nüchterne Weise umreißt das Dossier die vitalen Interessen der sowjetischen Führung. Diese war auf Technologietransfer, Nahrungsmittellieferungen und Kredite angewiesen, um das sowjetische System am Leben zu erhalten. Für die Rüstungsindustrie, die Sicherung des Machtanspruchs der KPdSU im Innern, auf dem Gebiet des Warschauer Pakts sowie in der "Dritten Welt" benötigte sie Finanzmittel, die zunehmend nicht mehr innerhalb der UdSSR erwirtschaftet werden konnten. Der Bericht umschreibt mit Blick auf die britische Variante der Ostpolitik deren Handlungsspielräume und die Rahmenbedingungen des Agierens Großbritanniens in der NATO. Britische Wirtschaftsinteressen standen dabei den Partikularinteressen der US-amerikanischen, deutschen oder französischen Partner gegenüber.

Als Leitlinien britischer Politik werden die gemeinsamen westlichen Verteidigungsanstrengungen, die Diskreditierung des sozialistischen Systems sowjetischer Prägung insbesondere in der "Dritten Welt" sowie die Ausgestaltung der Ost-West-Kontakte deutlich. Wirtschaftliche und kulturelle Verbindungen Großbritanniens in die Länder des Warschauer Paktes sollten schrittweise das dortige Ansehen der UdSSR schwächen. Direkte Kontakte und Verhandlungen mit der Moskauer Führung dienten dem Ziel, den sowjetischen Expansionsdrang einzudämmen, ebenso wie britisches Engagement in den außereuropäischen Zielstaaten sowjetischer Einflussnahme. Die Abrüstungsverhandlungen zwischen den Supermächten (Unterzeichnung von SALT II im Juni 1979) bezog das FCO ebenso in die britische Außenpolitik ein wie es den KSZE-Prozess und die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Bewegungen in den Ländern Ostmitteleuropas als Instrumente nutzte.

Das umrissene Koordinatensystem britischer Sowjetunionpolitik kann bei der Lektüre der folgenden Dokumente als Folie dienen. In der Nacht vom 25. auf den 26. Dezember 1979 landeten sowjetische Elitesoldaten in Kabul. Spezialkräfte liquidierten den afghanischen Präsidenten und Chef der regierenden Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA), Hafisullah Amin. Als seinen Nachfolger setzte die sowjetische Führung Babrak Karmal ein, wie Amin Gründungsmitglied der DVPA und aus Moskauer Sicht geeignet, in Afghanistan ein berechenbares, nationalkommunistisches System zu etablieren. [2] Die abgedruckten Dokumente belegen, dass die britische Führung auf die sowjetische Militärintervention ebenso unvorbereitet war wie die übrigen westlichen Regierungen. Im britischen Fall wurde der Schock vielleicht noch durch die Frustration der Diplomaten darüber verstärkt, in der historischen Erinnerung an das "Great Game" nun endgültig die Bedeutungslosigkeit Großbritanniens konstatieren zu müssen, was die Rolle in Afghanistan anging: Diese Auseinandersetzung spielte sich seit vielen Jahren zwischen der Sowjetunion und den USA ab. Nach einer Anfangsphase hektischer Krisendiplomatie, der politischen Lageorientierung und der Abstimmung innerhalb des Bündnisses ging das FCO denn auch rasch wieder zur realpolitischen Tagesordnung über. Militärische Reaktionen auf die Intervention schieden angesichts der möglichen Konsequenzen ohnehin aus.

Im FCO herrschte Einigkeit darüber, dass ein politischer "Kreuzzug" gegen die UdSSR sein Ziel verfehlen würde, da er die Hardliner im Kreml stärken würde. [3] Die Dokumente spiegeln die Anstrengungen des britischen Außenministeriums wider, angesichts der Invasion am Dreiklang der Schwächung der UdSSR im eigenen Einflussbereich, ihrer Einbindung in Verhandlungen und verbindliche Vertragswerke sowie wirtschaftlichen Sanktionen festzuhalten. Der Apparat versuchte auf diplomatischem Weg, der UdSSR goldene Brücken für einen gesichtswahrenden Rückzug aus Afghanistan zu bauen. Dabei sah sich Großbritannien in einer Zwischenposition zwischen den USA, die einen entschiedenen Kurs von Sanktionen und der militärischen Aufrüstung einschlugen, und den europäischen Partnern, die aus unterschiedlichen Gründen den Schwerpunkt auf politische Verhandlungen und die Fortführung bilateraler Dialoge legten. Sehr früh vertrat man im FCO im Übrigen die Einschätzung, ein Krieg in Afghanistan sei für die UdSSR mit militärischen Mitteln nicht zu gewinnen, und der Einmarsch sowie der Einsatz großer Bodenkontingente würden über kurz oder lang die Sowjetunion ganz erheblich schwächen.

Die vorliegende Quellenedition bestätigt insgesamt bekannte Interpretationen der britischen Realpolitik gegenüber der Sowjetunion. Am Beispiel der Krisen in Afghanistan und Polen gewährt sie darüber hinaus tiefe Einblicke in Praxis und Selbstverständnis der britischen Außenpolitik im FCO. Die Logik und die Handlungsempfehlungen der Behörde entsprachen dabei keinesfalls immer den Positionen der konservativen Regierung von Margaret Thatcher. Der Band legt in diesem Zusammenhang die Frage nahe, wer denn in Großbritannien im Einzelfall schlussendlich Außenpolitik gemacht habe, und sollte schon deshalb in keiner zeitgeschichtlichen Bibliothek fehlen. Eine thematische Einführung der Herausgeber sowie ein umfangreicher technischer Apparat mit Abkürzungs- und Personenverzeichnis, den Zusammenfassungen der abgedruckten Dokumente und einem Register erschließen die Sammlung in vorbildlicher Weise für den Benutzer.


Anmerkungen:

[1] Doc. No. 1, Lord Carrington (FCO) to Sir C. Keeble (Moscow), 7 December 1979. Confidential (FCO 28/3683, EN 021/2).

[2] Vgl. Bernhard Chiari: Kabul, 1979: Militärische Intervention und das Scheitern der sowjetischen Dritte-Welt-Politik in Afghanistan, in: Die Sowjetunion und die Dritte Welt. UdSSR, Staatssozialismus und Antikolonialismus im Kalten Krieg 1945-1999, hg. von Andreas Hilger, München 2009, 259-280.

[3] So etwa Doc. No. 32, Sir C. Keeble (Moscow) to FCO, 11 January 1980, 11.31 a.m. Secret (FCO 28/3887, EN 021/1).

Rezension über:

Richard Smith / Patrick Salmon / Stephen Twigge (eds.): The Invasion of Afghanistan and UK-Soviet Relations, 1979-1982 (= Documents on British Policy Overseas. Series III; Vol. VIII), London / New York: Routledge 2012, LII + 444 S., ISBN 978-0-415-67853-7, GBP 90,00

Rezension von:
Bernhard Chiari
Potsdam
Empfohlene Zitierweise:
Bernhard Chiari: Rezension von: Richard Smith / Patrick Salmon / Stephen Twigge (eds.): The Invasion of Afghanistan and UK-Soviet Relations, 1979-1982, London / New York: Routledge 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 7/8 [15.07.2013], URL: https://www.sehepunkte.de/2013/07/21559.html


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