Dem Kontinentaleuropäer dürfte der Name William Burton Conyngham, selbst wenn er sich für die Kunst der britischen Inseln interessiert, eher nicht geläufig sein. Dennoch gehörte der weitgereiste Adelige zu den bedeutendsten Förderern irischer Kunst und Wissenschaft im späteren 18. Jahrhundert. Seinem ambitionierten Projekt einer zeichnerischen Erfassung und Publikation des Denkmalbestandes Irlands hat Peter Harbison nun eine Monografie gewidmet.
Herzstück des Buches ist der Katalog von knapp 600 Blättern aus Burton Conynghams Sammlung von Zeichnungen bedeutender irischer Denkmäler. Äußerst bescheiden konstatiert der Autor, dass damit "at least some part of the contents of Burton Conynghams collection" nun dokumentiert sei (135). Vor allem aber werden zahlreiche Blätter in exquisiter Qualität reproduziert, sodass es eine wahre Freude ist, Harbisons Buch zur Hand zu nehmen. Die dahintersteckende jahrelange Katalogisierungsarbeit des Verfassers ist kaum abzuschätzen, vor allem angesichts des Umstandes, dass weite Teile des Bestandes der Sammlung Burton Conynghams nur indirekt, etwa durch Kopien der Originale oder durch spätere Drucke, überliefert sind.
Burton Conyngham begann, wie Harbison rekonstruieren kann, spätestens 1776 mit dem Aufbau seiner Sammlung. Doch erst in Folge der Gründung der kurzlebigen "Hibernian Antiquarian Society", deren "main spring and financier" Burton Conyngham war (35), scheint aus seiner Sammelleidenschaft das Projekt einer Publikation des irischen Denkmalbestandes erwachsen zu sein. Auch Paul Sandbys "The Virtuosi's Museum" (1778) scheint auf Grund der vielen dort reproduzierten irischen Denkmäler ein wichtiges Vorbild für die irischen Antiquare gewesen zu sein. Zwar löste sich die "Hibernian Antiquarian Society" bereits 1783 nach nur vier Jahren wieder auf, doch war ihre Gründung der Startschuss für eine systematische Dokumentationstätigkeit, für die Burton Conyngham verschiedene Künstler auf zeichnerische Expeditionen schickte, bevorzugt in die bildlich in seiner Sammlung noch unterrepräsentierten irischen Counties (43). Das konkrete Vorgehen beschreibt Harbison sehr anschaulich anhand der detaillierten Rekonstruktion von vier solcher Dokumentationsreisen in verschiedene Regionen Irlands (Kapitel 4).
Wichtigster Künstler dabei war der Niederländer Gabriel Beranger, der sich bereits ab 1770 auf Darstellungen irischer Sehenswürdigkeiten spezialisiert hatte (58). Entscheidend scheint seine Person vor allem, weil er auch Stiche nach den Arbeiten anderer Künstler, die in Burtons Sammlung vertreten waren, anfertigte. Er war damit offenbar die Schlüsselfigur für die geplante Vereinheitlichung des von seinem Auftraggeber über längere Zeiträume und aus verschiedenen Provenienzen erworbenen Konglomerats an Bildern. Die Zeichnungen scheinen dennoch, selbst wenn man die vor Beginn der systematischen Dokumentationsbemühungen gesammelten Blätter außen vor lässt, untereinander sehr heterogen zu sein (vgl. etwa Abb. 33 u. 34), sowohl hinsichtlich des Formats als auch des Stils. Den anteilig größten Bestand nehmen sicher pittoreske Landschaftsveduten ein, bei denen verschiedene Staffagefiguren vor mehr oder weniger verfallenen und überwucherten Denkmälern gezeigt sind. Es ist sicher nicht zuletzt der oft komplizierten Überlieferungslage der einzelnen Bilder geschuldet, doch gelingt es nur schwer, eine Vorstellung davon zu gewinnen, was Burton als die Form seiner Publikation vor Augen gestanden hätte. Am ehesten darf man sich wohl ein Werk vorstellen, das Francis Groses "Antiquities of Ireland" (1794-96) ähnelt. Burtons Traum, so Harbison, wurde mit dieser Publikation "virtually fulfilled" (37), auch weil zahlreiche Zeichnungen aus seiner Sammlung als Vorlage für die von Grose publizierten Stiche dienten.
Gegenüber dem Katalogteil, der wie gesagt Kernstück von Harbisons Buch ist, nimmt sich der eher schmal ausgefallene darstellende Teil allerdings mitunter etwas summarisch aus. Die einzelnen Kapitel wirken, sowohl in der Gesamtfolge, als auch in ihrer Binnenstruktur, wie eine Reihung von Informationen, die mitunter ohne die Klammer einer stringenten Argumentation nebeneinander stehen. Dabei wirft das hochinteressante Material zahlreiche Fragen auf. Nach welchen ästhetischen und geschichtstheoretischen Kriterien Burton seine Künstler zeichnen ließ, bleibt etwa ungewiss. Eine objektive Dokumentation des Ist-Zustandes der Insel scheint jedenfalls nicht das oberste Ziel gewesen zu sein. Das muss zunächst nicht verwundern, verfolgte doch auch das genannte Werk von Grose eher einen populären Anspruch. Auch Burton legte wohl mehr Wert auf eine pittoreske Stimmung, als auf korrekte Darstellungen. In manchen Darstellungen wurden die gezeigten Bauwerke aus wirkungsästhetischen Gründen klar monumentalisiert, in anderen wurden sie von späteren Hinzufügungen gereinigt und so visuell ein (gerne auch ruinöser) 'Originalzustand' (re-)konstruiert.
Vereinzelt deutet Harbison an, dass die Sammlung eventuell von einem elaborierteren kunsthistorischen oder mythografischen Konzept hinterfangen gewesen sein könnte. Bezüglich eines Entwurfs Gabriel Berangers für ein Titelblatt zur Sammlung Burtons, das eine große Pyramide, gekrönt von einem zerbrochenen Globus(?) zeigt, schreibt er, sie sei "possibly influenced by James Murphy's views on the importance of the pyramide form in architecture" (138), allerdings ohne dies weiter auszuführen. Hier könnte man weiter ansetzen und sowohl nach Burtons Wissen über Architekturtheorie fragen, aber auch nach eventuellen kunstgeografischen Überlegungen, die er und seine Mitstreiter in der irischen Provinz verfolgten. Wohl nicht zufällig engagierte Burton sich auch stark für Bauaufnahmen der gotischen Kirche von Batalha in Portugal, mit der er eben James Murphy beauftragte.
Auch eine systematische Einordnung der Bemühungen der "Hibernian Antiquarian Society" in ähnliche denkmaltopografische Projekte, sei es auf den britischen Inseln oder in Kontinentaleuropa, bleibt offen. Gerade damit wäre es aber vielleicht möglich gewesen, einen über den irischen Kontext hinausgehenden Interessenshorizont aufzuspannen. Harbison hat so eher ein Buch für Kenner vorgelegt. Der in der irischen Geschichte weniger bewanderte Leser wird angesichts des mitunter sehr connaisseurhaften Plaudertons des Autors ab und an etwas ratlos dastehen. Gleiches gilt, wenn ohne weitere Erläuterungen Verweise auf Architekten oder Agrarwissenschaftler wie Arthur Young oder Jonas Blaymire gezogen werden - die für die irische Geschichte sicher von hoher Bedeutung sind, dem gemeinen Leser aber wohl zumeist nicht geläufig sein dürften (25). Hier wären einige weitere Erläuterungen hilfreich gewesen.
Im besten Sinne hat Harbison also ein Grundlagenwerk vorgelegt, das die umfassende Erschließung einer hochinteressanten und für die irische Kunstgeschichte zentralen Zeichnungssammlung präsentiert und auf dem hoffentlich zahlreiche weitere Arbeiten zum irischen Antiquarismus aufbauen werden.
Peter Harbison: William Burton Conyngham and his Irish Circle of Antiquarian Artists, New Haven / London: Yale University Press 2012, XVI + 226 S., 171 Farbabb., ISBN 978-0-300-18072-5, USD 85,00
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