Der Vergleich stellt nicht nur dann ein nützliches methodisches Instrument dar, wenn die Konturen eines komplexen historischen Phänomens herausgestellt werden sollen, sondern auch, wenn wie im vorliegenden Fall die Interdependenz zweier grundlegender Bereiche (nicht nur) der mittelalterlichen Geschichte behandelt werden. Für die Frage, wie sich das Verhältnis von Religion und Politik "in der Wirklichkeit von Leben, politischem Handeln und religiösem Verhalten jeweils manifestiert" (11) bemüht der von Ludger Körntgen und Dominik Waßenhoven herausgegebene Sammelband den deutsch-englischen Vergleich, wobei die Beiträge auf eine von der Prinz-Albert-Gesellschaft ausgerichtete Tagung zurückgehen, für welche die Herausgeber einen beeindruckenden Kreis höchst renommierter Forscher der deutschen und britischen Mittelalterforschung gewinnen konnten.
Bereits das Konzept erscheint dabei ebenso vielversprechend wie ambitioniert. Gespannt wird ein breiter Bogen vom Früh- bis zum Spätmittelalter, wobei in der Mehrzahl jeweils ein - im weiteren Sinne - thematisch oder zumindest zeitlich korrelierendes Paar in entsprechenden Beiträgen zusammengebracht wird, indes in angenehm unangestrengter Weise. [1] Denn dass hierdurch weder ein umfassender noch systematischer Vergleich beider Räume erreicht werden kann, ist natürlich offenkundig und von den Herausgebern auch gar nicht intendiert. Demgegenüber sollen sich die Beiträge vielmehr problemorientiert dem Thema Religion und Politik nähern und hierdurch zu weiterführenden Diskussionen anregen. Begrüßenswert ist in diesem Zusammenhang der berechtigte Hinweis auf die relative Unschärfe des Untersuchungsgegenstandes, weshalb Religion und Politik in der historischen Praxis und im konkreten Moment in den Blick genommen werden. Thematisiert wird die Verflechtung beider Aspekte, was zugleich die wesentliche Frage beinhaltet, wie sich beide Bereiche zueinander verhielten. Lässt sich für das Mittelalter eine zunehmende Ausdifferenzierung konstatieren oder war die enge Verzahnung ein Wesensmerkmal der Epoche?
Vorweggenommen werden kann, dass die große Stärke des Bandes in der Zusammenführung zahlreicher Experten und den hieraus resultierenden individuellen Stärken der Einzelbeiträge im Hinblick auf den jeweils thematisierten Aspekt liegt. Das zeigt sich bereits im Beitrag von Janet Nelson, die sich überzeugend dem Frankenreich unter Karl dem Großen widmet und den Einfluss auf die Kirche durch Besetzung und Reform wie auch den entsprechenden Nutzen anschaulich und gut lesbar zu verdeutlichen weiß, wenngleich der englische Vortragsduktus zwar meist amüsant zu hören ist, hier in der Schriftform aber bisweilen allzu leger daherkommt. Einen besonderen Gewinn zieht die Studie aus der Verknüpfung von quellenkritischer Argumentation und der prononcierten Auseinandersetzung mit der aktuellen Forschungsdiskussion, wie den Thesen Yitzhak Hens, der die Sachsenkriege als karolingische Interpretation des Dschihad deutet, was Nelson freilich ablehnt. [2] Ebenso gehaltvoll sind auch die folgenden Beiträge von Dominik Waßenhoven und Catherine Cubitt zum 10. und 11. Jahrhundert. Der Mitherausgeber kann überzeugend auf breiter Quellenbasis einen Wandel der Bedeutung der Bischöfe in ottonischer Zeit anhand deren Funktion in (umstrittenen) Königswahlen am Ausgang des 10. Jahrhunderts herausarbeiten, während Catherine Cubitt in ihrer Behandlung der Bußpraxis im angelsächsischen England einen besonderen Fokus auf den Konnex von politischen und religiösen Vorstellungswelten legt. In gewisser Weise diente das religiöse Element dazu, dass politische Gemeinschaften zu "moral communities" (65) wurden, wobei die Bußpraxis einen zentralen Aspekt darstellte und klar der Stärkung von Herrschaft in Krisenzeiten diente.
Die Frage der Trennung von Religion und Politik als Folge des Investiturstreits, der gleichsam die säkulare Moderne ankündigte und zur klassischen Meisterzählung der Geschichte wurde, stellt den Hintergrund der drei folgenden Beiträge von Stuart Airlies, Ludger Körntgen und auch Knut Görich zum Hochmittelalter dar. Insbesondere die beiden Aufsätze zum Investiturstreit selbst versehen die "epochentrennende Wirkung des Konfliktes" (114) mit einem deutlichen Fragezeichen. Stuart Airlies geht dies in Form eines angenehm lesbaren Forschungsberichts an, der den englischen Blick auf die Auseinandersetzung zwischen Kaiser- und Papsttum referiert und hierbei insbesondere den Wandel von einer kirchen- zu einer sozialgeschichtlichen Betrachtung des Phänomens herausstellt. Dabei versteht er es auch, die wechselseitige Rezeption von anglophoner und deutschsprachiger Forschung nachzuzeichnen und dies mit einem Plädoyer für raum- und zeitübergreifende Studien zu verbinden, wobei er ganz generell in den Betrachtungen einzelner Studien auch gekonnt Kritik und weiterführende Anregungen anbringt, wie die Besprechung der Arbeiten von Leidulf Melves und Megan McLaughlin verdeutlicht. Auch Ludger Körntgen betont, dass der oftmals festzustellende enge Fokus auf den eigentlichen Investiturstreit den Blick auf die vorangehende Zeit als "vorinvestiturstreitzeitliche Epoche" (114) verzerrt. Gleichfalls unter kritischer Würdigung der jüngeren Forschungsdiskussion macht er deutlich, dass nicht eine grundsätzliche Trennung von geistlicher und weltlicher Sphäre - von Religion und Politik - dessen vordringlichstes Thema war, sondern ein ganzes Konglomerat von zum Teil pragmatischen Fragen im Vordergrund stand, das letztlich eine Definition des Verhältnisses erforderlich machte. Auch wenn Knut Görich sich mit seiner Analyse der Heiligsprechung Karls des Großen in der Zeit Friedrich Barbarossas zeitlich von den vorangehenden Beiträgen entfernt, so litt auch sein Untersuchungsgegenstand unter der oftmals postulierten Trennung von geistlicher und weltlicher Sphäre und der "Entsakralisierung der weltlichen Herrschaftswürde als Folge des Investiturstreits" (124), da hierdurch die Kanonisation mit einer rein politischen Intention versehen und der Blick auf eine mögliche religiöse Komponente verstellt wurde. Knut Görich macht hier die Tradition der Karlsverehrung, die Interessen der Aachener Stifts- als Erinnerungsgemeinschaft und nicht zuletzt den Aspekt der Frömmigkeit Barbarossas stark und verdeutlicht so, dass die Differenzierung von Religion und Politik bei weitem nicht so einfach vorzunehmen ist wie oftmals angenommen. Letztlich ist es genau dies, was alle Beiträge zum Untersuchungsgegenstand beisteuern und sie tun dies mit einer durchweg überzeugenden Herangehensweise, die ältere Forschungsperspektiven korrigiert und neue Wege der Betrachtung eröffnet.
Dies gilt auch für die letzten drei Beiträge. Während Björn Weiler in akribischer Weise die traditionelle und spezifische Rolle der englischen Bischöfe als moralische Ratgeber des Königs herausstellt, thematisieren die Beiträge von Mark Ormrod und Amelie Fößel erneut religiöse Aspekte der Herrschaft, nunmehr an den spätmittelalterlichen Beispielen Edwards III. und Karls IV., wobei sich der Befund erneut zwischen pragmatischer Religiosität und persönlicher Frömmigkeit bewegt. Gerade an den letzten beiden Beiträgen zeigt sich dann, dass an mancher Stelle ein weiterer pointierter Vergleich wünschenswert gewesen wäre, bleiben die Ergebnisse doch ohne eine Kontrastierung etwas verloren im Raum stehen. Dem Leser obliegt es, hier eigene Schlussfolgerungen zu ziehen, was indes aufgrund der unterschiedlichen Herangehensweise und Akzentsetzung der Einzelbeiträge nicht ohne weiteres spezifisches Fachwissen möglich ist. Darüber hinaus vermisst man noch weitere Perspektiven, allen voran die des Papsttums, das wie keine zweite mittelalterliche Institution die Aspekte von Religion und Politik in sich vereinte und mit beiden Räumen eine besondere Verbindung unterhielt. Doch dies mag weniger Kritik, als vielmehr Wunsch sein.
Die Beiträge des rundum gelungenen Bandes behandeln in unterschiedlicher Gewichtung das Verhältnis von Religion und Politik im englischen und deutschen Mittelalter. Am stärksten werden die Ausführungen, wenn der konkrete Fall angesprochen wird, aber auch ganz grundsätzlich bietet der Band anregende Überlegungen zum zumeist engen Verhältnis von Religion und Politik, sei es nun im politischen Agieren kirchlicher Personen oder im Aspekt der Religiosität herrschaftlichen Handelns, wobei hier aber nicht nur unreflektiert eine etwaige mittelalterliche Grundfrömmigkeit postuliert, sondern vielmehr überzeugend eine weitere Handlungskategorie etabliert wird. Auch wenn eine derart breite Herangehensweise immer auch viel Raum für Kritik lässt und nicht jeder Interessensschwerpunkt abgedeckt werden konnte, so wurde mindestens dem Wunsch der Herausgeber Rechnung getragen "für die weitere Diskussion Material und Anregungen zu präsentieren" (12). Dies ist zweifellos gelungen.
Anmerkungen:
[1] Der Vortrag von Ralf Behrwald zu Staat und Kirche nach der konstantinischen Wende konnte nicht mehr rechtzeitig für den Druck fertiggestellt werden, weshalb der Band letztlich nur neun Beiträge beinhaltet und mit den Ausführungen von Janet Nelson zum Karolingerreich beginnt.
[2] Yitzhak Hen: Charlemagne's jihad, in: Viator 37 (2006), 33-51.
Ludger Körntgen / Dominik Waßenhoven (Hgg.): Religion und Politik im Mittelalter. Deutschland und England im Vergleich (= Prinz-Albert-Studien; Bd. 29), Berlin: De Gruyter 2013, 234 S., ISBN 978-3-11-025661-1, EUR 99,95
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