Die Forschung zur Geschichte der Volks- und Raiffeisenbanken ist recht überschaubar, was mit der starken Zersplitterung dieser Bankengruppe zusammenhängt, aber auch der Tatsache geschuldet ist, dass erst seit wenigen Jahren ein zentrales Archiv für genossenschaftliche Unternehmen besteht. Es ist deshalb sehr zu begrüßen, dass nun eine umfangreiche Studie über die Geschichte der genossenschaftlichen Zentralbanken vorliegt. Der im Auftrag der DZ Bank verfasste Band wird auf absehbare Zeit das Standardwerk zur Entwicklung des genossenschaftlichen Zentralbankwesens in Deutschland bilden und dürfte vielfach als Kompendium zur Geschichte der Genossenschaftsbanken genutzt werden.
Die von Brüchen und Parallelentwicklungen gekennzeichnete Geschichte der genossenschaftlichen Zentralbank bis hin zur heutigen DZ Bank wird in drei chronologisch gegliederten, durch die Zäsuren von 1914 und 1945 getrennten, Teilen geschildert. Vorangestellt ist eine Einleitung des Wirtschafts- und Finanzmarktredakteurs Gerald Braunberger, die das Format einer einführenden Zusammenfassung hat und einen für die Leser hilfreichen Überblick über die großen Linien der Entwicklung bietet. Timothy W. Guinnane spannt dann den Bogen von den Vorstellungen der Gründungsväter des deutschen Genossenschaftswesens zur Entstehung des preußischen Modells der genossenschaftlichen Zentralbank. Die 1895 vom preußischen Finanzminister Miquel gegründete Preußische Central-Genossenschaftskasse, die allgemein mit dem Kurznamen Preußenkasse bezeichnet wurde, sollte auch solchen Genossenschaftsbanken den Zugang zum Reichsbankkredit ermöglichen, die nicht über das erforderliche Kapital verfügten. Guinnane sieht in diesem Institut eine "Entwicklungsbank", von der vor allem Kreditgenossenschaften in den östlichen Provinzen profitieren. Hier nahm die Zahl, aber nicht die Substanz der Genossenschaftsbanken deutlich zu. In seinem Resümee bescheinigt Guinnane der Preußenkasse, dass sie nicht in die bestehenden Strukturen eingriff und dadurch entscheidend dazu beitrug, dass der Sektor der Volks- und Raiffeisenbanken in Deutschland anders als in Frankreich von kleinen Kreditgenossenschaften mit lokalem Geschäft geprägt blieb.
Wie Patrick Bormann, Joachim Scholtyseck und Harald Wixforth zeigen, blieb die Preußenkasse auch nach dem Ersten Weltkrieg ein eher mittelgroßes Institut, ihrem Selbstverständnis nach mehr eine Anstalt als eine Bank. In wachsendem Umfang wurde sie zur Subventionierung der verschuldeten Großlandwirtschaft im Osten des Reichs genutzt. Der mutige Versuch des von der Regierung Braun eingesetzten Präsidenten Otto Klepper, hier einen Riegel vorzuschieben, war von kurzer Dauer. Nach der Reichsexekution gegen Preußen wurde die Preußenkasse "verreichlicht" und in die Deutsche Zentralgenossenschaftskasse (Deutschlandkasse) umgewandelt. Die Bankenkrise von 1931 wird von den Autoren fast nur mit Bezug auf die bekannten Vorgänge bei der Dresdner Bank geschildert, die durch ihre große Genossenschaftsabteilung die stärkste Konkurrentin der Preußenkasse war. So wird der Eindruck vermittelt, dass der Genossenschaftssektor selbst von der Krise und ihren Folgen verschont geblieben wäre, was keineswegs der Fall war. Nicht ohne Grund sahen sich die Kreditgenossenschaften nach der Krise veranlasst, ihr Modell durch die Errichtung einer Einlagensicherung - eine Pionierleistung für die damalige Zeit - nachzubessern.
Im Kapitel über die NS-Zeit zeigen sich die Grenzen eines Ansatzes, der sich auf ein Spitzeninstitut fokussiert. Die für die Rolle des Genossenschaftswesens im Dritten Reich aussagekräftigeren lokalen Verflechtungen bleiben zwangsläufig außen vor. Die Deutschlandkasse war als Spitzeninstitut nicht direkt an "Arisierungen" beteiligt, betrieb aber auch keine antisemitische Personalpolitik. Dem damaligen Präsidenten der Deutschlandkasse, Hans Helferich, bescheinigen die Autoren "loyale Distanz" zum NS-Regime. In der leider zu knapp ausgefallenen Darstellung zur Expansion der Deutschlandkasse in den annektierten und besetzten Gebieten steht die Konkurrenzsituation mit der Kreditanstalt der Deutschen im Vordergrund. Die aktive Beteiligung der Genossenschaftsbanken an der Germanisierung wird nur angedeutet, obwohl es an Quellen dazu nicht fehlt, etwa in Bezug auf Westpreußen und das Gebiet um Posen, wo sich die Kreditgenossenschaften schon lange im "Volkstumskampf" engagiert hatten und nach der Annexion wichtige Positionen besetzten.
Stephan Paul und Theresia Theurl ist mit ihrem Teil über die Entwicklung zwischen 1945 und 2010 ein sehr ertragreicher Beitrag gelungen, was umso bemerkenswerter ist, als sie sich für die letzten Jahrzehnte fast ausschließlich auf Presseartikel und Geschäftsberichte stützen mussten. Die Entwicklung der genossenschaftlichen Zentralbank gewann in dieser Zeit eine völlig neue Dynamik. Die Deutsche Genossenschaftskasse war nicht länger ein mehr oder weniger behäbiges staatliches Finanzierungsinstitut und wurde nach der Umwandlung zur DG Bank im Jahr 1975 zu einer Großbank, die sich als Geschäftsbank verstand und auf dem Weg war, sich zu einer Universalbank mit internationalem Geschäft zu entwickeln. Die DG Bank wuchs zum viertgrößten Kreditinstitut der Bundesrepublik heran, ging dafür aber Risiken ein, die Ende der Achtzigerjahre zu einer schweren Krise führten und das Institut zum Sanierungsfall werden ließen. Dass Paul auch die Krisen und deren Stellenwert für die Entwicklung der Bank ausleuchtet, gehört zu den Stärken seines Beitrags. Nach einem neuerlichen Rückschlag wurde 2001 durch eine Fusion mit der GZ-Bank die DZ Bank gebildet, die sich im Unterschied zur DG Bank wieder in erster Linie als Zentralbank des genossenschaftlichen Finanzverbunds versteht. Die Krise von 2008/09 überstand die Bank glimpflich, weil sie die Lehren aus vorangegangenen Krisen gezogen hatte. Der abschließende Beitrag von Theurl lenkt den Blick auf die strukturellen Veränderungen dieses Sektors der Kreditwirtschaft während der letzten fünfzig Jahre - eine Perspektive, die auch für die Zeit vor 1945 sinnvoll gewesen wäre, dann aber wohl den Rahmen des Bandes gesprengt hätte. Die Genossenschaftsbanken konnten ihren Marktanteil bis Mitte der Achtzigerjahre steigern, doch ging ihre Zahl stark zurück. Seit den 1990er-Jahren hat sich der Konzentrationsprozess bei rückläufigem Marktanteil weiter beschleunigt. Die Volks- und Raiffeisenbanken haben aufgrund ihrer immer noch relativ großen Zahl ein Kostenproblem, leben andererseits aber gerade von ihrer Marktnähe.
Insgesamt stehen in diesem Band Institutionen und Strukturen im Vordergrund, weniger die Akteursbezüge, von denen man sich als Leser mehr wünschen würde. Spitzeninstitute wie eine genossenschaftliche Zentralbank sind freilich auch "abstrakter" als Geschäftsbanken oder genossenschaftliche Primärbanken. Dass die einzelnen Teile unterschiedliche Perspektiven wiedergeben, ist bei einem "gemischten" Autorenteam aus Wirtschaftshistorikern, Neuzeithistorikern und Finanzwissenschaftlern unvermeidlich. Doch werden dadurch die erstaunlichen Wandlungen des Untersuchungsobjekts von der Preußenkasse zur DZ Bank besonders deutlich. Ein wichtiger Ertrag der Studie liegt gerade darin, dass sie die Bedingungen dieser Umbrüche zeigt, die mitunter mit Rückschlägen verbunden waren, aber auf lange Sicht die Fähigkeit zum Wandel zeigen, die auch ein Spitzeninstitut zur Sicherung seines Fortbestands benötigt.
Timothy Guinnane u.a.: Die Geschichte der DZ Bank. Das genossenschaftliche Zentralbankwesen vom 19. Jahrhundert bis heute, München: C.H.Beck 2013, 640 S., 8 Kt., 78 Abb., ISBN 978-3-406-64063-6, EUR 38,00
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.