sehepunkte 14 (2014), Nr. 6

Monika Jenni-Preihs: Gerhard Richter und die Geschichte Deutschlands

Ein vollmundiges Versprechen begleitet die vorliegende Publikation: Der Klappentext preist die Promotion als "unentbehrliche Grundlage für die zukünftigen Interpretationen" zu Gerhard Richter. Anpreisen mag die Aufgabe eines Verlags sein, doch legt man die Messlatte so hoch, werden die Erwartungen nach neuen Forschungsergebnissen und sauberem Stabhochsprung geweckt.

Zugegeben, es ist nicht einfach, zu Gerhard Richter Neues oder Unentbehrliches zu veröffentlichen, da neue Informationen sehr bewusst nur an einen exklusiven Kreis von Autoren weitergeben werden. Das mag man kritisch beobachten - verübeln kann man es nicht. Die Biografie von Jürgen Schreiber oder Sätze, wie sie Johann Konrad Eberlein, Herausgeber und Doktorvater der vorliegenden Promotion, im Vorwort beisteuerte, verdeutlichen, warum diese Informationspolitik auch ein notwendiges Schutzinstrument darstellt: "In die Biographie des Künstlers ist z. B. eine Linie eingeschrieben vom Mutterkult der Nazis über die höhere Tochter, die ihren Mann verachtete und betrog, so dass Richters Vater nicht sein leiblicher Vater war, zu dem läppischen Familienphoto, das der Sohn dieser Frau dann malt, weil alles in diesem unscharfen Photo enthalten ist" (11). Die Anspielung auf das Gemälde Horst mit Hund, 1965, das auf eine Fotografie von dem Vater des Künstlers rekurriert, ist eindeutig, doch welcher Form der Kunstgeschichtsschreibung wird hier das Feld geöffnet? Stehen Kunstwerke oder private Details eines Künstlerlebens zur wissenschaftlichen Diskussion?

Bei der Lektüre der Dissertation stellt sich diese Frage wieder und wieder, ihr Ansatz begründet dies: "Als Grundlage der Darstellung dient die Engführung von Zeitgeschichte, Biografie und Werk Richters" (13). Hieran wird sich mehr oder weniger streng gehalten, was zu einem klaren Aufbau führt: Die zehn chronologisch an dem Leben des Künstlers orientierten Kapitel des Hauptteils reichen von seiner "Kindheit und Jugend" bis zum "Beginn des 21. Jahrhunderts mit Terror und Krieg". Jeder Abschnitt ist in die Unterkapitel "Zeitgeschichte", "Biografie", "Werk" gegliedert, die die Autorin parallel behandelt und zwischen denen sie Parallelen aufbaut. An diesem Gerüst wird sich auf knapp 250 Seiten abgearbeitet, was stellenweise durchaus informativ ist, insbesondere, wenn es um Werke mit explizit zeithistorischem Bezug geht, wie z.B. bei Richters "RAF-Zyklus" 18. Oktober 1977. Jedoch scheint das Vorhaben, den "ganzen Richter" wissenschaftlich bearbeiten zu wollen, eine Überforderung. Nicht nur, dass die Autorin einen für sein heterogenes Œuvre bekannten Künstler in den unterschiedlichen Werkphasen genau kennen müsste, zudem muss sie die Geschichte Deutschlands der vergangenen Jahrzehnte auffächern können. Um neben den sogenannten Fakten die Stimmungen und Zwischentöne der einzelnen Dekaden mitsprechen zu lassen, genügt es dann auch nicht, das Online-Archive des Magazins "Der Spiegel" - selbst Teil dieser Stimmungen - zu nutzen. Der bisweilen unkritische Quellenumgang (diesbezüglich vermisst man die Auseinandersetzung mit den Texten von Julia Gelshorn) und die ausbleibende Quellenforschung (das Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels oder das Richter-Archiv in Dresden finden beispielsweise keine Erwähnung) überraschen bei dem "biografisch-historische[n] Zugang" (14), weswegen die Promotion von Rückschlüssen ins Biografische denn von neuen Impulsen für die Richterforschung lebt. Stellvertretend sei hier die Interpretation der Türen von 1967 angeführt: Die Türen "evozieren [...] gleichermaßen Veränderung und Abschied. Hier zeigt sich die Verbindung [...] zu Richters persönlicher Situation [...]: Er strebte künstlerisch Neues an, familiäre Veränderungen waren [...] eingetreten, gleichzeitig hatte er persönliche Verluste erlebt, den Tod seiner Mutter, den Verlust von Freundschaften." (121) Seine zeitgleichen Fenster, Vorhänge, Röhren werden nicht vergleichend analysiert, Sol LeWitt, die in Deutschland ankommende Minimal, Conceptual oder Op Art finden keinen Erwähnung. Die zwei Bilder seiner Tochter Betty aus dem Jahre 1977 subsumiert die Autorin vor dem Hintergrund der Trennung Richters von seiner ersten Frau unter der Überschrift "Abschied von der Tochter" (162).

Was bei den motivisch auf die eigene Familie bezogenen Arbeiten möglicherweise noch nachvollziehbar wäre, bekommt bei den abstrakten Gemälden absurde Züge. Mit der Feststellung, dass diese "in erster Linie als Stimmungsträger" zu verstehen seien, die "Richters Eindrücke und gegenwärtige Stimmungslage während des Entstehungszeitraums" reflektierten, wird es zuweilen banal-freudianisch: So sei "in den Farbexplosionen der 'weichen Abstrakten' die junge Beziehung mit seiner zweiten Frau Isa Genzken zu sehen" (169). Der Versuch, unter den Farben der mit dem Rakel entstandenen Serie Wald, 1990, Bezüge zu den Nachtaufnahmen irakischer Feuergefechte zu erkennen, wird schließlich als "problematisch" (198) aufgegeben. Und doch kehrt auf den letzten Seiten der Wald als "ein anderes Motiv für Vernichtung und Tod" (229) wieder. 'Das deutsche Volk und der deutsche Wald' werden in einem der längsten Unterkapitel diskutiert und vielfältige Verweise, u.a. zu dem schwedischen Krimiautor Henning Mankell, angeführt. Anlass hierfür ist für die Autorin die 12-teilige Serie Wald, 2005, deren abstrakte Werke eigentlich nur assoziative Landschaftsanklänge ermöglichen würden. Doch ohne eingehendere Analyse der Malerei, sondern im Zusammenbringen von 11. September, Irakkrieg, 60-jährigem Ende des Nazi-Regimes, Biografischem und dem persönlichen Alter kommt die Autorin zu dem Schluss: "Stellt man diese Ereignisse nebeneinander, scheint plötzlich Elias Canettis marschierender Wald in Richters abstrakten Bildern [...] wie eine undurchdringliche Front vor einem zu stehen, bedrohlich, beängstigend, beunruhigend." (235) Canettis nicht mehr ganz aktuelle wie polemische These vom deutschen Wald als Massensymbol für das Deutsche Heer würde zudem über "die Farbe Braun, die nicht nur die Farbe des Waldes, sondern auch die der NSDAP war" (236), deutlich.

Es ist bedauerlich, solch intentionale Kurzschlüsse als neuen Standard in der Forschung angepriesen zu bekommen. Zumal parallel arbeitende Künstler und das künstlerische Umfeld Richters beinahe vollkommen ausgespart bleiben. Martin Hentschels Dissertation zu Polke, die grundlegend und genau auch das Frühwerk Richters in den Blick nahm, Jenni-Preihs aber nicht zu Rate zog, wäre hier als positive Alternative zu nennen. Auch bleibt "Gerhard Richter und die Geschichte Deutschlands" weit hinter Dietmar Elgers "Gerhard Richter. Malerei" zurück, Jenni-Preihs wichtigste Sekundärquelle. Auch wenn Elgers Biografie in kritisch zu sehender Nähe und Rücksprache mit dem Künstler entstand, liefert Elger kunsthistorisch fundierte Interpretationen, statt in biografischen oder geschichtlichen Parallelisierungen Gerhard Richter 'auf die Couch zu legen'.

Der gewählte Ansatz, das Gesamtwerk mit 'historisch-biographischer Brille' zu lesen und dabei den kunstgeschichtlichen Kontext zu vernachlässigen, wird den Werken nicht gerecht und verkennt die künstlerische Position Gerhard Richters wie dessen Arbeitsweise. Inwiefern solche historischen Parallelsetzungen und streckenweise rein biografisch konstruierten Werkinterpretationen Grundsteine einer kunstgeschichtlichen Richter-Forschung im 21. Jahrhundert darstellen, bleibt fraglich.

Rezension über:

Monika Jenni-Preihs: Gerhard Richter und die Geschichte Deutschlands (= grazer edition; Bd. 13), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2013, 274 S., 52 Abb., ISBN 978-3-643-50462-3, EUR 29,90

Rezension von:
Michael Stockhausen
Kunsthistorisches Institut, Universität Bonn
Empfohlene Zitierweise:
Michael Stockhausen: Rezension von: Monika Jenni-Preihs: Gerhard Richter und die Geschichte Deutschlands, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 6 [15.06.2014], URL: https://www.sehepunkte.de/2014/06/23861.html


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