Jacobs' in jeder Hinsicht gewichtige Monografie ist das Produkt über zehnjähriger Arbeit, und das merkt man dem Buch auch an. Es wird sich - darin etwa Shirley Neilson Blums Studie von 1969 mit Fokus auf den Auftraggebern ablösend [1] - ohne Zweifel international als Standardwerk zum frühniederländischen Triptychon, wohl auch zur Frage nach den medialen Implikationen des Triptychonformats überhaupt, etablieren. Die schiere Fülle des reich bebilderten, im gegenstandsgerechten Querformat zweispaltig gedruckten Bandes mag zu der Annahme verleiten, hier wäre nun alles Entscheidende zur künstlerischen Auseinandersetzung mit dem seinerzeit boomenden Bildformat ans Licht gebracht. Doch bei genauerem Hinsehen stellt man erstaunt fest, dass die Handbuch-Qualität eher ein dem Fleiß und der breiten Forschungskenntnis der Autorin geschuldeter Nebeneffekt ist, angesichts einer vergleichsweise eng angelegten Fragestellung.
So behandelt die Studie zwar ohne Zweifel ein repräsentatives Corpus, im Prinzip alle bedeutenden Triptychen der bekannteren Frühniederländer und einige mehr, von den ersten Keimen der ars nova über die nächste Generation, den Säkularisierer Bosch und die nach Zentren geordneten Maler des 16. Jahrhunderts bis zum letzten Wiederaufblühen bei Rubens. Keineswegs aber hat sie den Anspruch, all diese hinsichtlich des Verhältnisses von Inhalt, formaler Gestaltung und Medienspezifität umfänglich darzustellen. Vielleicht wäre dies auch zwischen zwei Buchdeckeln nicht zu realisieren. Vielmehr handelt es sich eigentlich um eine Studie zu Schwellen, die vom Trägermedium vorgegeben sind und von den Künstlern in unterschiedlicher Weise reflektiert und bespielt werden (14). Entscheidend, so Jacobs in dem für die Lehre besonders empfehlenswerten historisch argumentierenden Einführungsteil (1-30), ist die Tatsache, dass die Zeitgenossen, Künstler wie Betrachtende, das Triptychon nicht wie die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts als flächige dreiteilige Tafelkonstellation mit betonter Mitte wahrgenommen haben, sondern als ein Bild mit Türen.
Von diesem titelgebenden Sachverhalt, den die Autorin mit diversen Quellenbelegen untermauern kann, leitet sie unmittelbar zur für sie alles entscheidenden Schwellenfrage über, wie auch der Text immer wieder auf das Konzept "painting with doors" als maßgebliche Rahmenbedingung für das Spiel mit den Schwellen zurückkommt. Das postulierte Kausalverhältnis zwischen dem Türkonzept und einer 'Schwellenarbeit' als resultierendem Schwerpunkt künstlerischer Gestaltung betrifft zwei verschiedene Übergänge: zunächst den massiven, von wechselnden Ansichten und mechanischen Prozessen definierten Grenzverlauf zwischen Außen- und Innenseite, der ohne Zweifel in engstem Zusammenhang mit der Wahrnehmung als Tür steht; weiterhin aber auch - und das ist eine folgenreiche Homogenisierungsleistung der Autorin - die Übergänge bzw. Grenzsetzungen zwischen Mitteltafel und Innenseiten der Flügel.
Geht man diesen Schritt jedoch mit, so erweist sich der gewählte Zugang als äußerst geeignet, um diverse Reflexionsleistungen, Neuerfindungen und Traditionslinien in den Fokus zu bekommen. Auf diesem Wege zeichnen sich für das Medium entscheidende prozessuale Dimensionen im Verhältnis von außen und innen ab, zum Beispiel inhaltliche wie formale Ankündigungsverhältnisse, Echos, zu füllende Leerstellen etc. Ebenso werden bereits in der Planung angelegte Varianten späterer Öffnungszustände (nicht selten wird von einer gewinkelten Öffnung ausgegangen!) und zentrale Entwicklungslinien in der Repräsentation von Stifterfiguren und in der Grisaillemalerei deutlich. Letztere sind bekanntlich das Erscheinungsbild des frühniederländischen Triptychons prägende Faktoren, denen sich Jacobs an mehreren Stationen der sinnvoll chronologisch gegliederten Arbeit gesondert widmet. Sie erscheinen so als unmittelbar mit der Frage der Schwelle, insbesondere derjenigen zwischen 'himmlisch' und 'irdisch', verbunden. Die Künstler fanden hier verschiedene Lösungen, um die von den repräsentierten Auftraggebern ersehnte Überschreitung dieser Hauptgrenze in Aussicht zu stellen bzw. zwischen Betrachter und 'jenseitigen' Orten auf hochdifferenzierte Weise zu vermitteln. Die dabei maßgeblichen repräsentationstheoretischen Problemlagen sowie die frömmigkeitspraktischen Kontexte werden angemessen in die Argumentation integriert.
Es steht außer Frage, dass es Jacobs mit der gewählten Fragestellung gelungen ist, wesentliche Faktoren einer fortlaufenden künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Medium Triptychon einzuholen und in äußerst aufschlussreicher Weise ins Verhältnis zu setzen. Die Studie beweist somit eindrucksvoll, dass sich auf dieser Grundlage eine veritable Geschichte der Triptychonmalerei schreiben lässt. Dabei scheut die Autorin nicht davor zurück, sich Hydren wie dem umstrittenen Œuvre der Werkstatt Robert Campins oder dem hinsichtlich nahezu aller Aspekte (u.a. Genese des Programms, ursprüngliche Gestalt, Klappzustände) nicht abschließend geklärten Genter Altar zu stellen. Zwar vermeidet sie hier zuweilen auffallend, hinsichtlich unvereinbarer Forschungspositionen Stellung zu beziehen und muss notgedrungen immer wieder eine vorbehaltende Rhetorik entfalten - doch erweisen sich gerade die Erfindungen der Vätergeneration um Campin und van Eyck als für den weiteren Verlauf der Entwicklungen maßgeblich, liefern oft entscheidende Schlüssel zum Verständnis bestimmter Standards, wie Grisaille, Verkündigungsdarstellungen oder Platzierung des Stifters.
Bereits hier etabliert sich die für Jacobs' Reflexionen wichtigste Schwellenform, die ambivalente Version "miraculous threshold", die wie wenige Phänomene sonst vom religiös-bildtheoretischen Anspruchsniveau der neuen Kunst Zeugnis ablegt und bis Rubens Ausdruck künstlerischer Intellektualität bleibt. Rogier van der Weyden schafft dann in seinem Bemühen um Rhythmus und emotionale Wirkungen mehr Klarheit. Dabei vernachlässigt er vor allem die Gestaltung der Außenseiten derart, dass man ihn (was Jacobs vermeidet) auch als Ignoranten zentraler medialer Potentiale zeichnen könnte. Er bleibt zumeist in der Fläche, prägt auf diese Weise jedoch drei weitere Schwellentypen, die in der Folge wichtig werden: Zu den Seiten hin etabliert er eine klare Grenze in Zeit und / oder Raum (die sich im späten 15. Jahrhundert voll ausprägt), alternativ eliminiert er die Schwelle durch die Darstellung fortlaufender Räume. Nach vorne hin prägt Jacobs für Rogier den nicht unproblematischen Terminus "rotated threshold" (101), um die typischen bildimmanenten Rahmenarchitekturen zu charakterisieren. Der forcierte Begriff der Rotation ist klar von der Differenz zu den seitlichen Schwellen, zwischen Mitteltafel und Flügeln, her gedacht, nicht von der bei Rogier in solchen Fällen meist eliminierten Hauptschwelle, welche normalerweise die (Tür-)Flügel ausbilden. Mit dieser im Hinterkopf müsste von einer Rotation nicht die Rede sein, eher handelt es sich um eine 'Einwanderung' der Tür ins Bild. Die anfängliche Gleichsetzung der beiden Schwellen wird an dieser Stelle brüchig. Hier droht sich zudem der Unterschied zwischen Triptychon-spezifischem Denken und reflektiertem Bespielen der ästhetischen Grenze ganz allgemein unter den Vorzeichen der Schwellenfrage aufzulösen.
Es ist mithin eine derjenigen Stellen, an denen sich abzeichnet, dass die Stringenz der Fragestellung, so viele Phänomene und Entwicklungen sie auch einfängt, zwangsläufig auch blinde Flecken produziert. So erschließt Jacobs durch den Fokus auf Türen einerseits eine für die prinzipielle Bewertung der Bildform und den weiteren Verlauf der Untersuchung höchst wertvolle historische Assoziationsebene, indem sie in einem der einführenden Unterkapitel (4-10) diverse Türkonstellationen in Theologie, Ritual und Alltag Revue passieren lässt und deren semantische wie phänomenologische Implikationen für das Verständnis der Gattung Triptychon auf den Punkt bringt. Andererseits aber fällt der Fokussierung auf die Formulierungen der Inventare das Bewusstsein für die Möglichkeit zum Opfer, dass neben Tür- auch andere Metaphoriken und Strukturanalogien für die Wahrnehmung und Konzeptualisierung des Triptychons leitend gewesen sein können. Hier wäre vor allem an den Vorhang und die mit ihm aufgerufenen Zusammenhänge göttlicher Offenbarung zu denken. Mit einer gewissen Notwendigkeit bleibt so zum Beispiel das (durchlaufende) Ehrentuch in den Nischen hinter den Stiftern von Rogiers Weltgerichtstriptychon aus Beaune unthematisiert, trotz seiner paradoxen Positionierung und der offenkundigen formalen Beziehung zur inneren Aureole der Gerichtserscheinung. Ähnliches gilt für auffällige Parallelisierungen zwischen Flügeln eines Triptychons und innerbildlichen Engelsflügeln, z.B. bei Quentin Massys' Annentriptychon in Brüssel oder Bernhard van Orleys Kasseler Heiligentriptychon (pl. 34, fig. 112).
Ein ebenfalls verengter Blickwinkel resultiert zuweilen aus der Fokussierung auf die Schwellenfrage, ohne der mit dem Türkonzept ebenfalls verknüpften Dimension eines verschließbaren Innenraums und den damit verbundenen Konzeptionen eines 'bewohnten Schreins' bzw. den Nutzungen des auf sich gefalteten Bildes mehr Raum zu geben. Diese Desiderate sind jedoch nur dann Kritikpunkte, wenn man den Anspruch an das Buch richtet, es müsse alles, was das Triptychon auszeichnet, vollständig abdecken. So mögen diese Punkte die selbstverständliche Tatsache markieren, dass die Arbeit hier nicht erledigt ist, sondern eine breite und äußerst anregende Schneise gebahnt wurde, die gleichwohl in ihren Fußnoten und Nebensätzen noch ausreichend Hinweise für diverse Nebenlinien mit sich führt. Dies wird sie letztlich zum Standardwerk und Ausgangspunkt zukünftiger Forschung machen und das seit einigen Jahren zunehmende Bewusstsein für die produktiven Spezifika des Triptychons nachhaltig im internationalen kunsthistorischen Diskurs verankern.
Anmerkung:
[1] Shirley Neilson Blum: Early Netherlandish Triptychs: A Study in Patronage, Berkeley 1969.
Lynn F. Jacobs: Opening Doors. The Early Netherlandish Triptych Reinterpreted, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2012, XVII + 357 S., 40 Farb-, 140 s/w-Abb., ISBN 978-0-271-04840-6, USD 94,95
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