Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der Frauenarbeit hat seit Karl Büchers legendärer Behauptung von 1882, dass Frauen im Mittelalter von keinem Gewerbe ausgeschlossen gewesen seien, zu denen ihre Kräfte reichten [1], verschiedene Konjunkturen erlebt. Gleichwohl lässt sich die Zahl der vorhandenen konkreten Studien noch immer leicht abzählen - die Wirtschaftsgeschichte erscheint bis heute auffallend blind, wenn es um die Ausgestaltung der Geschlechterordnungen des Arbeitens bzw. Wirtschaftens geht. Umso erfreulicher ist es, dass die 2010 vom Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel angenommene Dissertation von Muriel González Athenas über Kölner Zunfthandwerkerinnen 1650-1750 nunmehr in publizierter Form vorliegt. Sie gelangt zum Teil zu spektakulären Ergebnissen und verdeutlicht, wie nutzbringend es sein kann, neuere Ansätze und Ergebnisse aus der Frauen- und Geschlechterforschung und aus der Wirtschafts- und Sozialgeschichte zusammen zu führen und für die eigene Untersuchung fruchtbar zu machen.
Angeregt durch punktuelle Quellenfunde und neuere Studien verfolgt die Verfasserin das Ziel, die von der älteren Handwerks- und Gewerbeforschung, aber auch von der älteren Frauen- und Geschlechtergeschichte vertretene These vom Ausschluss der Frauen aus dem Zunfthandwerk in der Frühen Neuzeit und ihrer Abdrängung in marginale Wirtschaftsbereiche zu revidieren. [2] Dies geschieht durch eine systematische Untersuchung der Handlungsfelder von Frauen im Zunfthandwerk der freien Reichsstadt Köln. Die Studie setzt nach dem Dreißigjährigen Krieg ein und endet in der Mitte des 18. Jahrhunderts. In der Kölner Stadtgeschichte gilt dieser Zeitraum als einer des wirtschaftlichen Niedergangs, in welchem die Stadt ihre beherrschende Stellung im Rheinland verlor und durch den merkantilistischen Protektionismus der Nachbarterritorien einen Verfall ihres Exportgewerbes hinnehmen musste. Damit verband sich wirtschaftlicher Strukturwandel, bei dem sich Produktionsprozesse und Gütertransfer im Handwerk und Handel grundlegend veränderten.
Für ihre Untersuchung wählte M. González Athenas aus den 22 Kölner Gaffeln mit rund 50 Zünften in Anlehnung an vorhandene Forschungen vier Gaffeln, nämlich die Wollweber-, Schneider-, Leinenweber- und Goldschmiedegaffel, mit insgesamt zehn Zünften und weiteren beigeordneten Handwerken aus. Die Studie basiert auf einem umfangreichen Quellenbestand an normativen und nichtnormativen Quellen. Unter diesen kommt den Zunftordnungen, den Suppliken und den Akten des Kölner Rats und der Zunftgerichte besondere Bedeutung zu. Während in den Zunftordnungen die normativ gesetzten Handlungsbedingungen zum Ausdruck kommen, wurden in den Suppliken die Handwerkerinnen als Akteurinnen zur Durchsetzung ihrer Interessen und als Expertinnen in ihrer Arbeitskompetenz sichtbar. Diese Quellenbasis ermöglichte es der Verfasserin, mit dem Konzept des Handlungsspielraums zu arbeiten.
Die Studie beginnt mit einer Erläuterung der politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse Kölns im Untersuchungszeitraum. Der Aufbau der folgenden Kapitel ist weitgehend identisch: Nach Einführungen in den Forschungsstand und die wirtschaftliche Entwicklung der jeweiligen Gaffel folgen Analysen der Handwerksordnungen und der Suppliken von Frauen. Dabei untersucht Kapitel 2 am Beispiel der Schneidergaffel, welche Überlebensstrategien Handwerkerinnen angesichts eines Überangebots an Schneiderarbeit entwickelten. Kapitel 3 thematisiert die Ausbildung von Handwerkerinnen am Beispiel der Wollwebergaffel; Gegenstand von Kapitel 4 ist die Ehre von Handwerkerinnen - untersucht für die Goldschmiedegaffel. Kapitel 5 behandelt Semantiken von "Nahrung" und Gemeinnutz in der Leinewebergaffel, Kapitel 6 das Wirtschaftshandeln in Zünften allgemein. Analysiert werden damit die in der älteren Forschung stark diskutierten Ursachen für die Verdrängung von Frauen aus dem Zunfthandwerk der Frühen Neuzeit, als welche zunehmender Konkurrenzdruck und die Übersetzung der Handwerke, der fehlende oder verwehrte Zugang von Frauen zu formaler Ausbildung, ihr Ausschluss von Handwerksehre sowie Nahrungskonflikte gelten. Zugleich aber thematisiert die Verfasserin mit der Handwerksehre, mit Nahrungssemantiken und Fragen nach marktorientiertem Handeln, Flexibilität und Risikobereitschaft von Zünften große Themen der älteren wie jüngeren Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Sie tut das jedoch im Unterschied zu vielen Forschungen dezidiert mit dem Blick auf Frauen und gelangt schon allein deshalb zu neuen Erkenntnissen.
M. González Athenas stellt im Ergebnis ihrer Studie fest, dass Frauen in Köln in der Frühen Neuzeit zum Zunfthandwerk zugelassen waren. Es kam zu keiner Verdrängung der Frauen aus dem Handwerk, wohl aber zu einem Strukturwandel des Handwerks und der gewerblichen Produktion insgesamt. Neue Arbeits- und Absatzmärkte entstanden; die Arbeitschancen im Handwerk wurden zum Teil neu verteilt. González Athenas konstatiert, dass das Kriterium "Geschlecht" dabei keine Hauptrolle spielte. Der Status der einzelnen Handwerkerin in den jeweiligen Zünften bestimmte ihre Arbeitsbereiche und die Bewertung ihrer Arbeit, sei es als Lehrling, Gesellin, Meisterin. Am höchsten bewertet wurde die Arbeit der Ehefrau, Tochter oder Witwe, während die Arbeit in den beigeordneten Handwerken ohne eigene Zünfte geringer geschätzt und bewertet wurde (179). Sie sieht in diesem Befund nachdrücklich den in der jüngeren Frauen- und Geschlechterforschung präferierten Ansatz bestätigt, Geschlecht als relationale Kategorie zu untersuchen.
Die vorliegende Studie revidiert zweifellos die von der älteren Forschung vertretene These von der Verdrängung der Frauen aus dem Zunfthandwerk in der Frühen Neuzeit. Die Bestimmungen in den Handwerksordnungen wie im Ehegüterrecht Kölns belegen die Grundkonstruktion des Ehepaars als Arbeitspaar für das gemeinsame Wirtschaften im Handwerk. Auch wenn die rechtlichen Bedingungen in den untersuchten Handwerken unterschiedlich waren, lässt sich für Köln weder für Ehefrauen, noch für Witwen und Töchter von einem Ausschluss aus dem Handwerk sprechen. M. González Athenas verdeutlicht, dass die untersuchten Kölner Zünfte auch unter zunehmendem Konkurrenzdruck nicht mit dem Ausschluss von Handwerkerinnen, sondern mit der Abwehr von Fremden, sog. Nichtqualifizierten und "heimlich" Arbeitenden reagierten. Und anders als das die Forschung bislang annahm, besaßen auch Handwerkerinnen eine Handwerksehre; ihr bei der selbständigen Übernahme eines Handwerksbetriebes zu leistender Zunfteid verpflichtete sie dazu. Auch ihre zumeist nur informellen Handwerksausbildungen fanden volle Akzeptanz und waren in Köln kein Grund zur Auseinandersetzung.
Selbständige Handwerkerinnen, die nicht als Ehefrauen oder Witwen von Handwerkern in den Quellen vorkommen, kann M. González Athenas indes nur vereinzelt und wohl hauptsächlich in der Grobstrick- und Feinstrickzunft nachweisen. Für diese Handwerke konstatiert sie ein egalitäres Geschlechterverhältnis (176) - und das ist ein spektakuläres Ergebnis! Frauen konnten hier eine formale Lehre absolvieren und als Gesellinnen (und eben nicht nur als Ehefrauen oder Witwen von Meistern) selbstständig das Meisterrecht gewinnen. Als Meisterinnen durften sie Lehrlinge ausbilden; vor Gericht traten sie als hochangesehene Zeuginnen auf. Wäre angesichts dieser weitreichenden Konsequenzen einer formalen Ausbildung, die Frauen in den allermeisten Zünften nicht zugänglich war, die ungleichheitsgenerierende Dimension von Geschlecht im Kölner Handwerk nicht bedeutsamer zu veranschlagen? Und müsste nicht einmal geprüft werden, welche Auswirkungen sich aus dem ungleichen Erbrecht in Köln (ein Drittel des Erbgutes für die Witwe, zwei Drittel für den Witwer) auf die Werkstattübernahme von Witwen ergaben?
Wie auch immer: Die vorliegende Untersuchung erbrachte eine Reihe von interessanten Einzelergebnissen. Wenn sich mancher Befund dennoch nur schwer bewerten lässt, dann vor allem aus drei Gründen: Erstens verzichtet die Studie fast vollständig auf quantitative Angaben. So erfahren wir wenig über die Zahl der Meister und Witwen einer Zunft und über sonstige selbständige Meisterinnen. Damit ist schwer fassbar, wie hoch der Anteil selbständiger weiblicher Gewerbeausübung anzunehmen ist. Ähnlich offen bleibt der Anteil beschäftigter Mägde bzw. Gesellinnen und weiblicher Arbeitskräfte in den beigeordneten Handwerken der Wollwebergaffel. Zweitens betont die Verfasserin, dass in den von ihr untersuchten Gaffeln im starken Maße die Produktion im Verlagssystem üblich war. Dieser Punkt, möglicherweise quellenmäßig schwer zu fassen, findet bezüglich der Geschlechterrelation wenig Erörterung. Drittens schließlich verdeutlicht die Verfasserin durch den Vergleich mit den Ergebnissen Christine Werkstetters zur Situation von Handwerkerinnen in Augsburg sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede. [3] Für mich ist es eine offene Frage, inwieweit die festgestellte sehr umfassende Geschäftsfähigkeit von Kölner Handwerkerinnen tatsächlich eine Ausnahme, etwas speziell in Köln Übliches darstellte. Hier können nur konkrete empirische Studien, ähnlich der verdienstvollen Arbeit von M. González Athenas, die Forschung weiter voran bringen.
Anmerkungen:
[1] Karl Bücher: Die Frauenfrage im Mittelalter: Vortrag, gehalten am 28. März 1882 im Liebigschen Hörsaale zu München, Tübingen 1882.
[2] Vgl. Hermann Kellenbenz (Hg.): Zwei Jahrtausende Kölner Wirtschaft, 2 Bde., Köln 1975; Margret Wensky: Die Stellung der Frau in der stadtkölnischen Wirtschaft im Spätmittelalter, Köln/Wien 1980; Lyndal Roper: Das fromme Haus. Frauen und Moral in der Reformation, Frankfurt . M./New York 1995; Merry Wiesner-Hanks: Women und Gender in Early Modern Europe, Cambridge 1993.
[3] Christine Werkstetter: Frauen im Augsburger Zunfthandwerk. Arbeit, Arbeitsbeziehungen und Geschlechterverhältnisse im 18. Jahrhundert, Berlin 2001.
Muriel González Athenas: Kölner Zunfthandwerkerinnen 1650-1750. Arbeit und Geschlecht, Kassel: kassel university press 2014, 225 S., ISBN 978-3-86219-740-8, EUR 39,00
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