Felix Hinz untersucht in seiner Habilitationsschrift mit dem Titel Mythos Kreuzzüge Selbst- und Fremdbilder in ausgewählten in deutscher Sprache publizierten Romanen der Neuzeit. Nicht übersetzte fremdsprachige Romane werden ebenso ausgeblendet wie die nichtorientalischen Kreuzzüge. Damit hält Hinz indirekt an einem konservativen Kreuzzugsbegriff fest, obwohl die moderne historische Forschung mit Jonathan Riley-Smith in den Kreuzzügen eher umfassendere Unternehmungen sieht, die nicht nur zur "Befreiung" Jerusalems geführt wurden, sondern ebenso zur Rückeroberung der von den Mauren besetzten Iberischen Halbinsel, zur Missionierung der heidnischen Slaven, zur Bekämpfung von Ketzern oder aus politische Gründen. Zweifelslos aber behandeln die weitaus meisten historischen Romane die orientalischen Kreuzzüge, sodass diese historisch längst überholte Verengung der Kreuzzugsdefinition beim Untersuchungsansatz der vorliegenden Studie geboten erscheint.
In der kurzen Einleitung begründet Hinz die Bedeutung des Themas für die historisch-didaktische Forschung, die, so sein Plädoyer, den historischen Roman als Quelle für das historische Lernen vernachlässigt habe. Die Einleitung führt der Autor - etwas ungewöhnlich - im "Aufblick" weiter, da in diesem Kapitel Fragestellung und Methodik sowie der Forschungsstand zum historischen Roman und zum "Mythos" Kreuzzug vorgestellt wird. Ferner zieht der Autor geschichtsdidaktische Ansätze zum Mittelalter als Epoche heran und klärt, ob das Thema Kreuzzüge überhaupt in diesen Konzeptionen berücksichtigt wird oder nicht. Inwieweit aber diese Diskussion der älteren (Uffelmann) bzw. jüngeren didaktischen Mittelalterkonzeptionen (Buck) sinnvoll ist, erscheint fraglich, da zumindest die neueren kompetenzorientierten Ansätze die Inhaltsfrage vernachlässigen und Lehrpersonen die Unterrichtsinhalte je nach Klassenstufe, Curriculum, Zeit, Interesse und Bedeutung immer wieder neu zusammenstellen, ohne didaktische Epochenkonzeptionen zu berücksichtigen.
Im "Anblick" genannten Hauptteil der Arbeit stellt Hinz verschiedene historische Romane zu den Orientkreuzzügen vor und vergleicht die Aussagen zu Tempelrittern, "allgemeinen Figurenkonzeptionen" oder zu "handlungszentralen Orten" (Jerusalem, Akkon, Konstantinopel, Geheime Orte) miteinander. Sodann beschreibt er "Konstanten der Kreuzzugsnarrative historischer Romane" in Längsschnitten, um anschließend in Querschnitten "epochale Differenzen der Kreuzzugsnarrative" in den Blick zu nehmen. Grob unterschieden werden dabei die Epochen der Zeitalter des Nationalismus (1786-1870), des Deutschen Reiches (1871-1945) und "im Angesicht der Bombe" (1946-1991). Ob auch andere Gliederungen möglich wären, wird nicht diskutiert. In diesen Vergleichen liegt zweifelsohne die Stärke der Untersuchung. Immer wieder werden Zitate aus den behandelten Romanen gegenübergestellt und besprochen. Einzelne Zwischenfazite runden den Erkenntnisgewinn ab. So fundiert aber diese umfangreiche Sammlung ausgewählter Zitate und deren Kommentierung auch sein mag - so gibt sie doch lediglich die christlich-westliche Sichtweise wieder. Interessant wäre zweifelsohne - sofern vorhanden - ein Vergleich mit ausgewählten Romanen aus dem islamischen Kulturraum gewesen. Diese aber dürften kaum in Übersetzung erschienen sein.
Das letzte, als "Ausblick" bezeichnete Kapitel fragt nach "neuzeitlichen Sinngebungen der mittelalterlichen Kreuzzüge in historischen Romanen" und nach "geschichtsdidaktischen Schlussfolgerungen, Desiderata und Perspektiven". Der Autor stellt darin abschließend fest, welches Bild von den Kreuzzügen, den Kreuzfahrern und der Amtskirche in den Romanen aus den verschiedenen Jahrhunderten entworfen wird: Diese zeichnen überwiegend ein "großes apokalyptisches Drama", heroisieren die Ritter, indem sie deren Mut bewundern, aber auch deren Hochmut kritisieren, und zeichnen im "Grundtenor" das Bild eines westlichen Freiheitskampfes gegen orientalische Despotie ohne sich jedoch mit der islamischen Religion auseinanderzusetzen (464ff.). Deshalb warnt Hinz auch vollkommen zu Recht vor einem unreflektierten Einsatz dieser Romane im Geschichtsunterricht (484). So resümiert der Autor, dass es bislang keinen, für Jugendliche geeigneten Kreuzzugsroman gebe (485f.), was ihn freilich nicht davon abhält, sich dennoch an Aufgabenstellungen für den Geschichtsunterricht zu versuchen. Nach Hinz ließen sich etwa die in den Romanen vorgenommen Werturteile im Geschichtsunterricht kritisch reflektieren (486). Das ist jedoch per se unhistorisch, da diese Werturteile die Sicht neuzeitlicher Autoren widerspiegeln und allenfalls im Vergleich mit zeitgenössischen Werturteilen sinnvoll erscheinen, wie sie etwa in dem bekannten Kreuzzugsaufruf von Bernard von Clairvaux zum Ausdruck kommen, der das Loblied auf das christliche Rittertum singt. Zudem stehen genügend erzählende Quellen aus der Kreuzzugszeit zur Verfügung, etwa die bekannte Kreuzzugsgeschichte von Wilhelm von Tyrus, sodass es geboten erscheint, auf fiktive Quellen zu verzichten. Ferner ist ein historischer Roman einfach zeitlich gesehen zu weit von den Geschehnissen entfernt und muss erst mühsam von neuzeitlichen Sichtweisen befreit werden, um im Geschichtsunterricht überhaupt behandelt werden zu können. Im Detail dürften die Aufgabenstellungen von Hinz die meisten Schülerinnen und Schüler erheblich überfordern: "Erkläre, worin in den geschilderten Situationen ein kulturelles Missverständnis oder kultureller Konfliktstoff besteht, und beschreibe ihre Wirkung. Beurteile die Situation mit Hilfe geeigneter Fachliteratur für die Zeit des Mittelalters und anschließend aus heutiger Perspektive" (487). Ganz abgesehen davon, dass diese Aufgabenstellung zu komplex ist, können Schülerinnen und Schüler auch nicht feststellen, welche Fachliteratur geeignet ist und welche nicht. Auch fehlt hier die Evaluation seiner Aufgaben in der schulischen Praxis.
Ein ausführliches Literatur- und Quellenverzeichnis beendet das Buch. Insgesamt gesehen stellt die Untersuchung zwar einen fundierten Überblick zu ausgewählten historischen Kreuzzugsromanen dar, verspricht jedoch keinen grundsätzlich neuen Erkenntnisgewinn zur historischen Kreuzzugsforschung. Das war aber auch nicht beabsichtigt, versteht sich die Habilitationsschrift doch als eine ausgesprochen didaktische Analyse. In didaktisch-methodischer Hinsicht wird man allerdings nicht allen Ausführungen des Autors folgen wollen.
Das 571 Seiten lange Buch ist ermüdend zu lesen. Das liegt jedoch in erster Linie an der vom Verlag gewählten zu kleinen Schrifttype, nicht etwa an der geschliffenen Ausdrucksweise des Autors. Hinzu kommen die vielen Romanzitate, die vor allem für Literaturwissenschaftler, weniger für Historiker interessant sind. Abkürzungen, wie SuS (489), sollten in einem wissenschaftlichen Text aufgelöst werden. Zudem wäre, wie eingangs betont, ein interkultureller Vergleich zwischen Autoren mit christlichem und muslimischem Hintergrund weitaus erhellender und spannender gewesen.
Historische Romane aber, so die Erkenntnis des Rezensenten, unterhalten zwar, sind aber für den Einsatz im historischen Lernen nur bedingt bzw. gar nicht einsetzbar. Germanistische und historische Methoden sollten nicht vermengt werden, sondern können sich in getrennten Fächern nur gegenseitig ergänzen.
Felix Hinz: Mythos Kreuzzüge. Selbst-und Fremdbilder in historischen Romanen (1786-2012), Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2014, 574 S., ISBN 978-3-7344-0019-3, EUR 59,80
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