Die US-amerikanische Autorin Anne Applebaum (die mittlerweile auch den polnischen Pass besitzt) widmet sich in ihrem umfangreichen Werk der Zerstörung der zivilen Gesellschaften in den Ländern Osteuropas durch den sowjetischen Stalinismus nach 1944. Osteuropa definiert sie in Anlehnung an Mark Kramer als den Raum, der acht Länder umfasste: Polen, die SBZ / DDR, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien und Albanien. In ihnen wurde der Stalinismus durch die Sowjetunion implementiert, und sie alle blieben von den 1940er-Jahren bis Ende der 1980er-Jahre kommunistisch. Die Sowjetunion selbst bildet laut dieser in Deutschland etwas ungewöhnlich klingenden Definition keinen Teil Osteuropas (16, 543f.). Eine Antwort auf die Frage, wo sie denn nun stattdessen hingehöre, wird im Buch nicht gegeben.
Die Stalinisierung wird durch die Autorin als ein im wahrsten Sinne des Wortes fremdgesteuerter Prozess geschildert. Wenn Applebaum über den Einmarsch der Roten Armee 1944/45 in diese Region spricht, bezeichnet sie ihn kontinuierlich als "Besetzung". Das Ereignis sieht sie in die imperialen Neigungen der Sowjetunion eingebettet, die im Laufe ihrer Geschichte "mehr als einmal" versucht habe, Europa unter ihre Kontrolle zu bringen (71). Die so konzipierte Darstellung werde, so das Versprechen der Autorin, "uns mehr über [...] die sowjetischen Prioritäten und das sowjetische Denken [sagen] als jede isolierte Studie der Sowjetgeschichte" (25).
Allerdings wird der in der Arbeit untersuchte Raum noch eingegrenzt: Applebaum konzentriert sich auf Polen, die SBZ / DDR und Ungarn. Mit Recht weist sie darauf hin, dass die Vorgeschichte Osteuropas von elementarer Bedeutung sei, um seine Sowjetisierung zu verstehen. So wurde ein Teil des Kontinents, der bis dahin "auffallend wenig Gemeinsamkeiten" hatte (16), unter der NS-Herrschaft zu einem geschlossenen Raum zusammengeführt. Die damals durchgesetzte Enteignung des Privatbesitzes erleichterte die späteren Maßnahmen der Kommunisten. Die deutsche Besatzung, der Krieg und der Einmarsch der Roten Armee hatten den Zusammenbruch der bestehenden Moral zur Folge. Die erlebte Gewalt bildete die psychologische Grundlage für die Etablierung der neuen Regime.
Für ihre Untersuchung revitalisiert die Autorin den durch die Forschung mit Zurückhaltung betrachteten Begriff "Totalitarismus", in dem sie "eine nützliche und notwendige empirische Beschreibung" sieht (15). Als Quellenbasis dienten ihr unter anderem Gespräche mit Zeitzeugen, die sie in vielen Fällen noch kurz vor deren Ableben durchführen konnte.
Im ersten Teil des Buches geht die Verfasserin auf die "importierte[n] [...] Schlüsselelemente des Sowjetsystems" in dem jeweiligen Land (20) und deren Durchsetzung ein. Dazu gehörte unter anderem die Geheimpolizei, die stets eine Kopie des sowjetischen Vorbildes war und sich unter der Kontrolle der Vertreter der sowjetischen Machthaber befand. Das Gleiche betraf den Rundfunk - zu diesem Zeitpunkt das wichtigste Massenmedium. Die damalige Strategie der jeweiligen kommunistischen Führer beschreibt am besten der durch die Autorin zitierte Spruch Walter Ulbrichts, der 1945 sagte: "Es ist doch ganz klar: Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben" (124).
Zu diesem Themenbereich gehörten auch die ethnischen Säuberungen, die Applebaum ausführlich thematisiert. Sie setzt sich dabei berechtigterweise mit dem Mythos der Gleichgültigkeit der Kommunisten gegenüber nationalen und ethnischen Unterschieden auseinander, den diese selbst verbreiteten. Anhand interessanter Einzelbeispiele weist die Verfasserin darauf hin, dass auch die Gewalt gegen die zur Aussiedlung gezwungenen Deutschen die Grundlagen für den späteren Terror gegen die eigene Bevölkerung geschaffen hat (165).
Der zweite Teil des Buches schildert die Jahre nach 1947/48, als die härteren Maßnahmen der Kommunisten helfen sollten, ihre Macht durchzusetzen und die vorhandenen Strukturen der zivilen Gesellschaften zu zerstören. Sie waren eine Reaktion nicht nur auf den in dieser Zeit beginnenden Kalten Krieg, sondern auch auf das Scheitern des Versuches, die gesteckten Ziele mit friedlichen Mitteln durchzusetzen. Wie die Autorin betont, war die Überzeugung, die Macht lasse sich mithilfe freier Wahlen erobern, bei den Vertretern der neuen Regime in der Anfangszeit durchaus vorhanden.
Zu den Orten, an denen der gewünschte "Homo Sovieticus" entstehen sollte, zählt die Autorin vor allem Fabriken und Arbeitsplätze, die zu "Zentren der ideologischen Erziehung" wurden (364). Organisierte Freizeit, kontrollierte Schulen und das Leben in den sozialistischen Idealstädten, wie Nowa Huta in Polen, Eisenhüttenstadt in der DDR und Sztálinváros in Ungarn, sollten die Kontrolle perfektionieren.
Als Kontrapunkt zur Darstellung des Hochstalinismus dient die Schilderung der Aufstände, vor allem jener in der DDR im Juni 1953 und in Ungarn 1956. Die meisten - auch die westlichen - politischen Kontrahenten dieser Zeit hatten geglaubt, totalitäre Regime seien nahezu unbesiegbar, wenn sie erst einmal Fuß gefasst haben. "Sie alle irrten sich. Menschen werden nicht so leicht zu 'totalitären Persönlichkeiten'", betont Applebaum, "der Bann [kann] plötzlich [...] und auf dramatische Weise gebrochen werden" (526). In diesen Worten spiegelt sich auch meines Erachtens die grundsätzliche Botschaft der Autorin wider; ein totalitäres Regime kann überwunden werden.
Die Darstellung ist fließend erzählt und mit ruhigem Rhythmus geschrieben. Sie vermittelt die Geschichte der Länder, die infolge der "bemerkenswerte[n] Unbekümmertheit" (50) der westlichen Verhandlungsführer in Jalta und Potsdam für etwas mehr als vierzig Jahre an die Sowjetunion geraten sind. Es scheint das Anliegen der Autorin zu sein, ein breites Publikum zu erreichen. Dafür ist das Buch auch bestens geeignet.
Anne Applebaum: Der Eisene Vorhang. Die Unterdrückung Osteuropas 1944-1956. Übersetzt von Martin Richter, München: Siedler 2013, 636 S., ISBN 978-3-8275-0030-4, EUR 29,99
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