Bethany J. Walker bekleidet zurzeit eine Forschungsprofessur für Mamluk Studies am Annemarie Schimmel Kolleg ( http://www.mamluk.uni-bonn.de) und ist zuständig für die Geschichte des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Mittleren Ostens und der Islamischen Archäologie an der Rheinische Friedrich Wilhelms-Universität Bonn. Über die sozio-ökonomische Geschichte und die materielle Kultur der Mamluken und Osmanen hinaus leitet sie zwei archäologische Projekte in Jordanien.
In der vorliegenden Monographie beschreibt sie den Niedergang des mamlukischen Sultanats am Ende des 14. und zu Beginn des 15. Jahrhundert als einen wichtigen Bestandteil allgemeiner Transformationsprozesse in der Levante aus der Perspektive der jordanischen Provinz. Dabei geht es insbesondere um die radikalen Auswirkungen des Zerfalls gesellschaftlicher Strukturen in dem mamlukischen Sultanat mit Sitz in Kairo auf das Gebiet und die lokale Bevölkerung in dem jordanischen Grenzraum sowie um die damit einhergehenden überregionalen Veränderungen der politischen Strukturen und des Wirtschaftssystems.
Mittels einer kritischen Untersuchung einer Vielzahl von wirtschaftlichen und rechtlichen Dokumenten sowie narrativen Texten aus der Zeit der Mamluken und der frühen Osmanen gelingt es ihr - vor allem durch die Korrelation der Ergebnisse mit archäologischen Daten - sehr schön, die komplexen dialektischen Beziehungen zwischen den prominenten mamlukischen Machtzentren und den lokalen Stammesgesellschaften darzustellen. Die Methode, historische Dokumente mit archäologischen Funden und Studien Hand in Hand zu analysieren, ist ein innovativer Ansatz in der islamischen Archäologie, mit dem Walker Unsichtbares praktisch sichtbar macht, um so auch das Leben der ansonsten stummen "unteren" Schichten beschreiben zu können.
Mit der Konzentration auf Jordanien, ein bisher kaum untersuchtes Gebiet im Bilād al-Shām, hat die Autorin einen spannenden, aber auch steinigen Weg eingeschlagen. Das Land hat, bedingt durch seine unterschiedliche Topographie mit Wüsten, Steppen, tiefen Tälern (wādīs) und "Städten" (madīnahs) verschiedene Lebensformen und hybride Kulturen hervorgebracht. Das Verwaltungssystem zur Zeit der Mamluken und der späteren Osmanen in Jordanien unterschied sich voneinander, und jede Region besaß ihre eigenen Finanz- und Rechtsstruktur. Die Suche nach schriftlichen Zeugnissen ist aufwendig. Dokumentarische Quellen wie Katasterauszüge, Register, Gerichtsakten, Stiftungs- und Besitzurkunden etc. liegen verstreut in diversen Archiven verschiedenster Länder.
Die Monographie ist folgendermaßen aufgebaut: Der informativen Danksagung mit Hinweisen darauf, wie das Buch entstanden ist, folgen fünf Kapitel, sechs übersichtliche Mappen, eine Flurkarte von der Ḥubrās Moschee, fast drei Dutzend Illustrationen, eine ausführliche Bibliographie sowie ein Index. Die Kapitel sind nochmals in Unterabschnitte unterteilt und machen das Buch überaus leserfreundlich.
Das erste Kapitel und die Bibliographie besitzen durchaus Eigenschaften von Nachschlagewerken. Fast alle bekannten Primärquellen und sämtliche Bücher und Aufsätze zu diesem Thema scheinen einbezogen worden zu sein. Die Autorin beginnt ihre Ausführungen mit einer Skizze der langsam einsetzenden politischen, militärischen und ökonomischen Veränderungen in der islamischen Welt des 14. Jahrhunderts und dem damit einhergehenden wachsenden Bewusstsein der Gelehrten für einen notwendigen Wandel.
Im Kapitel 2 wird auf die Funktion und die Struktur der lokalen Verwaltung und insbesondere auf das iqṭā-System eingegangen, welches die Mamluken von ihren Vorgängern, den Ayyubiden, übernommen und weiterentwickelt haben. Die Autorin berichtet über verschiedene urbane Siedlungen. So widmet sie sich der besonderen Rolle Keraks, geht aber auch auf Ajlun, Akabat-Aylah, Amman, Salt, Hisban und andere ein. Des Weiteren thematisiert sie das Klima und die Regenfälle sowie die Lage der Flüsse und die hüglige Landschaft, die Bodenbeschaffenheit und die damit resultierenden Aussichten auf gute Erträge. Sie spricht über die Produktion und den Export von Zucker, Olivenöl und den Anbau und die Ausfuhr von Früchten. Jordanien fungierte seit jeher Zeit als ein wichtiger Handelskorridor zwischen Syrien, Irak, Ägypten und dem Hijaz und seine wirtlichen Orte wurden gerne als Zwischenstation von Durchreisenden und Pilgern frequentiert. Die Mamluken investierten in den Bau der Routen, Karawansereien, Brunnen und Wasserwerken und verstärkten die Zitadellen.
Im Kapitel 3 beschreibt sie ausführlich die komplexe Struktur und den besonderen Charakter der lokalen jordanischen Gesellschaft. In der frühen Phase des Mamlukensultanates, insbesondere während der Regierungszeiten der Sultane Baybars, an-Nāṣir Muḥammad und Barqūq basierten die guten Beziehungen auf gegenseitigem Vertrauen. Syrische Quellen unterscheiden zwischen den Subgruppen ʿurbān und den ahl al-balad, die sich wiederum in Untereinheiten teilen lassen. Die ʿurbān (Sing. ʿarab) arbeiteten als Eskorte und Wächter von Pilgerkarawanen und viele von ihnen galten als wichtige, regierungsnahe Funktionäre, die politische, militärische und wirtschaftliche Interessen der Mamluken verfolgten und die Macht des Sultans forcierten. Zu den Stämmen ʿashīr (ʿushrān) gehörten Bauern, Hirten, Dorfbewohner, Nomaden oder eine Kombination dieser. Zu der Gruppe der ahl al-balad zählten alle übrigen lokalen Gruppen mit identifizierbarem Wohnsitz, ungeachtet dessen ob Moslem oder Christ. Die Mamluken konnten die beiden Gruppen weder äußerlich noch kulturell voneinander unterscheiden. Ebenso wenig verstanden sie ihre teilweise unbeständige Lebensart und ihre gemischte Form von Ackerbau und Viehzucht. So ist es nicht verwunderlich, dass es ihnen nicht gelang, diese Gruppen in eine Staatstruktur zu integrieren.
Der Versuch der Staatsbeamten, die lokalen Stämme wie in Kairo zu manipulieren, führte unumgänglich zu Auseinandersetzungen. Die ʿurbān radikalisierten sich und gingen als bewaffnete, gewaltbereite Räuber, die sich nicht scheuen, Staatsbeamte, Handelsleute und gar wehrlose Pilger zu überfallen und zu töten, in die Chroniken der mamlukischen Elite ein. So verloren die Mamluken allmählich die Kontrolle über die Region, wodurch die üppigen Steuereinnahmen entfielen.
Im vierten Kapitel wird das Thema Ökonomie um die Wende des 15. Jahrhunderts und die Inhalte der von den Sultanen initiierten Finanzreformen aufgerollt. Die Autorin geht auf die zunehmenden Privatisierungen und Veräußerungen von ehemaligen staatlichen Ländereien und öffentlichem Land sowie auf den direkten Einfluss der Zentralmacht auf die Ökonomie und Gesellschaft ein. Das Ende des 15. und der Anfang des 16. Jahrhunderts markieren offensichtlich den Niedergang der Mamluken.
Im letzten Abschnitt des Buches skizziert Walker die neue Situation der mamlukischen Administration in Jordanien nach der Annexion durch die Osmanen 1516. Dieser Übergang von der mamlukischen Ära in die osmanische wird nicht als ein vollkommener Bruch gesehen, sondern höchstens als ein reibungsloser politischer Übergang unter der Fortführung der fast unveränderten Administration für mindesten ein Jahrhundert.
Insgesamt gelingt es der Verfasserin, dem Leser eine überzeugende Geschichte der mamlukisch-jordanischen Provinz im 15. Jahrhundert an die Hand zu geben und damit die Entwicklung einer Region mit ihren lokalen Eigenheiten und ihrer regionalen Eigendynamik exemplarisch zu rekonstruieren. Zudem gibt uns das Werk einen ausgezeichneten Überblick über die historische Geographie Groß-Syriens. Die Gratwanderung aus wissenschaftlichem Anspruch und allgemein zugänglicher Lesbarkeit ist eine wirklich anerkennenswerte Leistung von Bethany J. Walker.
Bethany J. Walker: Jordan in the late Middle Ages. Transformation of the Mamluk Frontier (= Chicago Studies on the Middle East), Chicago: Middle East Documentation Center 2011, X + 338 S., ISBN 978-0-9708199-7-0, USD 70,00
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