Die Studie Cornelia Eislers über die Heimatsammlungen der bei und nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus ihren Wohnorten evakuierten und geflohenen Deutschen füllt eine Lücke der zeitgeschichtlichen Forschungsagenda. Mit ihrer im Frühjahr 2014 an der Kieler Universität abgeschlossenen volkskundlichen Dissertation befasst sich die Autorin mit der Frage, unter welchen Umständen deutsche "Vertriebene" in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre Sammlungen zusammentrugen. Analysiert wird aber auch, wie diese Sammlungen wahrgenommen wurden, welche Sinngebungen man damit verband und welchen Zweck sie erfüllen sollten.
Die Heimatsammlungen bildeten einen Aspekt der frühen bundesdeutschen Erinnerungskultur, der gegenwärtig weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Zu Unrecht, denn die Autorin fand heraus, dass nach 1945 in Deutschland annähernd 600 Heimatsammlungen entstanden, von denen derzeit noch etwa 400 - überwiegend in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen - existieren.
Die Autorin versteht unter diesen Sammlungen "Räume des Gedenkens, der Vergegenwärtigung vergangener Geschehnisse und der Selbstdarstellung spezifischer Erinnerungsgemeinschaften" (11). Nach einem Abschnitt zur - überschaubaren - Forschungslage folgen einführende methodische Überlegungen, ehe die Verfasserin sich der "Musealisierung im Kontext der Heimatbewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts" zuwendet. Entstehen und Entwicklung der sogenannten "ostdeutschen Heimatstuben" werden beschrieben und schon für die Weimarer Republik "zwischen regionaler Identitätsstiftung und Nationalisierung" verortet. Ihrer Dienstbarmachung im Nationalsozialismus folgte die Zerstörung.
In der Bonner Republik entstanden abermals zahlreiche Räume des Heimatgedenkens und der Heimatpolitik. Deren "Nebenprodukte" waren gewissermaßen die Sammlungen derjenigen, die den Verlust der Heimat kollektiv betrauerten. Dabei traten verschiedene Gründer, Initiatoren und Träger auf den Plan, nicht zuletzt die Interessenverbände der Flüchtlinge und ihre Landsmannschaften. Viele ostdeutsche Heimatstuben wurden im Rahmen von patenschaftlichen Aufgaben eingerichtet, wobei Gemeinden in der Bundesrepublik sich für den Erhalt ausgewählter Überlieferungen eines Ortes aus den vor 1945 zum Deutschen Reich gehörigen Ostgebieten oder den ehemals (volks)deutschen Siedlungsgebieten außerhalb der Reichsgrenzen einsetzten. Diese bezeichnete man als Haus des Deutschen Ostens oder Haus der Heimat. Das Bundesvertriebenengesetz und sein "Kulturparagraf" 96 setzten den Rahmen.
Mit Blick auf einzelne Bundesländer zeichnet Eisler unter anderem die "Heimatsammlungskonzepte und -förderung in Nordrhein-Westfalen", die Geschichte der sudetendeutschen Heimatsammlungen in Bayern und die "Förderpolitik" in Hessen nach.
Sie blickt sodann exkursartig auf die Lage der Flüchtlinge in der DDR sowie auf übergreifende Organisations- und Zentralisierungsbestrebungen in Gestalt von Arbeitsgemeinschaften und Bundesvereinigungen.
Die Heimatsammlungen fanden sich "zwischen Erinnerung und Machtsymbolik" wieder, sollten sie doch die "Mahnung an Heimatverlust" verstetigen und Grundlage der fortbestehenden "Schicksalsgemeinschaft" sein, aus der die organisierten Vertriebenen ihre Ansprüche herleiteten. Bemerkenswert erscheint, dass die intensivste Phase der Sammlungen in die 1980er-Jahre fällt, als dergleichen rückwärtsgewandte Kulturarbeit unter Helmut Kohls Kanzlerschaft noch einmal aufblühte.
Die von der bundesdeutschen Politik betriebene großzügige Unterstützung der Vertriebenen-Kulturarbeit diente nicht zuletzt dazu, Unzufriedenheit aufseiten der Landsmannschaften abzubauen. Da sich ihre Forderungen in Bezug auf die Wiedergewinnung oder "Rückeroberung" (558) verlorener Heimaten unmöglich umsetzen ließen, sollten sie auf diese Weise besänftigt und gleichsam entschädigt werden. In den Präsentationen beziehungsweise Inszenierungen der Heimatstuben traten von jeher Bestandteile der seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts virulenten Volkstums- und Grenzlandideologie zutage. Im Ergebnis entwickelten sich die ostdeutschen Heimatstuben in West-Deutschland zu "Begegnungsstätten zwischen erhoffter Zugehörigkeit und Selbstisolierung". Sie gerieten schließlich "zu einem Symbol für die Vertriebenenverbände und ihr folkloristisches Gedenkwesen" (562). Demgegenüber wurde der Rückblick auf Flucht, Vertreibung, Aussiedlung erst spät mit der Würdigung einer beeindruckenden Integrationsleistung der deutschen Nachkriegsgesellschaft verbunden.
Archivmaterial zum Thema ist reichlich vorhanden. Eisler nutzte einschlägige Bestände des Bundesarchivs und der Staatsarchive derjenigen Bundesländer, die eine große Zahl von Flüchtlingen aufnehmen mussten. Den föderalistischen Rahmen ergänzen mehrere Exkurse in die Kommunalpolitik, die einen genaueren Blick auf die konkrete Ausgestaltung der Patenschaften ermöglichen.
Die Einbeziehung von Akten aus den Vertriebenenverbänden stieß auf Schwierigkeiten, die mit ihrer mangelnden Erschließung oder mit der Tatsache zusammenhängen, dass Dokumente aus Platzgründen vernichtet worden waren; nur wenige Verbandsarchive werden professionell geführt. Und nicht alle Landesverbände des BdV gewährten der Autorin Einblick in ihre Archivbestände. Die mannigfaltigen Objekte der Sammlungen unterzieht Eisler anhand der Trachten beispielhaft einer Bestandsanalyse.
Angefügt sind Kurzbiografien von 23 rührigen Vertretern und Vertreterinnen des organisierten Vertriebenenmilieus - drei Frauen und 20 Männern -, darunter Theodor Oberländer und der 1908 in Estland geborene Heinrich von zur Mühlen, der in der Bonner Republik als Ministerialbeamter Verwendung fand; hier fehlt die Angabe, dass er 1932 der NSDAP beitrat und 1994 in Bonn gestorben ist. Auch bei anderen (Roland Adolphi, Albert Schettler) ist das Todesjahr nicht angegeben.
Den Band beschließt ein Personen- und Ortsregister, das allerdings kein geografisches Register ist, denn über die Lage in Bayern oder Hessen oder auch die Bezüge zu - beispielsweise - Polen erhält der Leser hier leider keine Übersicht. Auf ein Institutionenregister hat man verzichtet, sodass sich etwa die unterschiedlichen Landsmannschaften und das Rigaer und das Marburger Herder-Institut nicht leicht auffinden lassen.
Weiterhin unterbelichtet bleiben nach Eislers Pionierarbeit die zahlreichen im Land verstreuten Denkmale und Gedenkorte, die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten dem Thema "Vertreibung" gewidmet wurden. Da sie zum Teil die Ästhetik der pathosgeladenen, politisierten nationalsozialistischen Feierkultur fortführen, mit der das Gemeinschaftserlebnis gestärkt werden sollte, wäre es an der Zeit, auch solche Überbleibsel des deutschen Nachkriegs-Nationalismus einer kritischen Gesamtbetrachtung zu unterziehen.
Indem Eislers differenzierte Analyse deutlich macht, wie eng das "vermeintliche grass-roots-Phänomen Heimatsammlungen [...] mit den politischen und administrativen Strukturen in der Bundesrepublik verknüpft war und somit kaum als herrschaftsfrei gelten kann" (566), leistet sie insgesamt gesehen einen wichtigen Beitrag zur deutschen Erinnerungskultur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Cornelia Eisler: Verwaltete Erinnerung - symbolische Politik. Die Heimatsammlungen der deutschen Flüchtlinge, Vertriebenen und Aussiedler (= Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa; Bd. 57), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2015, 664 S., ISBN 978-3-11-041004-4, EUR 74,95
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