Seit vielen Jahren hat die Kunstwissenschaft begriffen, dass das "Werk" mehr als ein von einem Künstler geschaffenes Ding, sondern (darüber hinaus auch) ein Produkt von Kommunikation ist. Das ist auch die Prämisse von Anne Breuchas Untersuchung zum amerikanischen Gegenwartskünstler Jeff Koons, die 2012 als Dissertation von Wolfgang Ulrich an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe angenommen wurde. Zweifellos scheint sich Koons, in den letzten beiden Jahrzehnten so etwas wie das Paradigma des medial gefeierten Künstlers, besonders zur Analyse einer Konstruktion von Bedeutung zu eignen, die über das jeweilige Objekt erheblich hinausgeht. Breucha fokussiert sich dabei auf den Sonderfall einer Bedeutungskonstruktion durch Selbstäußerungen des Künstlers, die in der Form von Interviews umgesetzt wird. Diese Perspektive besitzt dabei methodisch durchaus Aktualität, wie diverse wissenschaftliche Beiträge in den letzten Jahren beweisen. [1]
Im Zuge der bisherigen Auseinandersetzung mit Koons hat es eine derartige Fragestellung bislang nur ein Mal gegeben, wie Breucha in ihrer Einleitung ausführt (vgl. 17), während die Diskussion um Koons ansonsten durch eine weitgehend affirmative Rezeption seiner Äußerungen geprägt ist. Breucha hingegen erkennt die Interview-Äußerungen als einen zentralen Bestandteil des Werks und formuliert deshalb ihre Ausgangsthese wie folgt: "Es wird der These nachgegangen, dass Koons einen Werkbegriff entwickelt, der sich als Zusammenspiel mehrerer Kommunikationsebenen beschreiben lässt: Die Person des Künstlers, die Kunstobjekte sowie die durch die Interviews formulierte Theorie des Künstlers bilden ein kongruentes System, eine Art Gesamtwerk, dessen Konzeption sich erst durch die Interviews erschließt." (22) Dem Interview wird somit (erneut) ein zentraler Stellenwert zugeschrieben, wobei hier allerdings stillschweigend suggeriert wird, dass man im weiteren Verlauf der Lektüre eine kritische Analyse von dessen Funktion erwarten darf.
Breucha verfolgt ihre Fragestellung nicht allein am Leitfaden der Chronologie, sondern versucht das Thema vor allem systematisch zu strukturieren. Ihr 1. Kapitel beschreibt daher zwar auch das Gerüst einer Rezeptionsgeschichte, widmet sich aber besonders auch Koons' Verhaltensformen in Interviews und deren politischer Dimension (vgl. 44). Im folgenden Kapitel geht es dann um die wiederkehrende Verwendung von Begriffen und Topoi, die Breucha an einem historischen Zeitstrahl in einer Grafik auch vorbildlich veranschaulicht (vgl. 58f.). Leider ist die entsprechende Darstellung so klein gedruckt, dass man eine Lupe bei der Lektüre benötigt - ein vermeidbares editorisches Dilemma bei einem so wichtigen Aspekt der Argumentation!
Das dritte und längste Kapitel widmet sich dem Zusammenhang von Erfolg und Seriosität (vgl. 69ff.). Ausgehend von Koons' eigener Differenzierung seiner Biografie in sechs Episoden weicht Breucha im zweiten Teil dieses Kapitels von ihrer zuvor so konsequenten Analyse leider etwas ab, indem sie nun die Formen der Selbststilisierung über die Interview-Form hinweg ausdehnt und mediale Kontexte wie TV-Auftritte (vgl. 89-96) und Journalisten-Besuche in Koons' Studio (vgl. 101-105) in den Blick nimmt. Das Kapitel endet hingegen mit der für Kunsthistoriker so interessanten Perspektive auf Koons' Umgang mit der Kunstgeschichte (vgl. 125-138). Wenig überraschend reiht sich der Amerikaner in bewährter Manier in die Tradition von Michelangelo, Barock, Rokoko ein und bemüht als Schöpfer alltäglicher skulpturaler Formen überdies Marcel Duchamp, bezieht sich also in kaum tiefgehender Manier auf Alles und Nichts, bleibt aber zugleich zurückhaltend bei dieser Dimension seiner Kunst, um das populäre Verständnis seiner Kunst nicht zu erschweren. Oder wie Breucha schlüssig resümiert: "Er bewegt sich im Widerspruch zwischen Umarmung und Löschung der Kunstgeschichte, zwischen seinem Willen zur eigenen kunsthistorischen Bedeutsamkeit und seinem künstlerischen Auftrag, die Hoheit der Kunstgeschichte zwecks leichterer Zugänglichkeit der Kunst auflösen zu müssen." (138)
Das anschließende Kapitel "Banalität & Bedeutsamkeit" (vgl. 139ff.) wiederholt zunächst einige frühere Beobachtungen der Autorin und führt zu einer strukturellen Analyse von drei Polaritäten, die Koons immer wieder einsetzt: Mann / Frau, Körper / Geist und Hell / Dunkel (synonym zu: Gut / Böse) (vgl. 159-169). Hieran vielleicht etwas frei anknüpfend widmet sich Breucha der Diskussion des Begriffs des Kitsches, den Koons in gewohnter Manier im Sinne einer Orientierung am Geschmack der Massen positiv für sich umdeutet (vgl. 169-178).
Im abschließenden Kapitel "Kunst als Programm der Selbsthilfe" (vgl. 181ff.) werden erneut zuvor bereits benannte rhetorische Strukturen von Koons aufgegriffen und nun im Lichte seiner erklärten therapeutischen Funktion von Kunst betrachtet. Im Zusammenhang dieser erneut wenig überzeugenden Sichtweise des Künstlers lässt Breucha erst zum Schluss ihres Buches kursorisch (!) eine kritische Perspektive aufblitzen, wenn sie meint: "Koons ist kein sozialistischer Utopist, der die Gleichberechtigung auf materieller Ebene herbeisehnt, sondern ein Vertreter der kapitalistischen Utopie, die u.a. darin besteht, permanent auf die Psychologie der Konsumenten einzuwirken und Glücksversprechen an Produkte zu binden." (233) Eine derartige Distanz der Autorin gegenüber der Rhetorik des Künstlers hätte man sich öfter gewünscht.
Immerhin: Die strukturelle Lesart von Breucha ist beeindruckend und ermöglicht einen wirklich neuen Blick auf Koons' Umgang mit seinen Rezipienten, an dem zwangsläufig auch die zukünftige wissenschaftliche Beschäftigung mit dessen Werk nicht vorbei kommt. Koons erweist sich als ein begnadeter Kommunikator, dessen geschickte rhetorische Selbstdarstellung entscheidend zur Wertschätzung seiner Kunst beiträgt. Es wäre aber wünschenswert gewesen, wenn die Auseinandersetzung mit einem kunsthistorisch vielleicht doch nur zweitrangigem Werk von der Autorin kritischer fortgeführt worden wäre und vergleichende Blicke auf ein medial ähnlich eingebettetes Werk (wie das z.B. von Joseph Beuys oder Andy Warhol) erheblich ausführlicher betrieben hätte. Vermutlich wäre man dann auch als Leser schnell zu dem Ergebnis gelangt, dass der im Buchtitel lancierte modische Begriff der "Postproduktion" doch nur ein Phänomen beschreibt, das weite Teile der Kunst seit der Renaissance charakterisiert und Koons' exaltierte rhetorische Stilisierungen sich natürlich vor allem einem erheblich veränderten medialen Kontext verdanken. Zugleich würde sich sodann die Frage nach dem Stellenwert des zeitgenössischen Künstlers in der Gesellschaft stellen. Im Falle von Koons könnte man dann exemplarisch fragen, ob die angestrebte Position des Medienstars wirklich mehr als eine Restaurierung einer Genie-Ästhetik ist, der freilich das künstlerische Objekt abhandengekommen ist. Leider wagt sich Breucha nicht so weit vor.
Anmerkung:
[1] Vgl. Christoph Lichtin: Das Künstlerinterview. Analyse eines Kunstprodukts, Bern 2004; Julia Gelshorn (Hg.): Legitimationen. Künstlerinnen und Künstler als Autoritäten der Gegenwartskunst, Bern 2004; Andreas Zeising: Vom Künstlerbekenntnis zum Künstlerinterview. Spurensuche im frühen Rundfunk, in: kunsttexte.de, Nr. 3, 2012, http://edoc.hu-berlin.de/kunsttexte/2012-3/-zeising-andreas-9/PDF/-zeising.pdf; Michael Diers / Lars Blunck / Hans Ulrich Obrist (Hgg.): Das Interview. Formen und Foren des Künstlergesprächs, Hamburg 2013, dazu die Rezension von Grischka Petri in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 11 [15.11.2013], http://www.sehepunkte.de/2013/11/19856.html.
Anne Breucha: Die Kunst der Postproduktion. Jeff Koons in seinen Interviews, München: Wilhelm Fink 2014, 244 S., 29 s/w-Abb., ISBN 978-3-7705-5692-2, EUR 34,90
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