sehepunkte 16 (2016), Nr. 1

Jessica Munns / Penny Richards / Jonathan Spangler (eds.): Aspiration, Representation and Memory

Die Herzöge von Lothringen-Guise haben in den letzten Jahrzehnten bemerkenswert breite Beachtung seitens der Forschung erfahren. [1] Neben dem Versuch, der von hugenottischen Gegnern im Vorfeld des ersten französischen Religionskriegs grundgelegten, bis in die jüngste Zeit eminent einflussreichen "schwarzen Legende" von den intriganten, machtgierigen Verschwörern und katholischen Ultras eine ausgewogenere Deutung ihres (religions)politischen Handelns gegenüberzustellen, verdankt sich die Hinwendung zu den Guise nicht zuletzt dem gewachsenen Interesse der Forschung an den hochadligen, gleichwohl aber nicht über königlichen Rang verfügenden Dynastien der Frühen Neuzeit.

Denn die Guise gehörten jener Kategorie fürstlicher Häuser an, die zu Beginn der Frühneuzeit zwar eine beachtliche Machtkonzentration, nicht aber gänzliche Unabhängigkeit erreicht hatten und nun versuchten, in der sich herausbildenden Mächteordnung Zugang zum exklusiven Kreis der Souveräne zu erhalten. Diese Bestrebungen gingen in der Regel mit hohem repräsentativem und propagandistischem Aufwand einher - in den letzten Jahren ein ergiebiges Untersuchungsfeld kulturgeschichtlich informierter historischer Forschungen.

Diese Forschungen werden nun durch den hier vorzustellenden Sammelband bereichert, der sich zum Ziel setzt, die "ambitions and regal goals" der Guise sowie damit verknüpfte Repräsentationen zu untersuchen. Das Buch versammelt neun (hier irritierenderweise als "Kapitel" firmierende) Beiträge, die mithilfe unterschiedlicher methodischer Ansätze verschiedenste Repräsentationen des Hauses Guise, seines Status und seiner Geschichte untersuchen. Obwohl das erst 1527 von Franz I. in den Herzogsrang erhobene und in den Kreis der "princes étrangers" am französischen Königshof aufgenommene Haus dem weiteren Aufstieg in den Königsrang zweifellos im 16. Jahrhundert am nächsten war, liegt der Schwerpunkt des vorliegenden Bandes (anders als sonst in der Guise-Forschung) auf dem 17. Jahrhundert, dem fünf Beiträge gewidmet sind, während je zwei das 16. Jahrhundert und das Nachleben der Guise behandeln.

Im ersten "Kapitel" weist Robert Sturges nach, welch zentrale Bedeutung bereits der erste Guise-Herzog, Claude de Lorraine (1527/28-1550), den Kreuzzügen und dem faktisch erloschenen, mit Blick auf die Titulatur aber weiterhin begehrten Königtum Jerusalem in der Herleitungsgeschichte des eigenen Hauses beimaß. Claude und seine Nachfolger beriefen sich dabei einerseits auf ihre Abstammung von Gottfried von Bouillon, andererseits auf den ebenfalls in die Ahnenreihe der Guise eingeordneten Jean de Joinville, der König Ludwig IX. (den Heiligen) beim Siebten Kreuzzug begleitet hatte. In den Religionskriegen, die von katholischer Seite vielfach als Kreuzzüge gedeutet wurden, beriefen sich die Guise nicht nur auf ihre historische Rolle im Kampf gegen "Ungläubige", sondern unterstützten auch Deutungen der von der Liga kontrollierten Hauptstadt Paris als neues Jerusalem, was ihnen erlaubte, ihren titularischen Anspruch auf Jerusalem und ihre aktuelle Rolle als Führer der Liga miteinander zu verknüpfen.

Marjorie Meiss-Even behandelt die materielle Dimension der von der jüngeren Forschung überzeugend nachgewiesenen italienischen Einflüsse im Frankreich des 16. Jahrhunderts und arbeitet heraus, dass die Guise sich in ihrem Bestreben, ihren Status deutlich zu machen und sich von "normalen" französischen Adligen abzusetzen, besonders entschieden italienischen Luxusgütern und Moden zuwandten. Dass diese Form ostentativen Konsums der Kritik ausgesetzt war, wird von der Verfasserin u.a. am Beispiel eines (auf 1567 datierten) Gedichts des (1560 verstorbenen) Pléiade-Dichters Joachim du Bellay verdeutlicht - die politischen Kosten dieser materiellen Distinktionsstrategie der Guise indes bleiben weitgehend im Dunkeln.

Sämtliche Beiträge des Bandes zum 17. Jahrhundert behandeln Heinrich II., den fünften Herzog von Guise (1614-1664), eine schillernde, charismatische Figur, von der Mazarin treffend bemerkte, er sei besonders begabt darin, Menschen von Dingen zu überzeugen, die sich im Nachhinein als inkonsistent erwiesen. Heinrich, der zunächst Erzbischof von Reims war, ehe er sich nach dem Tod seines Bruders laisieren ließ, um die Herzogswürde anzunehmen, versuchte nach dem Machtverlust seines Hauses im Gefolge der von König Heinrich III. angeordneten Ermordung seines Großvaters und seines Großonkels (1588) um die Mitte des 17. Jahrhunderts erneut, in den Kreis der europäischen Souveräne aufzusteigen, indem er unter Berufung auf das Erbe Renés I. von Anjou († 1480) Anspruch auf das Königreich Neapel erhob - ein Projekt, das trotz zweier dort zunächst positiv aufgenommener Expeditionen nach Süditalien (1647/48 und 1654) letztlich keine Chance auf Verwirklichung hatte.

Im vorliegenden Band befasst sich Michèle Benaiteau mit Heinrichs unstetem politischem Wirken, das neben den beiden Expeditionen nach Neapel u.a. die Beteiligung an einer Verschwörung gegen Richelieu, eine Verurteilung wegen "lèse-majesté" und die kurzfristige Teilnahme an der Prinzenfronde gegen Mazarin einschloss, zugleich aber auch von einer selbst nach den Maßstäben seiner Zeit bemerkenswert aufmerksamkeitsheischenden Medien- und Imagepolitik begleitet wurde. David A.H.B. Taylor analysiert ein Porträt, das Antony Van Dyck 1634 von dem zwanzigjährigen Erzbischof anfertigte, der sich freilich ganz ohne die Attribute seines geistlichen Standes als fürstlicher "courtly soldier" darstellen ließ.

Seine zweimalige Interventionen in Neapel, die beim ersten Mal mit einer vierjährigen (freilich ehrenvollen) spanischen Gefangenschaft, beim zweiten Mal mit der überstürzten Abreise des Herzogs endeten, werden von Silviana D'Alessio und Charles Gregory nochmals näher beleuchtet. Der Untersuchungsschwerpunkt liegt bei D'Alessio auf dem Niederschlag, den diese Aktionen im politischen Diskurs, in literarischen Zeugnissen sowie nicht zuletzt in Heinrichs Selbstdarstellung fanden, während Gregory die genaueren Umstände der desaströsen zweiten Neapel-Expedition untersucht. Letztere blendete der fünfte Herzog von Guise in seinen Memoiren geflissentlich aus und endete stattdessen mit seiner Gefangennahme durch die Spanier am Ende der ersten Expedition - "a much more 'noble' conclusion", wie D'Alessio treffend bemerkt.

Wenn der fünfte Herzog von Guise das Scheitern seiner erratischen Suche nach Glanz, Reputation und Rangerhöhung einigermaßen unbeschadet überlebte und sein Leben als schillerndes Schmuckstück am Hof Ludwigs XIV. beendete, so verdankte er dies nicht zuletzt der erfolgreichen Mikropolitik seiner Mutter, Henriette-Catherine de Joyeuse, Herzogin von Guise. Jonathan Spangler untersucht ihr Wirken und ihre Beziehungen zu den beiden Königinnen Maria von Medici und Anna von Österreich. Er arbeitet heraus, dass es Henriette-Catherine gelang, die von der Politik ihres Sohnes ausgehenden Gefahren für das Hause Guise zu begrenzen, indem sie ihm etwa während seiner neapolitanischen Abenteuer die Kontrolle über das Familienvermögen entzog, während sie zugleich seine öffentliche Reputation als Verkörperung einer ruhmreichen, spezifisch katholisch geprägten Familientradition verteidigte.

Die beiden abschließenden Beiträge von Penny Richards und Jessica Munns über das Nachleben der Guise machen deutlich, dass ihre hohen repräsentativen und propagandistischen Investitionen in die eigene Reputation wenigstens insofern hochgradig erfolgreich waren, als diese Familie auch weit über das 1675/88 erfolgte Aussterben der Hauptlinie hinaus europaweit Gemüter zu bewegen und faszinierte Begeisterung ebenso wie Abscheu auszulösen vermochte.

Eine Gesamtbewertung des Bandes ist nicht einfach. Er bietet zunächst und vor allem ein detail- und facettenreiches, freilich von Redundanzen nicht freies Bild des schillernden fünften Herzogs von Guise, das in einigen Beiträgen womöglich eine noch etwas weiter gehende Kontextualisierung verdient hätte. Heinrich II. von Lothringen-Guise erscheint in vieler Hinsicht als typischer Vertreter der von extravaganten Attitüden und spektakulären Aktionen faszinierten "Generation Fronde" des französischen Hochadels, einer Generation, der über der Fixierung auf theatralische Inszenierungen ihres Status die Fähigkeit zu über mikropolitische Statussicherung hinausgehender politischer Gestaltung zunehmend abhandenkam. Der übrige Band dagegen wirkt ungeachtet der Qualität der einzelnen Beiträge ein wenig disparat, zumal entgegen dem in der Einleitung betonten systematischen Interesse an den Guise jenseits des wenig überraschenden Nachweises hoher Investitionen in Repräsentation und Propaganda kaum übergreifende Fragestellungen verfolgt und Vergleichsmöglichkeiten nur eingeschränkt genutzt werden (was auch damit zusammenhängt, dass viele Beiträge ausschließlich die englisch- und französischsprachige Forschungsliteratur berücksichtigen). Dessen ungeachtet liegt hier eine ebenso nützliche wie anregende Publikation vor, die einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Guise und der französischen Monarchie im 16. und 17. Jahrhundert leistet.


Anmerkung:

[1] Vgl. seit der bahnbrechenden Studie von Jean-Marie Constant: Les Guise, Paris 1984, u.a. Stuart Carroll: Noble Power during the Wars of Religion. The Guise Affinity and the Catholic Cause in Normandy, Cambridge 1998; Mark William Konnert: Local Politics in the French Wars of Religion. The Towns of Champagne, the Duc de Guise and the Catholic League, 1560-95, Aldershot 2006; Jonathan W. Spangler: The society of princes: The Lorraine-Guise and the conservation of power and wealth in seventeenth-century France, Farnham/ Burlington 2009 oder Éric Durot: François de Lorraine, duc de Guise entre Dieu et le Roi (= Bibliothèque d'histoire de la Renaissance; Bd. 1), Paris 2012.

Rezension über:

Jessica Munns / Penny Richards / Jonathan Spangler (eds.): Aspiration, Representation and Memory. The Guise in Europe, 1506-1688, Aldershot: Ashgate 2015, XV + 201 S., 9 Farbabb., ISBN 978-1-4724-1934-7, GBP 70,00

Rezension von:
Lothar Schilling
Universität Augsburg
Empfohlene Zitierweise:
Lothar Schilling: Rezension von: Jessica Munns / Penny Richards / Jonathan Spangler (eds.): Aspiration, Representation and Memory. The Guise in Europe, 1506-1688, Aldershot: Ashgate 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 1 [15.01.2016], URL: https://www.sehepunkte.de/2016/01/27385.html


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