Der vorliegende Sammelband widmet sich den frühneuzeitlichen Republiken Europas. Dem Herausgeber geht es dabei vornehmlich um drei Dinge. Zum einen soll die Geschichte der frühneuzeitlichen Republiken aus dem Schatten der großen Dynastien geführt und ihre oft bedeutsame Funktion innerhalb des europäischen Machtgefüges aufgezeigt werden. Auch wird die häufig postulierte Dichotomie zwischen Monarchie und Republik in Frage gestellt und verdeutlicht, dass eine solche Unterscheidung weder in der zeitgenössischen politischen Theorie noch in den politischen Strukturen so eindeutig zu treffen ist. Nicht zuletzt versteht sich der vorliegende Band im Gegensatz zu einer rein ideengeschichtlichen Betrachtung des Republikanismus, die der Komplexität der politischen Strukturen innerhalb der frühneuzeitlichen Republiken sowie ihren vielfältigen ökonomischen und politischen Verknüpfungen mit den großen Dynastien nicht gerecht würde.
Sowohl Giovanni Levi in seinem Vorwort, als auch Manuel Herrero Sánchez in der Einleitung grenzen den Band daher vehement gegen die in der Republikanismusforschung lange dominanten Interpretationen in der Linie etwa von John G. A. Pocock und Quentin Skinner ab. Deren ideengeschichtlich ausgerichtete Betrachtungsweise sei zu sehr teleologisch auf die Entstehung der modernen Staatswesen ausgerichtet und zementiere nicht nur den angenommenen Gegensatz zwischen Monarchien und Republiken, sondern ziehe ebenfalls klare Trennlinien zwischen einer liberalen, progessiven protestantischen und einer absolutistischen, rückwärtsgewandten katholischen Welt, die den Blick auf die politischen Realitäten der Frühen Neuzeit verstellten.
Das Buch legt daher das Augenmerk vor allem auf Strukturen, die diesen Interpretationsmustern widersprechen, etwa auf die Mobilität der italienischen Kaufleute zwischen ihren heimatlichen Republiken und den frühneuzeitlichen Imperien, der notwendigen Flexibilität, die das ständige Aufeinandertreffen unterschiedlicher politischer und juristischer Ansätze von beiden Seiten erforderte, sowie auf aristokratische und monarchische Tendenzen innerhalb einiger Republiken und die Existenz republikanischen Gedankenguts vor allem innerhalb der spanischen Monarchie.
Die Heterogenität dessen, was von der Frühen Neuzeit bis heute unter Republik und Republikanismus verstanden wurde, wird unter anderem von Thomas Maissen thematisiert. Er weist auf das bereits in der Antike höchst umstrittene Verständnis dessen hin, was eine "res publica" sei, um in der Folge den Gebrauch des Begriffs "Republik" und die Auffassungen darüber, wie eine solche verfasst sein sollte, über verschiedene Länder und Zeiträume hinweg bis in die heutige Zeit zu verfolgen. Eine Republik musste demnach keineswegs im heutigen Sinne republikanisch regiert sein, die politische Theorie ließ dafür ein breites Spektrum von demokratischen bis hin zu monarchischen Regierungsformen zu.
Einen großen Themenkomplex stellt die spanische Monarchie und die Existenz republikanischen Gedankengutes innerhalb derselben dar. Domingo Centenero de Arce interpretiert das Aufkommen städtischer Chroniken im 15. und 16. Jahrhundert unter dem Einfluss italienischer Vorbilder als Ausdruck städtischen Selbstbewusstseins, das sich über die Jahrhunderte hinweg gegenüber den Forderungen der Krone zu behaupten wusste und sich vor allem in den Verhandlungen über finanzielle Beiträge der Städte immer wieder neu manifestierte. Die städtischen Eliten konnten in diesem Prozess ihre Stellung festigen, während sich die Krone durch Zugeständnisse an die städtischen Oligarchien finanziellen Rückhalt für ihre hegemonialen Ansprüche nach außen und nach innen sicherte. Neben divergierenden republikanischen Tendenzen war für die spanische politische Theorie vor allem Schule von Salamanca mit ihrem Gewicht auf den Vertragscharakter der Herrschaft von Bedeutung, die der königlichen Macht durch Natur- und Gewohnheitsrecht Grenzen setzte.
Mit Centenero de Arce plädiert Manuel Herrero Sánchez im Hinblick auf diese herrschaftslimitierenden Elemente daher dafür, Spanien als eine aus städtischen Republiken zusammengesetzte Monarchie zu betrachten, in der die Verhandlung der Krone mit politisch unterschiedlich verfassten regionalen Machtzentren und ihren urbanen Eliten und ihr Respekt vor regionalen Privilegien als Schlüsselelemente für die relative Stabilität des Habsburgerreiches betrachtet werden. Diese grundsätzliche Offenheit gegenüber anderen Staatsformen widerspricht nicht nur der gängigen Darstellung Spaniens als religiös vereinnahmender, absolutistischer Macht, sondern erklärt auch die Tatsache, dass Spanien als zweiter Staat nach den Niederlanden die englische Republik anerkannte, und dass die spanischen Theorien über illegitime Herrschaft die katholische Monarchie sogar den englischen Levellers als geeigneter Verbündeter im Kampf gegen Oliver Cromwell erscheinen ließen, wie Ángel Alloza Aparicio und Igor Pérez Tostado illustrieren.
Die spanische Monarchie sollte, so die betreffenden Autoren, in diesem Sinne als gemischte Staatsform betrachtet werden, ein Konzept, das sicher zu diskutieren ist. Dass jedoch die Einteilung in Monarchien und Republiken und die dazugehörigen Kategorisierungen in vielen Fällen nicht eindeutig getroffen werden kann, zeigt die von Felicia Roşu vorgestellte Wahlmonarchie Transsilvanien, in der eine ungewöhnliche religiöse Toleranz vorherrschte, während Arthur Weststeijn deutlich macht, dass sogar innerhalb der meist als beispielhaft betrachteten holländischen Republik die politischen Ideen innerhalb nur weniger Jahre zwischen Forderungen nach der grundsätzlichen Gleichheit aller Bürger und der Wiedereinsetzung der quasi-monarchischen Figur des stadhouder oszillierten.
Hervorzuheben sind weiterhin mehrere Beiträge, die die Rolle der italienischen Republiken und ihrer Vertreter innerhalb des europäischen Machtgefüges beleuchten. Dabei wird besonders deren Stellung im sozio-ökonomischen Gefüge der großen Monarchien thematisiert. Klemens Kaps etwa betont die Rolle der Mailänder Kaufleute in der ökonomischen Verknüpfung der zentraleuropäischen Besitzungen der österreichischen Habsburger mit dem Levante- und dem spanischen Atlantikhandel. Während die von ihm untersuchten Protagonisten durchaus nach Nobilitierung strebten, lehnte der von Yasmina R. Ben Yessef Garfia untersuchte Genueser Händler eine solche ab, um sich möglichst unabhängig zwischen den Staatsformen bewegen zu können. Doch auch im europäischen Mächtekonzert waren die Republiken häufig darauf angewiesen, sich dem höfischen Zeremoniell anzupassen, wollten sie auf diplomatischer Ebene ihre Position unter den Monarchien behaupten, wie Thomas Weller anhand der Friedensverhandlungen Ende der 1640er Jahre und Renzo Sabbatini im Falle von Lucca deutlich machen.
Insgesamt zeigt der vorliegende Band eine Forschungslücke über die frühneuzeitlichen Republiken im Kontext ihrer Zeit auf, der sicher Anlass zu weiteren Studien über die Rolle der kleineren, zum Teil auch nicht-souveränen Entitäten im europäischen Mächtekonzert bieten wird. Obgleich ein gewisser Schwerpunkt auf Spanien nicht zu verleugnen ist, gibt das Buch dennoch den Anstoß, den Blick über die nationale Geschichtsschreibung hinweg zu heben und eröffnet Wege, wie unterschiedliche, bisher meist nicht miteinander in Beziehung gesetzte Regionen und Regierungsformen lohnend miteinander verglichen werden können, ohne ihren Beitrag zur Entstehung der modernen Welt mit heutigen Maßstäben zu bewerten.
Manuel Herrero Sánchez (ed.): Repúblicas y republicanismo en la Europa moderna (siglos XVI-XVIII) (= Sección de Obras de Historia), Madrid: Fondo de Cultura Económica de España 2017, 613 S., ISBN 978-84-375-0761-3, EUR 35,00
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