Die Dissertation Marina Becks entstand zeitgleich mit dem Projekt der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in der Abteilung Kunstgeschichte (Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen, IKM), das vom Fonds zur wissenschaftlichen Förderung (FWF) finanziert wurde. Das Projekt hatte zum Ziel, die Bau- und Funktionsgeschichte der Wiener Hofburg grundlegend aufzuarbeiten. [1] In der Konzentration auf die Nutzung der Hofburg und anderer Schlösser unter Maria Theresia ergänzt Becks Arbeit das Großprojekt in idealer Weise.
Methodisch hält Beck sich eng an die archivalische Überlieferung. Sie zieht die Zeremonialakten des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien, Tagebücher und Memoiren, die Zeremonialliteratur sowie Pläne heran. Was sie an Aktenmaterial zu bewältigen hatte, findet Niederschlag unter anderem in der Ausführlichkeit der Fußnoten und verdient große Beachtung. Die Schilderung des Zeremoniells, gegliedert in alltägliche und jahreszyklisch auftretende Ereignisse, Tafelzeremonien sowie besondere Begebenheiten wie Geburten, Taufen, Beerdigungen, diplomatische Audienzen, Belehnungen und Landtagspropositionen, ist ausführlich. Etwas irritierend mutet die Gliederung der Audienzen in das Botschafterzeremoniell als regelmäßige Feierlichkeit und Audienzen als "singuläre" (5) Ereignisse im Leben der Herrscherin an.
Bearbeitet werden Baugeschichte, Raumdisposition und Nutzung der Wiener Hofburg, Schloss Schönbrunn, der Laxenburg sowie der Landschlösser Holitsch und Schloss Hof. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen kaiserlichem, königlichem und erzherzoglichem Zeremoniell, dem konsequent in der Trennung der Räumlichkeiten entsprochen wurde. In der Regierungszeit Maria Theresias kommt erschwerend hinzu, dass die Titel und Funktionen auf drei Personen - sie selbst, ihren Gatten und nach dessen Tod auch ihren Sohn - verteilt waren und zudem wechselten.
In sieben Kapiteln widmet sich Beck dem Zeremoniell sowie den entsprechenden Räumen am Wiener Hof in der Regierungszeit Maria Theresias, also von 1740 bis 1765 bzw. 1780. Beck geht über die vielfältige bestehende Literatur zum Thema insofern hinaus, als sie die Aufstiegsmöglichkeiten der den Wiener Hof konstituierenden Adelsgesellschaft auslotet, was wichtig ist für die Bestimmung des Ranges jedes Einzelnen in diesem Sozialsystem und damit für den Ablauf des jeweiligen Zeremoniells. Dieses musste mehrmals angepasst werden, da sich während der Regierungszeit der Kaisergemahlin bzw. Königin von Ungarn und Böhmen Maria Theresia auch ihr eigener Rang mehrmals änderte.
Richtigerweise zeigt Beck, dass die Überlieferung von Zeremonialhandlungen auf die öffentliche Raumfolge beschränkt ist. Vorgänge in den privaten Räumen, wie zum Beispiel Privataudienzen, die im Tagebuch des Oberhofmeisters Khevenhüller-Metsch auftauchen, sowie das morgendliche Aufstehen und abendliche Zubettgehen sind dort nicht erwähnt und somit im Gegensatz zum französischen Lever und Coucher nicht Teil des mariatheresianischen Zeremoniells.
Mit der Kaiserkrönung des Wittelsbachers Karl VII. im Jahr 1742 konnte in Wien kein kaiserliches Zeremoniell mehr stattfinden - ein Umstand, den Beck erstmals deutlich herausarbeitet. Dies war erst mit der Krönung Franz Stephans von Lothringen zum deutschen Kaiser 1745 wieder möglich und der Fall. Damit hängt wohl auch die unterschiedliche Verwendung von Goldbrokat für die Bezüge des Armlehnstuhls und des Tischs anlässlich von Audienzen zusammen. Der Goldbrokat ist, entgegen Becks Annahme, ein Ranganzeiger für den Kaiser, nicht für den Botschafter (94), was auch an dem in diesen Jahren in München verwendeten Goldbrokat ablesbar ist. In den Jahren zwischen 1740 und 1745 gab es keinen Kaiser in Wien, deshalb wurde in der Zeit roter Samt verwendet.
Zusammenfassend verzeichnet Beck zwischen 1740 und 1765 eine Abnahme öffentlicher zugunsten privater Audienzen. Vermehrt war nicht mehr die Ratsstube der Wiener Hofburg der Schauplatz der Ereignisse, sondern diese spielten sich nun in Privatkabinetten ab: in der Retirade des Kaisers oder im Spiegelzimmer Maria Theresias.
In der Fokussierung auf die Innenräume und deren Nutzung durch konsequente Hinzuziehung der Zeremonialquellen liefert die Studie einige neue Ergebnisse bezüglich der Interieurs. Als Beispiel für die Klarheit, mit der Beck arbeitet, sei der Übergang der Regierung nach dem Tod Kaiser Karls VI. am 20. Oktober 1740 auf die Tochter mit dem ersten öffentlichen Kirchgang am 30. Oktober 1740 erwähnt. Sowohl die männliche Seite des Leopoldinischen Traktes (Ritterstubenseite) als auch die weibliche Seite mit dem Spiegelzimmer wurden ihr zugeordnet. Die männliche Raumfolge nutzte sie als regierende Landesfürstin, zu deren ersten öffentlichen Handlungen die Erbhuldigung der niederösterreichischen Landstände sowie die erste öffentliche Audienz des päpstlichen Nuntius in der Ratsstube gehörten. Parallel dazu nutzte sie die Räume der weiblichen Seite, wenn es galt, weibliche Besucherinnen zu empfangen, wie zum Beispiel im April 1741 die Gattin des venezianischen Botschafters. Dazu diente ihr Audienzzimmer, ergänzt um das Spiegelzimmer, in dem temporär das Paradebett aufgebaut sein konnte, in dem die Herrscherin die Gratulationen nach einer Niederkunft entgegennahm.
Nach dem Tod Kaiser Franz Stefans 1765 änderten sich Zeremoniell und Raumfolge erneut. Weiterhin benutzte Maria Theresia - wie auch ihr Sohn, Kaiser Joseph II. - die männliche Raumfolge für offizielle Anlässe in ihrer Funktion als regierende Landesherrin. Zu Lebzeiten ihrer Schwiegertochter Maria Josepha von Bayern, die am 28. Mai 1767 verstarb, nutzte sie private Räume im zweiten Obergeschoss, um nach deren Tod wieder in ihren traditionellen Zimmern auf der weiblichen Seite im ersten Stock zu repräsentieren.
In der ersten Hälfte ihrer Regierungszeit ließ Maria Theresia die Wiener Hofburg, Schloss Schönbrunn sowie die Laxenburg ausbauen und repräsentative Raumfolgen, Theater und Festsäle einrichten. Vorrangig wurden die neue Sommerresidenz in Schönbrunn und die Laxenburg als Rückzugsorte geschaffen, wo ein reduziertes Zeremoniell stattfinden konnte. Allerdings nutzte Maria Theresia die männlichen Raumfolgen im Laufe der Jahre immer weniger. Beck liefert hierzu eine schlüssige These: War zu Beginn ihrer Regierung die Rechtmäßigkeit ihres Erbanspruchs in Zweifel gezogen worden, so festigte sich ihre Position mit der Sicherung der Kaiserkrone für das Haus Habsburg-Lothringen. Die Nutzung der männlichen Raumfolgen untermauerte ihren Herrschaftsanspruch, was in den späteren Jahren nicht mehr nötig war.
In diese Epoche der späteren Jahre fällt auch die Trennung zwischen Wohn- und Repräsentationsappartement Maria Theresias. Hier wäre ein Vergleich mit den Raumfolgen anderer europäischer Herrscher sinnvoll gewesen. In der vergleichenden Betrachtung der mariatheresianischen Schlösser kommt Beck zu dem Schluss, dass Schönbrunn zunehmend als Residenz genutzt wurde und die Abläufe weitgehend mit denen der Hofburg übereinstimmten. Allerdings wurden "gewisse zeremonielle Ereignisse obligatorisch in der Hofburg" abgehalten (539). Die Autorin geht nicht darauf ein, welche es waren und welche Räume der Hofburg dadurch den höchsten zeremoniellen und repräsentativen Status innehatten und unverbrüchlich behielten. Diese "Macht-Räume" deutlicher auszuloten, wäre lohnend gewesen. Dessen ungeachtet ist Becks äußerst akribisch erarbeitete, umfangreiche Darstellung eine große Bereicherung für die Zeremonialforschung und wird unverzichtbare Grundlage für weitere vergleichende Studien sein.
Anmerkung:
[1] Hellmut Lorenz / Anna Mader-Kratky (Hgg.): Die Wiener Hofburg 1705-1835. Die kaiserliche Residenz vom Barock bis zum Klassizismus, Wien 2016; vgl. die Rezension von Andreas Pečar in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 11 [15.11.2017], URL: http://www.sehepunkte.de/2017/11/30149.html.
Marina Beck: Macht-Räume Maria Theresias. Funktion und Zeremoniell in ihren Residenzen, Jagd- und Lustschlössern (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 189), Berlin: Deutscher Kunstverlag 2017, 577 S., 80 Farb-, 180 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-07384-5, EUR 98,00
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