Ohne Schiffbauer keine Schiffe, ohne Schiffe kein Seehandel, ohne Seehandel kein Welthandel. Diese logische Schlussfolgerung liegt dem Forschungsinteresse des vorliegenden Buches zugrunde. "Seaborne trade is the backbone of the world economy" (15) - gleich zu Beginn des Sammelbandes betonen die Herausgeber die herausragende ökonomische Tragweite des Seehandels, implizieren zugleich die eminente Rolle der Werftindustrie für die Wirtschaft und unterstreichen dessen globale Dimension. Die einschneidenden Veränderungen, die den Schiffbau seit dem Zweiten Weltkrieg immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt haben, bilden den Rahmen, in dem die Autoren die Entwicklungen der Arbeitsbeziehungen, Arbeiterbewegungen und Produktionsverhältnisse seit den 1950er Jahren aus globalgeschichtlicher Perspektive untersuchen möchten. Die Prämisse, dass der Schiffbau eine auf internationaler Ebene miteinander verknüpfte und konkurrierende Branche ist, wird durch Fallstudien "aus aller Welt" untermauert.
So erscheint es schlüssig, vor dem Hintergrund der Genese des Bandes im Kontext des International Institute of Social History (IISH) in Amsterdam und der Konstituierung eines internationalen Forscherteams im Jahr 2010, dass der Band in der IISH-Reihe "World Around the Globe: Historical Comparisons and Connections" erschienen ist, die sich der globalen Arbeitergeschichte verschrieben hat. Die Wandlungen der Arbeitswelt und der Arbeitsbeziehungen auf Basis der Erfahrungen von Individuen oder bestimmten Gruppen an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Zeiten stehen hier im Zentrum des Erkenntnisinteresses. Damit knüpfen sowohl die Reihe als auch der Sammelband an aktuelle sozialgeschichtliche Forschungsfragen zum Wandel der Arbeitswelt und zur Globalgeschichte an. Eine Globalgeschichte der Werftindustrie mit arbeitergeschichtlichem Ansatz ist insbesondere in diesem Umfang ein Novum. Zwar gibt es Arbeiten zu einzelnen ökonomischen Aspekten des Schiffbaus aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive, aber nur wenige, die sich explizit mit den sozialen Aspekten befassen beziehungsweise einen arbeitergeschichtlichen Fokus haben. Ferner gab es bislang kaum Austausch zwischen den Experten für einzelne Werften, Regionen und Länder, was nicht zuletzt auf sprachliche Barrieren zurückzuführen ist. Diese Lücke zu schließen, ist eine der Intentionen des Sammelbandes. Die Herausgeber sehen den historiographischen Mehrwert ihrer (werft-)arbeitergeschichtlichen Forschungen vor allem in den Besonderheiten dieses Industriezweigs: Hier gestalten sich Arbeitsprozesse und -abläufe deutlich komplexer als beispielsweise in Fabriken. Zudem spiegelt sich im Schiffbau in besonderer Weise die Diversität der arbeitenden Bevölkerung wider; die zahlreichen Beschäftigten bestimmen die kulturelle und soziale Prägung der jeweiligen Regionen wesentlich mit. Die Werftarbeiterschaft spielt nicht zuletzt für industrielle Beziehungen und Politik eine Schlüsselrolle - insbesondere zu Krisenzeiten.
Um dem breit angelegten Thema inhaltlich gerecht zu werden, präsentiert sich der Sammelband mit 24 Fallstudien entsprechend umfangreich. Ein beträchtlicher Fragenkatalog eröffnet sich dem Leser, der sich in drei Themenblöcke auffächert: Die technischen Produktionsprozesse in den Werften (production), die sozialen und arbeitsbedingten Gegebenheiten für die Beschäftigten auf den Werften (the workers) sowie die Produktionsverhältnisse im weitesten Sinne, also das politische und ökonomische Umfeld der Werften, die Machtverhältnisse, die Auswirkungen dieser großen sozialen Klasse auf übergeordnete Entwicklungen (production relations).
Trotz dieser inhaltlichen Schwerpunktsetzung gliedert sich der Hauptteil des Sammelbandes nach geografischen Gesichtspunkten: Ganz eurozentrisch beschäftigen sich die Fallstudien des ersten Teils mit Nordwesteuropa: Großbritannien, Deutschland, Schweden, Norwegen, Finnland und Dänemark. Der zweite Teil deckt mit Studien zu Italien, Spanien, Portugal, Polen, Rumänien den süd- und südosteuropäischen Raum ab. Amerika (USA, Argentinien, Brasilien) und Australien werden im dritten Teil des Sammelbandes untersucht. Der vierte Teil thematisiert den Schiffbau in Asien. Neben den Fallstudien zu Indien, Thailand, Japan und Südkorea werden die Entwicklungen auf den Philippinen, in Singapur, Taiwan, Vietnam und China in einem gemeinsamen Kapitel beleuchtet. In einem Appendix gehen die Autoren anknüpfend an die einleitend erwähnten Entwicklungslinien des Schiffbaus auf den Ölpreisschock der 1970er Jahre und dessen weltweit gravierenden Auswirkungen auf die Werftindustrie ein. Darüber hinaus verweist eine statistische Analyse des Schiffbaus für das Jahr 2013 auf einen übergeordneten, gegenwärtigen Kontext. Nicht unerwähnt bleiben sollte das "Glossary of shipping and shipbuilding terms", das im Anhang auf 15 Seiten spezifische Begriffe erklärt.
Zwar erhebt der Sammelband keinen Anspruch auf Vollständigkeit, versucht aber dennoch dem Thema und dem weiten Untersuchungszeitraum von 1950 bis 2010 mithilfe des umfassenden geografischen Erfassungsbereichs gerecht zu werden. Bei der Lektüre der einzelnen Länderstudien eröffnen sich dem Leser die Arbeitsverhältnisse in den Werften. Die wirtschaftlichen und politischen Systeme spielen hierbei zu Recht eine wichtige Rolle. Die einzelnen Beiträge liefern sowohl Einblicke in landes- und regionalspezifische Entwicklungen als auch in technische Neuerungen und Produktionsmethoden, Arbeitsabläufe und das Verhältnis zwischen Werften und Zuliefererbetrieben. Darüber hinaus werden sowohl die Rolle der Gewerkschaften als auch die der Staaten beleuchtet, ebenso Formen der Erwerbstätigkeit, die Arbeiterkultur und nicht zuletzt die herausragende Bedeutung der Werftarbeiter in den Protestbewegungen als Vorreiter oder Auslöser weitreichender politischer Umwälzungen.
Der Band versucht, ein möglichst umfassendes Bild zu zeichnen und eine globale Geschichte der Werftarbeit zu erzählen - ein Vorhaben, das mithilfe des methodischen Repertoires der jeweiligen Einzelstudien weitgehend gelingt. Nur für die Schiffbauindustrie im asiatischen Raum - als gegenwärtiger Marktführer von besonderer Relevanz - besteht Nachholbedarf. Dies begründen die Herausgeber mit dem Mangel an Experten auf diesem Gebiet. Festzuhalten bleibt, dass die vielfältigen Beiträge mit den verschiedenen Untersuchungsgegenständen in ihrer inneren Gestalt und methodisch-erkenntnistheoretischen Herangehensweise divergent sind. Sie stehen, als Fallstudien zu einzelnen Ländern, immer weitgehend isoliert in ihrem spezifischen wirtschaftspolitischen und gesellschaftlichen Kontext. Umso vielversprechender ist der angekündigte Ausblick auf einen weiteren Band, der die einzelnen Studien zu einer übergreifenden Darstellung zusammenführen möchte.
Raquel Varela / Hugh Murphy / Marcel van der Linden (eds.): Shipbuilding and Ship Repair Workers around the World. Case Studies 1950-2010 (= Work Around the World: Historical Comparisons and Connections), Amsterdam: Amsterdam University Press 2017, 747 S., zahlr. s/w-Abb., zahlr. Tabl., ISBN 978-94-6298-115-7, EUR 169,00
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