Das wachsende Interesse an der Geschichte der Alten Geschichte hat eine Reihe von biographischen Darstellungen und von Studien zur Entwicklung des Fachs hervorgebracht. Mit der monumentalen Marburger, bei Kai Ruffing erarbeiteten, Dissertation von Claudia Deglau über den Innsbrucker Althistoriker Franz Hampl (1910-2000) ist eine neue Dimension erreicht. Nur die Arbeit von Martina Pesditschek über Hampls österreichischen Landsmann Fritz Schachermeyr ist noch umfangreicher. [1] Die Arbeit stützt sich auf reiches Archivmaterial, wozu Dokumente aus dem Nachlass treten. Wertvoll ist das Interview, das Stefan Dietrich 1986 mit dem Althistoriker geführt hat (619-674).
In Südtirol geboren verlor er früh seinen Vater, der als österreichischer Generalstabsoffizier zu Beginn des Ersten Weltkriegs gefallen ist. Wegen des Geburtsorts des Vaters in Mähren wurden die Witwe und ihre Kinder aufgrund des Vertrags von St. Germain tschechoslowakische Staatsbürger; 1936 wurde Hampl im Deutschen Reich eingebürgert. Davon wollte er nach 1945 nichts wissen, sondern bezeichnete sich wieder als tschechoslowakischer Staatsangehöriger (23. 363. 427. 439). Er wollte so - im Hinblick auf die Professur in Innsbruck - leichter in Österreich eingebürgert werden. Opportunismus, gewiss, zugleich Ausdruck des Willens, sich nicht in den Strudeln der Zeit forttreiben zu lassen.
Seine Schulzeit verbrachte Hampl in Vorarlberg, wo er die Oberrealschule in Dornbirn besuchte. Mit 17 Jahren trat er der Burschenschaft "Germania" bei, die deutschvölkisch gesinnt für den Anschluss Österreichs an Deutschland eintrat. Aus persönlichen Gründen begann er das Studium der Geschichte 1929 an der Universität Leipzig, wo sein Onkel Hans Driesch (1867-1941) als Philosoph lehrte. Seit 1927 war Helmut Berve (1896-1979) dort Professor für Alte Geschichte, der zahlreiche Studenten faszinierte. Zu seinen wichtigsten Schülern zählen Hans Schaefer (1906-1961) und Alfred Heuß (1909-1995). Hampl trat ihm nahe, da er ihm als 'Famulus' behilflich war und bei ihm wohnte. Er ist bis 1939 in Leipzig geblieben.
Damit stellt sich die Frage nach seinem Verhältnis zum Nationalsozialismus (69-86), die Deglau nur in diffuser Weise beantworten kann. Klar ist, dass Hampl für die in seinen Augen chaotische Weimarer Republik keine Sympathie empfand, und dass ihm Elemente der NS-Weltanschauung wie die Ablehnung der modernen Kunst nicht fremd waren. Auch der Anschluss Österreichs 1938 entsprach seinen eigenen früheren Zielen. Aber er war kein Antisemit, und das Novemberpogrom 1938 hat er als großes Unrecht erkannt (82 f.). Vielleicht war sein vergeblicher Versuch, 1934 die österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen, eine - von Deglau nicht erwogene - Distanzierung von den Vorgängen in Deutschland (74 f.). Seine in Leipzig weiter verfolgte akademische Karriere führte ihn zwangsläufig zu Kompromissen. 1934 trat er der NSV bei, 1937 dem NSKK, wo er 1938 Referent für weltpolitische Schulung wurde. Den Antrag auf Aufnahme in die NSDAP stellte er anfangs 1939, doch ist unklar, ob seine Aufnahme in die Partei bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht im September 1939 vollzogen worden ist (79 f.). Nach dem Krieg hat er die Parteimitgliedschaft wiederholt in Abrede gestellt (374 f. 391. 438 f., auch im Gespräch mit Dietrich: 75). Ein überzeugter Nationalsozialist war Hampl nicht, wohl aber ein 'Mitläufer'. Er hat sich von Berves NS-Gesinnung distanziert, ihn aber in seinem Entnazifizierungsverfahren zu decken versucht (86-96. 407-416). Die wissenschaftlichen Qualifikationsschriften Der König der Makedonen (Diss. 1934) und Die griechischen Staatsverträge des 4. Jahrhunderts v. Christi Geb. (Habil. 1938) [2] sind fachwissenschaftlich gearbeitet; in der Kritik an der Übertragung des modernen Staatsbegriffs auf die Antike (97 f.) oder auch der Reserve gegenüber Einzelpersönlichkeiten wie Philipp II. von Makedonien oder Augustus selbständig, auch gegenüber Berve.
"Hampls soldatisches Kriegserlebnis" - er war von 1939 bis 1945 dabei - nimmt den größten Teil seines Gesprächs mit Dietrich ein. Deglau sieht richtig, dass ihn die Partisanenbekämpfung traumatisiert hat, dass er aber während des Krieges wenig distanziert zu dem Geschehen gewesen ist und ihm erst im Nachhinein klar wurde "auf der falschen Seite gestanden zu sein." Seine kritische Ablehnung jeder Propaganda ist dadurch bestimmt worden (153-178).
Während des Krieges ging der Wissenschaftsbetrieb an den Universitäten weiter. Das bei weitem umfangreichste Kapitel ihres Werkes widmet Deglau den Besetzungen althistorischer Lehrstühle 1939-1945 (179-360). Sie bringt vieles Interessante: zur chaotischen Politik der verschiedenen NS-Stellen bei den Berufungen; zur personellen Lage im Fach Alte Geschichte; zum Einfluss Berves; zu einzelnen Berufungsverfahren. Aber muss das das Ausmaß einer eigenen Monographie annehmen? Müssen alle Früchte einer hier wie im Gesamtwerk waltenden überaus fleißigen und sorgfältigen Recherche vor dem Leser ausgebreitet werden? Im Falle von Königsberg 1939-1941 z. B. räumt Deglau selbst ein, dass Hampl keine Rolle gespielt hat, bringt aber in extenso den Streit um Alfred Heuß, insbesondere im Briefwechsel zwischen Berve und Herbert Grundmann (284-325). Das hätte besser in einem Aufsatz Platz gefunden, den alle an Heuß Interessierten gerne zur Kenntnis genommen hätten. Das Unbehagen des Rezensenten ist aber weitergehend. Angesichts der Materialien, die Deglau zu allem und jedem zusammengetragen hat, fragt er sich nach dem Umgang mit der Zeit, zuerst der von Deglau, die eine für eine Dissertation überbordende Arbeitsleistung erbracht hat, dann aber der des Lesers, dem eine auf das eigentliche Thema konzentrierte Orientierung genügt hätte. Über Hampl ist zu erfahren, dass er in Jena primo loco stand, letztlich aber nach Gießen 1942 berufen wurde. Zunächst kriegsbedingt, dann wegen der Schließung der Universität konnte er diese Professur nicht antreten.
Mit gleicher Gründlichkeit widmet sich Deglau der Situation der deutschen Universitäten 1945/46. Die bemerkenswerte französische Initiative einer Universitätsgründung in Mainz wird ausführlich dargestellt - einschließlich einer Debatte um die NS-Belastung mancher Professoren (378-407). Deglau stellt diese unter die Devise "Im Visier des amerikanischen Geheimdienstes", enttäuscht aber die Erwartungen: es handelte sich um einen folgenlosen internen Bericht. Hampl wird in ihm nur einmal genannt. Auch die Überschrift "Heros Ktistes in Mainz 1946-1947" (396-399) besagt nicht mehr, als dass er der erste Althistoriker gewesen ist.
Im Jahre 1947 wurde Hampl nach Innsbruck berufen, wo er den größeren Teil seiner Hochschullehrertätigkeit wie seines Lebens verbracht hat. Hier hat er in Lehre und Forschung nachhaltig gewirkt, wie die Erinnerungen seiner Schüler, Reinhold Bichler, Robert Rollinger und Ingomar Weiler bezeugen und wie es auch in seinem reichen Œuvre dokumentiert ist. Nachkriegsösterreich war zunächst geprägt von der Abgrenzung von Deutschland; der Möchte-gern-Österreicher Hampl vermochte aber ein erstaunliches Beziehungsnetz zu mobilisieren, um seine Berufung zu erreichen (416-448). Schon 1952/53 war er Dekan der Philosophischen Fakultät und 1962/63 wurde er Rektor. Rufe nach Bonn und Graz hat er 1965 abgelehnt (474-492).
In einem abschließenden Kapitel wird "Hampl als kritischer Althistoriker und Lehrer" gewürdigt (493-556). An massiver Kritik wissenschaftlichen Schrifttums, nicht nur der engeren historischen Fachkollegen, hat Hampl es nicht fehlen lassen - und dies mit einigem Selbstbewusstsein. Dass es ihm dabei stets um sachliche Klärung ging, hat er gegenüber Berve ausgeführt, als dieser seine These zur fehlenden Einheit des Altertums mit Stillschweigen überging (466-468). Polemik war also für Hampl kein Selbstzweck, sondern wurde mit einer Fülle von neuen und überraschenden Gesichtspunkten verbunden. Deglau exemplifiziert dies an Hampls Forderung, die antiken Quellen - Homer, Caesar und den Tatenbericht des Augustus - kritisch zu lesen (497-506), und an seiner Ablehnung, bei Alexander dem Großen nach weitreichenden Konzeptionen zu suchen (507-520). Besonders wichtig wurde ihm das Problem einer Universalgeschichte. Einerseits konnte er großen Entwürfen, wie denen von Spengler und Toynbee, wenig abgewinnen, andererseits forderte - und praktizierte! - er zunehmend die weltweite Einbeziehung aller Kulturen in die historische Betrachtung. Dies ist wohl sein wichtigstes Erbe für die Althistoriker in Innsbruck geblieben. Seine eigene Auseinandersetzung mit dem Problem des 'Kulturverfalls' zeigt freilich, wie schwierig Phänomene wie Stillstand und Rückgang einer Kultur zu erklären sind (521-541).
Deglau hat eine sorgfältig dokumentierte und reflektierte Darstellung von Hampls wissenschaftlichem Werdegang und seinem Werk vorgelegt. Sie bindet dabei beides in reichem Maße in die jeweiligen Zeitumstände ein. Nicht nur für Hampl, sondern generell für die Geschichte der deutschsprachigen Althistorie im 20. Jahrhundert wird das Buch ein wichtiges Referenzwerk werden.
Anmerkungen:
[1] M. Pesditschek: Barbar, Kreter, Arier. Leben und Werk des Althistorikers Fritz Schachermeyr, 2 Bde., Saarbrücken 2009.
[2] "v. Christi Geb." im Buchtitel ist bemerkenswert, da von NS-Seite "v.u.Z." propagiert worden ist.
Claudia Deglau: Der Althistoriker Franz Hampl zwischen Nationalsozialismus und Demokratie. Kontinuität und Wandel im Fach Alte Geschichte (= Philippika. Altertumswissenschaftliche Abhandlungen; 115), Wiesbaden: Harrassowitz 2017, XVIII + 701 S., 6 s/w-Abb., ISBN 978-3-447-10905-5, EUR 115,00
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