Als die deutsche Wehrmacht am 22. Juni 1941 die Feindseligkeiten gegen die Rote Armee eröffnete, dauerte es nur wenige Stunden, bis sich auch Italien im Kriegszustand mit der Sowjetunion befand. Das faschistische Königreich kam damit nicht nur seinen Verpflichtungen aus dem "Stahlpakt" vom Mai 1939 nach, sondern verfolgte auch eigene Interessen - bündnispolitische, ideologische, strategische und nicht zuletzt ökonomische. Bündnispolitisch galt es, die Balance der "Achse" wiederherzustellen, die seit den Niederlagen der italienischen Streitkräfte 1940/41 in Griechenland und Nordafrika verlorengegangen war, ideologisch entsprach ein Krieg gegen die Sowjetunion der antikommunistischen Stoßrichtung des Faschismus, strategisch ließ sich die Wendung nach Osten als Variante im Kampf gegen Großbritannien, Italiens Hauptgegner, lesen, und ökonomisch versprach ein siegreicher Feldzug reiche Beute, gab es doch in der Sowjetunion alles, was in Italien knapp und begehrt war: Getreide, Kohle, Erze aller Art und nicht zuletzt Erdöl. Mussolinis Entscheidung, der deutschen Führung Truppen aufzudrängen, die diese nie angefordert hatte, entbehrte also nicht einer gewissen Logik, zumal der Duce zwar mit einem verlustreichen Waffengang, aber mit einem deutschen Sieg rechnete. Seit August 1941 kämpften die drei Divisionen des italienischen Expeditionskorps im Süden der Ostfront, insgesamt rund 62.000 Mann, die ein Jahr später auf eine ganze Armee von zehn Divisionen aufgestockt werden sollten.
Die deutsche Forschung zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs hat sich für den italienischen Beitrag zum Unternehmen "Barbarossa" kaum interessiert, und auch im kollektiven Gedächtnis gibt es kaum Spuren davon, sieht man einmal davon ab, dass die nationalsozialistische Propaganda auf fruchtbaren Boden gefallen ist, es seien die rumänischen, ungarischen und italienischen Truppen gewesen, die durch ihr Versagen die Katastrophe der 6. Armee in Stalingrad heraufbeschworen hätten. Dass es Hitler und sein Generalstab waren, die mit ihren riskanten Operationsplänen dafür verantwortlich waren, wurde oft vergessen, ebenso wie die Tatsache, dass im Schatten von Stalingrad auch die 8. italienische Armee in den Strudel des Untergangs gerissen wurde. Südlich der Alpen ist das "Cannae am Don" dagegen bis heute sehr präsent - wegen der hohen Verluste, der harten Kämpfe im russischen Winter und nicht zuletzt wegen der deutsch-italienischen Auseinandersetzungen, die den Bruch der "Achse" vom Sommer 1943 auf dem sowjetischen Kriegsschauplatz schon vorwegnahmen.
Allerdings dominieren nach wie vor die Selbstzeugnisse der Akteure sowie tendenziöse populäre Darstellungen den Markt, und es ist nur zu begrüßen, dass mit Maria Teresa Giusti eine ausgewiesene Historikerin eine neue Gesamtdarstellung im renommierten Verlag il Mulino vorgelegt hat. Die Professorin an der Universität Chieti-Pescara ist bereits vor einigen Jahren mit einer viel beachteten Monografie über das Schicksal der mehr als 70.000 italienischen Soldaten in sowjetischer Kriegsgefangenschaft hervorgetreten, von denen nur etwa 10.000 die Heimat wiedersehen sollten. [1] Von ihrem zweiten Buch über die Campagna di Russia ist also einiges zu erwarten, und dies umso mehr, als die Autorin auch bislang kaum genutzte Quellen sowjetischer Provenienz auswerten konnte.
Doch um es vorwegzunehmen: Maria Teresa Giusti wird diesem Anspruch in weiten Teilen ihrer Studie nicht gerecht. Das liegt unter anderem daran, dass sich die Autorin nicht entscheiden konnte, welches Buch sie eigentlich schreiben wollte. Eine Studie über den Beitrag Italiens zum deutschen Krieg gegen die Sowjetunion? Eine Arbeit über die Sowjetunion im Krieg? Oder doch eine Gesamtdarstellung des Kriegs an der Ostfront bis 1943? Maria Teresa Giustis Buch enthält alle drei Elemente, die aber zumeist unverbunden nebeneinanderstehen und die sich nicht so recht zu einem Gesamtbild fügen wollen. Eine klare Perspektive und eine eindeutige Fragestellung wären sicherlich hilfreich gewesen. Die ersten zwei von sechs Kapiteln - etwa ein Drittel des Textes - benötigt die Verfasserin für eine etwas weitschweifige Vorgeschichte, bevor sie auf die Geschichte des italienischen Expeditionskorps 1941/42, die Geschichte der 8. italienischen Armee im Sommer und Herbst 1942 sowie auf die Katastrophe im Winter 1942/43 zu sprechen kommt. Quer dazu liegt das mit der Überschrift "Kämpfer, Zivilisten und Krieg" überschriebene fünfte Kapitel, das einerseits interessante Details etwa zur Einrichtung von Bordellen für die italienischen Soldaten im Operationsgebiet zutage fördert, andererseits aber Abschnitte über die sowjetische Kriegsgesellschaft enthält, die kaum in die Tiefe gehen und wenig mit der italienischen Kriegführung und Besatzungspraxis zu tun haben. In diesem Kapitel behandelt Maria Teresa Giusti auch das Thema Kriegsverbrechen und greift dabei auf Dokumente sowjetischer Provenienz zurück, aus denen die Anklagen gegen etwa 30 italienische Soldaten - zumeist Offiziere - deutlich werden. Obwohl die Autorin sich nach Kräften bemüht, den italienischen Beitrag zum rassenideologischen Vernichtungskrieg kleinzureden, werden doch Strukturen deutlich, die zeigen, dass der italienische Krieg an der Ostfront an den deutschen anschlussfähig war und dass die italienischen Truppen bei der Kontrolle des Territoriums, bei der Bekämpfung der Partisanen und bei der rassisch-politisch motivierten Unterdrückung der Zivilbevölkerung eine wichtige Rolle ganz im Sinne der deutschen Waffenbrüder spielten, auch wenn den letzteren die italienischen Methoden zuweilen etwas fremd waren.
Dieser defensive, stellenweise fast schon apologetische Tonfall durchzieht die Arbeit und macht ihre Ergebnisse wenigstens teilweise angreifbar. Die allenfalls selektive Auswertung der - vor allem deutschen - Forschungsliteratur, die weitgehende Vernachlässigung ungedruckter Quellen deutscher Provenienz und der unkritische Rekurs auf umstrittene Kollegen wie den verstorbenen Renzo De Felice verstärken diesen Eindruck. Zudem ist Militärgeschichte im engeren Sinne die Sache der Autorin nicht; die Operationen kommen ziemlich kurz, ihre Darstellung ist teilweise widersprüchlich, Truppenteile sind falsch benannt, Vergleichsparameter zweifelhaft. Dass sich die Autorin mit deutschen Namen und Begriffen schwertut (hier wäre ein sorgfältigeres Lektorat wünschenswert gewesen) und dass sie sich an einer Studie des Rezensenten zum selben Thema abarbeitet [2], seine Themen, Fragen und Quellen aber teilweise übernimmt, sei nur am Rande erwähnt. Alles in allem bleibt ein zwiespältiger Eindruck. Maria Teresa Giusti hat die Forschung durch die partielle Einbeziehung von Quellen sowjetischer Provenienz zweifelsohne vorangebracht; ihre Versuche, an die italienische Version der deutschen Wehrmachtslegende anzuknüpfen, wirken dagegen reichlich befremdlich.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Maria Teresa Giusti: I prigionieri italiani in Russia, Bologna 2003.
[2] Vgl. Thomas Schlemmer: Invasori, non vittime. La Campagna italiana di Russia 1941-1943, Rom / Bari 22009.
Maria Teresa Giusti: La campagna di Russia. 1941-1943, Bologna: il Mulino 2016, 375 S., ISBN 978-88-15-26648-4, EUR 26,00
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