sehepunkte 19 (2019), Nr. 4

Edward Payne / Xavier Bray: Ribera

Glaubt man Joachim von Sandrart, der Ribera in Neapel besucht hatte, so habe der Künstler statt angenehmer Sujets "lieber andere schrekbare, crudele Historien, alte abgelebte Cörper, mit zerrümpfter Haut, bejahrte wilde Angesichter" gemalt und "gern abscheu- und erschreckliche Sachen" ins Bild gesetzt. [1] In dieser Sicht folgten ihm dann spätere Biografen wie Antonio de Palomino. Im 19. Jahrhundert wurde Ribera gar zum blutrünstigen Maler, der seinen Pinsel regelrecht in Blut getaucht habe, wie Lord Byron 1823 schrieb. [2] Jusepe de Riberas ungeschönte Darstellungen von christlichen Martyrien haben die Rezeption seiner Kunst also seit Anbeginn bestimmt. Mit seiner naturalistischen Schilderung körperlicher Qualen hat er ganz offensichtlich den Nerv seiner Betrachter getroffen, im doppelten Sinn. Man könnte auch von schrecklich schönen Werken sprechen.

Dieser Umstand ist insofern doch bemerkenswert, als dass von den im letzten Werkkatalog von Nicola Spinosa als authentisch eingestuften 364 Gemälden lediglich zehn Prozent Darstellungen von Martyrien sind, eingerechnet Szenen der Passion Christi sowie mythologische Szenen. [3] Unter den restlichen 90 Prozent sind zwar jede Menge anderer Heiligendarstellungen, doch ist Riberas Themenspektrum wesentlich umfangreicher, als es Sandrart und spätere Biografen glauben machen wollen. Die Faszination, die von Riberas Gewaltdarstellungen ausgeht, bleibt davon jedoch unberührt. Die Fokussierung auf diese Objektgruppe in der Wahrnehmung bewegte sich dabei zwischen der Vorstellung eines von Caravaggio abgeleiteten ungeschminkten Naturalismus, dem Ribera nachgeeifert habe, und einer psychologischen bzw. psychoanalytischen Sicht auf Künstler und Publikum.

Der zur Ausstellung in der Londoner Dulwich Picture Gallery erschienene Band versucht nun einen neuen Weg zu beschreiten, wie Edward Payne in seinem Essay über den Mythos von Ribera als grausamen Maler schreibt. Er plädiert dafür, Riberas Darstellungen gegen den Strich zu lesen. Anstatt psychologischer Spekulationen über den Künstler argumentiert er für eine Kontextualisierung seiner Werke. Entsprechend werden neben Gemälden und Grafiken Riberas auch zwei Gerichtsakten aus dem "Tribunale criminale del senatore" in Rom ausgestellt, die Einblicke in das juristische Selbstverständnis geben, das explizit Foltermethoden wie das Pendeln (strappado) mit einschloss, bei dem der Beschuldigte an den Händen hinter dem Rücken aufgehängt wurde. Riberas Zeichnungen erscheinen in einem solchen Kontext weniger als Ausdruck einer gewalttätigen Psyche als vielmehr einer gewalttätigen Zeit, die neugierige Künstler in Zeichnungen festhielten, wie dies auch Rembrandt 1664 bei der in Amsterdam hingerichteten Elsje Christiaens tat.

Xavier Bray bettet in seinem Beitrag Ribera innerhalb eines breiteren Diskurses zwischen Naturalismus und Klassizismus ein. Er kann dabei zeigen, wie der Künstler z.B. bei der Darstellung der Bartholomäusmarter durch einen am Boden liegenden Kopf des Apoll Belvedere nicht nur die Zerstörung der paganen Götter durch den Heiligen thematisiert, sondern gleichsam auf einen Sieg des Naturalismus über den Klassizismus anspielt. Das sakrale Historienbild wird somit ein subtiler Kommentar zu aktuellen kunsttheoretischen Diskursen.

Der an die Essays anschließende, von Payne verfasste Katalog umfasst insgesamt 39 Werke und ist in fünf Gruppen unterteilt: religiöse Gewalt (Hl. Bartholomäus), Haut und die Fünf Sinne, Verbrechen und Strafe, die angebundene Figur und mythologische Gewalt (Apoll und Marsyas). Innerhalb dieser Unterteilung waren neben 28 Gemälden und Grafiken Riberas auch eine Grafik eines Écorché, zwei Prozessakten aus Rom, eine Darstellung des "Tribunale della Vicaria" in Neapel und sechs Blätter aus Jacques Callots Serie "Les misères et les malheurs de la guerre" von 1633 zu sehen. Während diese Objekte Riberas Werke auf sinnvolle Weise kontextualisieren und dem Leser wichtige Informationen etwa zu Justiz und Strafpraktiken bieten, wirkt das ebenfalls ausgestellte Stück menschlicher Haut mit Tätowierungen aus dem späten 19. Jahrhundert leicht deplatziert.

An mancher Stelle hätte man sich den Blick über den Tellerrand gewünscht. So zeigt etwa Pieter Bruegels Darstellung der Justitia aus dem Jahr 1559, die durch Philippe Galles Stich weite Verbreitung fand, exakt dieselbe Folterpraktik des "strappado". Es handelt sich eben gerade nicht um ein spezifisch römisch-neapolitanisches Phänomen. Auch könnte man Riberas Zeichnungen von Märtyrern etwa mit Blättern von Guercino oder anderen Künstlern seiner Zeit vergleichen. Dieser erweiterte Blick könnte ein globaleres Interesse an Szenen von Gewalt verdeutlichen und Riberas Werke, ungeachtet ihrer Faszination für die detaillierte Schilderung menschlicher Grausamkeiten, verorten.

Etwas zu kurz gerät der Umgang mit der bisherigen Ribera-Forschung. Die "Selected Bibliography" besteht nahezu ausschließlich aus englischsprachigen Titeln. Kündigt sich hier schon der Brexit an? Nun mag man einwenden, dass für ein angelsächsisches Publikum das in Ordnung geht. Doch ist den Autoren damit ganz offensichtlich entgangen, dass sich Pierre Rosenberg im Katalog der großen Ribera-Retrospektive 1992 in Neapel, Madrid und New York intensiv mit der Rezeption französischer Künstler wie Ribot und Bonnat auseinandergesetzt hat und u.a. exakt dieselben Werke bespricht, die Payne heranzieht. [4] Rosenbergs Essay erschien jedoch nur in der spanischen und italienischen Ausgabe des Kataloges und nicht in der englischen. Deutschsprachige Ribera-Forschung sucht man ebenso vergebens, obwohl mit Arbeiten von Diane Kracht und Salvatore Pisani explizite Untersuchungen zur Gewalt bei Ribera vorliegen. [5]

Dies alles macht die Ausführungen Paynes und Brays zwar nicht weniger lesenswert, zeigt aber doch, dass hier keineswegs ein unbeackertes Feld bearbeitet wurde.


Anmerkungen:

[1] Joachim von Sandrart: Teutsche Akademie, Nürnberg 1675, Bd. II, 183, 191. Online unter: http://ta.sandrart.net/de/text/405?item=auto70760#auto70760.

[2] Lord Byron: Don Juan, London 1823, Canto XIII, 71.

[3] Nicola Spinosa: Ribera. La obra completa, Madrid 2008.

[4] Pierre Rosenberg: Da Ribera a Ribot, dal naturalismo all'accademismo. La fortuna di un pittore alla ricerca della sua nazionalità della sua definizione stilistica, in: Jusepe de Ribera. 1591-1652. Ausstellungskatalog Neapel Museo di Capodimonte, hgg. von Nicola Spinosa / Alfonso E. Pérez Sánchez, Mailand 1992, 81-104.

[5] Diane Kracht: Gequälte Seelen - gequälte Körper. Gewaltinszenierungen in den Gemälden der antiken Unterweltbüßer des Jusepe de Ribera (1591-1652), Saarbrücken 2008; Salvatore Pisani: Jusepe de Riberas Bilder des Grausamen und Anormalen, in: Neapel. Sechs Jahrhunderte Kulturgeschichte, hgg. von Salvatore Pisani / Katharina Siebenmorgen, Berlin 2009, 235-244; Salvatore Pisani: Zerrümpft, schrekbar, crudel. Das Schauspiel des Körpers bei Jusepe de Ribera, in: Caravaggios Erben. Barock in Neapel. Ausstellungskatalog Museum Wiesbaden, hgg. von Peter Forster / Elisabeth Oy-Marra / Heiko Damm, München 2016, 128-143.

Rezension über:

Edward Payne / Xavier Bray: Ribera. Art of Violence, Madrid: Centro de Estudios Europa Hispánica 2018, 156 S., 82 Farbabb., ISBN 978-1-898519-42-3, EUR 24,04

Rezension von:
Justus Lange
Gemäldegalerie Alte Meister, Museumslandschaft Hessen Kassel
Empfohlene Zitierweise:
Justus Lange: Rezension von: Edward Payne / Xavier Bray: Ribera. Art of Violence, Madrid: Centro de Estudios Europa Hispánica 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 4 [15.04.2019], URL: https://www.sehepunkte.de/2019/04/32479.html


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