Neueren kunstgeschichtlichen Studien geht es vermehrt darum, Prozesse der Geschmacks- und Preisbildung jenseits einer vermeintlich überzeitlichen Ästhetik zu erklären. Im Fokus stehen die performativen und medialen Inszenierungen von Kunst sowie die objektspezifischen Zuschreibungen. Die Studie der Lyoner Kunsthistorikerin Sophie Laux macht nun darauf aufmerksam, dass in den für die Kunstgeschichte so wichtigen Niederlanden Objekte nicht nur auf Märkten, in Werkstätten und in Läden beworben, bewertet und gehandelt wurden, sondern auch und in erheblichem Maße über öffentliche Lotterien zirkulierten. Die Autorin thematisiert zum einen, wie diese temporäre und zufällige Form der Zirkulation von (Kunst-)Marktgütern eigene Formen der sozialen Netzwerke bzw. Handels- und Informationswege erforderlich machte und wie diese Mechanismen den Kunstmarkt formten. Zum anderen wendet sie sich der Frage zu, inwiefern das Glücksspiel für die Entwicklung der Ikonografie von Dingen relevant war.
Die Studie kündigt an, vom Ende des 15. Jahrhunderts bis in die erste Dekade des 17. Jahrhunderts zu gehen, als mit dem Beginn des Zwölfjährigen Waffenstillstands (1609) die wirtschaftliche Stabilität in den inzwischen de facto geteilten Landesteilen wiederhergestellt wurde. Diese Fokussierung auf die Frühphase des Glücksspiels bzw. der Entscheidung durch göttliche Hand wird jedoch vor allem in der ersten Hälfte des Buchs an etlichen Stellen zugunsten einer längeren, ins frühe 18. Jahrhundert reichenden Analyse aufgegeben. In ihren Unterkapiteln gibt die Autorin einen Überblick über die Geschichte der Lotterie und geht auf die Visualisierungsstrategien in performativer wie bildlich-medialer Form ein. Während Fallstudien zu einzelnen Lotterien die sozialgeschichtliche Dimension des Phänomens sichtbar machen, wertet ein weiteres Kapitel Lotterie-Inventare bzw. obrigkeitlich abgesegnete Preislisten statistisch aus, um sich den Handelsobjekten zu nähern. Ein abschließender Abschnitt resümiert die Bedeutung der Lotterie für die Geschichte von Kapitalismus und Moralkonzepten einerseits und stellt andererseits strenger kunsthistorisch argumentierend eine Verbindung zwischen der Genese der Lotterie und der Vanitas-Ikonografie her.
Nach Sophie Raux waren Lotterien "one of the most important mechanisms of public funding and one of the most active forms of private speculations in the whole of Europe" (13). Für die Niederlanden ließen sich immerhin rund 300 solcher Glücksspiele für die Zeit zwischen 1450 und 1609 ausmachen. Zu unterscheiden ist dabei zwischen Lotterien, die Händler aus privatwirtschaftlichem Interesse heraus organisierten, und solchen Glücksspielen, die aus einer landesherrlichen oder korporativen Initiative hervorgingen und deren Erlös einer sozialen Gruppe oder Gemeinschaft zu gute kommen sollte. Privathändler veranstalteten ihre Lotterien üblicherweise als Sofort-Ziehung, um dann in die nächste Stadt weiterzuziehen. Sophie Raux macht an dieser Stelle und in ihren späteren vorgestellten Fallstudien deutlich, dass auch aufgrund dieser Mobilität solche Händler unter großem Legitimationsdruck standen und der Argwohn des sozialen Umfelds eher auf sie, denn auf die Veranstalter von Wohltätigkeitslotterien gerichtet war.
Diesen einleitenden Worten folgen drei Kapitel zu "commercial strategies" (40), die meines Erachtens das Herz und die stärksten Teile der Studie bilden. Die Autorin zeigt darin, wie die Veranstalter durch eine differenzierte mediale Inszenierung ihre Objekte zu vermarkten suchten. Dazu gehörte etwa, dass die Objekte herumgetragen oder in Buden ("tafeln") ausgestellt wurden. Die wertvollsten Preise wurden in extra dafür entwickelten hölzernen Schränken ("kassen") präsentiert, womit laut Sophie Raux ähnliche epistemische und ökonomische Ordnungen entworfen wurden wie bei Kunstkammern. Bei der Theatralisierung spielten neben der akustischen Inszenierung des Glücksspiels, das begleitet wurde von Trommeln und Fanfaren, auch der Ort eine wichtige Rolle. Sofern die Lotterie nicht anlässlich eines Markts stattfand, nutzte man Rathäuser oder Kirchen, wo die zu erspielenden Objekte bis zu einem Monat präsentiert werden konnten.
Zur medialen Strategie gehörte erstens die Veröffentlichung von obrigkeitlichen Patenten, die die Legitimität und Verfahrensregeln dokumentierten und darauf abzielten, den Eindruck von Transparenz zu steigern und so die Spielbereitschaft zu erhöhen. Zweitens bildeten eine wichtige Form der medialen Inszenierung illustrierte Poster bzw. "loterijkaarten", d.h. gedruckte Ankündigungen der angebotenen Preise und, im Falle einer zum Zwecke der Wohltätigkeit veranstalten Lotterie, einer dazugehörigen Vermittlung des mildtätigen 'Mehrwerts'. Die großen öffentlichen Lotterien stellten auch optisch die angebotenen Preise da, die als "prototypes of the modern advertising image" (139) interpretiert werden. Drittens schließlich wurden, etwa seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, Hefte und Kataloge verfasst, die über ein Distrubutionsnetzwerk entferntere Interessierte erreichen konnten und die, da sie streng nach dem behaupteten Marktwert klassifiziert wurden, auch als "source of education and inspiration" (169) dienen konnten.
In ihren Kapiteln zu den Fallstudien stellt die Autorin als die treibenden sozialen Kräfte nicht nur einzelne Händler dar, sondern auch größere Netzwerke, die durch ihre Beteiligung an der Beschaffung und Bereitstellung der Güter maßgeblich zum Erfolg der Lotterien beitrugen. Solche Entrepreneurs waren Künstler, Kunsthändler und Mitglieder aus dem Finanz- und anderen Handelsgeschäft, die zum Teil ein sehr spezialisiertes Angebot, in anderen Fällen einen Querschnitt an Haushalts-, Luxus-, und Kunstwaren, inklusive Tieren, vertrieben. Das Angebot stammte nicht nur aus dem Import, sondern auch aus den eigenen Werkstätten oder Lagern und konnte im Erfolgsfall hohe Profite erzielen.
In ihrem Abschnitt zu den Objekten, die in den Lotterien zirkulierten, sammelt die Autorin vor allem Belege für zwei bekannte Thesen: Zum einen bestätigt die Autorin den Aufstieg des Gemäldehandels gegenüber dem Kunsthandwerk, wofür die Zunahme von Gemälden als erste Preise als Beleg herangeführt wird. Zum anderen dockt sie an die von Jan de Vries geprägte These vom Wandel des Kunstkonsums hin zu "New Luxuries" an, indem sie dem Wandel des Angebots hin zu Pluralität nachspürt und all die vielen Dinge - "which represented everything dreamt about by men and women of the Spanish Netherlands of whatever social class" (268) - als Modegüter identifiziert.
Gerade hinsichtlich der Frage nach dem Stellenwert der Lotterie für den Konsum und (Kunst-)Handel bleibt die Studie indes streckenweise an der Oberfläche. Dies betrifft etwa das Verhältnis von Lotterie und Moral: An mehreren Stellen heißt es, das Glücksspiel sei nicht grundsätzlich als moralisch verwerflich geachtet worden, weil es häufig der Mildtätigkeit diente und da irdischer Erfolg durchaus auch als Zeichen göttlicher Gnade verstanden werden konnte. Andererseits vertritt Sophie Raux die Auffassung, dass die Lotterie seit etwa 1600 zwar nicht nachhaltig eingehegt wurde, aber doch zur "metaphor for the World and all earthly vanities" (297) geworden sei. Diese Zäsur wird jedoch vor allem ikonografisch zu belegen gesucht, womit der komplexe Moraldiskurs und zugleich die Frage nach Brüchen in der Geschichte der Lotterien im Kontext von Konsum- und Handelsgeschichte sicherlich noch nicht erschöpfend behandelt worden ist.
Ein zweiter Bereich, der weitere Fragen aufwirft, betrifft die Kernthese von der maßgeblichen Bedeutung der Lotterien für die Dissemination von Dingen und Trends: Sophie Raux stellt die Veranstalter von Lotterien als "artistic and cultural agents" vor (304) und führt überzeugend vor, wie die Werbung darauf abzielte, die Begierde zu steigern, zu gewinnen und die angepriesenen Objekte zu besitzen. Indes bleibt weiterer Forschung vorbehalten zu prüfen, in welchen Bereichen und wie vermittelt sich des Glücksspiels "Power of Persuasion" (81) entfalten konnte. Zöge man etwa die von der Autorin nur am Rande erwähnten gescheiterten Lotterieprojekte stärker heran, würde sich die Geschichte des 'Erfolgsmodells' Lotterie möglicherweise etwas anders darstellen. Und auch die Auffassung, dass die Lotterien den Weg der (Kunst-)Objekte "into the most diverse social settings" (304) geebnet hätten, d.h. zur Demokratisierung des Markts beigetragen hätten, wird man nach der Lektüre dieser Studie nicht uneingeschränkt teilen wollen. Die Autorin sitzt damit, so scheint es, eher frühneuzeitlichen Werbestrategien auf.
Dennoch: Das Buch leistet einen wichtigen Beitrag zu einer kulturgeschichtlichen Erweiterung der (Kunst-)Markthistoriografie. Mit ihrem Fokus auf ein von der Fortuna gelenktes und theoretisch alle Standesgruppen integrierendes Geschäft, ist die Studie gleichermaßen anschlussfähig für Fragen zur sozialen Mobilität in der Frühen Neuzeit wie zu Zukunftshandeln und Verfahrens- und Entscheidungspraktiken. Es wäre daher zu begrüßen, wenn sie nicht nur das Interesse der Kunst- und Konsumgeschichte auf sich zieht.
Sophie Raux: Lotteries, Art Markets, and Visual Culture in the Low Countries, 15th-17th Centuries (= Studies in the History of Collecting & Art Markets; Vol. 4), Leiden / Boston: Brill 2018, XVIII + 369 S., 17 Tbl., 95 Farbabb., ISBN 978-90-04-35321-3, EUR 138,00
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