Der Erste Weltkrieg wurde zwischen 2014 und 2018 aus Anlass seines Centenniums so ausgiebig in Presse, Film, Fernsehen und Museum thematisiert, dass man schon den Überblick verlieren konnte. 2019 folgten dann noch Bücher zum Frieden von Versailles. Die 'Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts' ist nach langem, nur ab und an unterbrochenem Dornröschenschlaf in Fachwissenschaft und Geschichtskultur gerade 'chic'. Die Beschäftigung der Geschichtsdidaktik mit diesem Thema fiel hingegen deutlich weniger umfangreich aus. Doch nicht nur mit dem Gegenstand 'Erster Weltkrieg' greifen die Herausgeber einen 'modischen' Aspekt auf, auch sein globalgeschichtlicher Zugang spiegelt wichtige gegenwärtige Debatten der Geschichtsdidaktik. Nicht zu Unrecht wird der Geschichtsdidaktik zuweilen vorgeworfen, ihre Diskurse entfernten sich zu oft von der schulischen Praxis. Der Sammelband von Philipp Bernhard, Jutta Schumann, beide Wissenschaftliche Mitarbeiter an der Universität Augsburg, sowie von Susanne Popp, langjährige Expertin für Globalgeschichte und Professorin in Augsburg, geht hingegen auf fachwissenschaftlicher Grundlage und mit geschichtsdidaktischer Reflexion in die Praxis. Aus all den genannten Gründen ist der vorliegende Band zu begrüßen.
Ob Globalgeschichte die so oft und zuweilen vordergründig-plakativ kritisierte Geschichte 'alter, weißer, heterosexueller Männer' ersetzen sollte, sei dahingestellt, behauptet der Band auch nicht. Dass sich der Geschichtsunterricht allerdings dringend von veralteten Paradigmen lösen und auch gleichberechtigt die Geschichte außereuropäischer, vermeintlich 'fremder', häufig tatsächlich sehr nahstehender Kulturen in den Blickpunkt nehmen sollte, zeigt allein der Blick auf die nicht zu leugnende Heterogenität heutiger Schulklassen. Eine affirmative Erfolgsgeschichte des auf einer Basis der griechisch-römischen Antike fußenden 'christlichen Abendlands' wie sie noch heute mal mehr, mal weniger verdeckt im Geschichtsunterricht gelehrt wird, ist jedenfalls überholt. Der Sammelband, der auf eine Arbeitskreistagung innerhalb der 'Konferenz für Geschichtsdidaktik' aus dem Jahr 2017 zurückgeht, leistet im Kontext dieser Diskussion einen interessanten und wegen seiner Praxisorientierung möglicherweise auch tatsächlich wirkungsvollen Beitrag.
Der Band ist in zwei Teile gegliedert. In Teil 1, der einem Einführungstext der Herausgeber folgt, werden fachwissenschaftliche Grundlagen erläutert. Ein Beitrag widmet sich zum Beispiel dem Mythos Gallipoli und seiner Bedeutung für die innere Nationalstaatswerdung Australiens und Neuseelands (Jochen Gollheimer, 63-77), ein anderer dem Krieg in Afrika (Imke Rath und Denise Bentrovato, 91-107). Erwähnung finden unter anderem auch noch der Osmanisch-deutsche Dschihad (Andres Frings, 31-42) und mit der lateinamerikanischen Perspektive ein hierzulande völlig unbekannter Aspekt des Weltkriegs (Christiane Hoth, 79-90). Dass die problematische deutsch-türkische 'Waffenbrüderschaft' oder der damit verbundene versuchte Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg angesichts Millionen junger Deutscher türkischer Herkunft in dritter oder vierter Generation in den Klassenzimmern neben vielen anderen möglichen Themen aus der Geschichte der Türkei bis heute in den Lehrplänen kaum eine Rolle spielen, bleibt eines der vielen Rätsel des gegenwärtigen Geschichtsunterrichts. Umso wichtiger ist, dass dieser Aspekt hier Beachtung findet. Allen Beiträgen in Teil 1 sind Materialien für den Unterricht beigefügt, wobei auf konkrete Unterrichtsarrangements noch verzichtet wird.
Unterrichtsvorschläge folgen dann im Teil 2. Hier werden nun konkrete Unterrichtsverläufe vorgestellt. Diese Vorschläge beziehen sich in einem etwas verwirrenden System auf die in Teil 1 von anderen Autoren und Autorinnen fachlich eingeführten und zusammengestellten Materialien, streckenweise finden sich aber auch noch zusätzliche Materialien. Kurze didaktische Kommentare führen in die Vorschläge ein. Dabei dominieren gängige Methoden der problemorientierten Quellenarbeit auf zum Teil recht ambitionierten Niveaustufen. Themen sind hier zum Beispiel "Die Arabische Revolte als Beispiel für die 'Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen' im Ersten Weltkrieg" (Gregor Pelger, 129-139) oder "Warum kämpften Afrikaner im Ersten Weltkrieg?" (Robin Richter, 155-160). Die Autoren und Autorinnen sind zum Teil in universitären Kontexten tätig oder arbeiten als Lehrkräfte an Gymnasien. Eine Perspektive für den Geschichtsunterricht an Realschulen oder gar Werkrealschulen, wo globalgeschichtliche Ansätze aufgrund der Klassenzusammensetzungen sicher noch dringender angezeigt wären, fehlt dem Band leider durchgängig. Geschichtsdidaktik ist halt fast immer nur gymnasiale Geschichtsdidaktik! Über den zuweilen doch recht unbekümmerten Umgang mit Materialien aus dem Internet könnte man in diesem Band auch geteilter Meinung sein.
Doch von diesen Einwänden abgesehen, liefert der Band interessante Einblicke in aus deutscher und europäischer Sicht bisher weniger beachtete Bereiche des Weltkriegs. Zudem hat er noch den löblichen Anspruch, es nicht bei der Theorie bewenden zu lassen. Wieweit die Unterrichtsvorschläge tragen, kann aber nur in der Praxis erprobt werden. Hoffentlich finden sich Lehrer und Lehrerinnen außerhalb des Autorenteams, die sich dies zutrauen.
Philipp Bernhard / Susanne Popp / Jutta Schumann (Hgg.): Der Erste Weltkrieg - globalgeschichtlich betrachtet. Perspektiven für den Geschichtsunterricht (= HISTORICA ET DIDACTICA. Fortbildung Geschichte; Bd. 12), St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag 2019, 170 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-86110-744-6, EUR 24,80
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