Claudia Böttchers medienhistorische Dissertation zu Deutungsmustern des NS-Widerstands im DDR-Fernsehen im Zeitraum 1952-1989 widmet sich einem ambivalenten Gegenstand. Dies bezeugt schon die Spannung, die zwischen Titel und Untertitel der Publikation besteht: Einerseits zielt ihr Gegenstand, das Genre der "historischen Dokumentation", auf möglichst hohe Objektivität und eine sachliche, sich jeder Bewertung enthaltende Information zu historischen Ereignissen und Personen. Dieser Anspruch wird vom jeweiligen Film durch Aktenauszüge, dokumentarische Texte, Interviews, Expertenbefragungen oder Originalaufnahmen untermauert .[1] Andererseits hat Böttcher ihre Studie mit den um politisch-moralische Zustimmung konkurrierenden Zuschreibungen "Fortschrittlich versus Reaktionär" überschrieben. Damit weist sie auf das grundsätzliche Problem eines Antifaschismusfilms hin, der auf einem vereindeutigten, durchweg kapitalismuskritischen Narrativ mit absolutem Wahrheitsanspruch beruhte, der vorrangig für politische Legitimation und gesellschaftlich-soziale Integration benötigt wurde und der aus diesen Gründen nur wenig Raum für einen auch auf sich selbst bezogenen Schuld-Diskurs ließ.
Das Genre der "historischen Dokumentation" im DDR-Fernsehen war weit über die grundsätzliche Subjektivität von Film hinaus ausdrücklich auch Pamphlet, "parteiliche" Anklage und gegen die Bundesrepublik gerichtete Ermittlung. Angesichts eines solchen, polemisch konstruierten Untersuchungsgegenstands ist es das große Verdienst dieser Studie, in einer empirischen Längsschnittstudie vor allem nach einer systematisch begründeten und intersubjektiv überprüfbaren Methodik zu suchen. Inhaltlich geht Böttcher dabei von Thesen aus, die wissenschaftlicher Konsens sein dürften: Ihre Hauptthese ist, dass "sich die Interpretation und Darstellung des antifaschistischen Widerstandes [...] von einer undifferenzierten, eindimensionalen und auf Überhöhung der Traditionen der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung und des kommunistischen Widerstandes setzenden Auslegung in den 1950er und 1960er Jahren zu einer differenzierteren und erweiterten Darstellung insbesondere in den 1980er Jahren wandelte" (19, 557).
Darauf baut sie den weiteren Gang ihrer Untersuchung auf: Erstens geht sie von einem hierarchischen Abbildungsverhältnis zwischen (partei)-offiziellem Geschichtsdiskurs und seiner Darstellung in den historischen Fernsehdokumentationen aus. Zweitens sei dabei von "Perspektivverschiebungen und Modifikationen hinsichtlich der Feindbild- und Freundbildmuster" (561) auszugehen und drittens von Überlagerungen der filmischen Diskurse durch das Feindbilddenken des Kalten Krieges und die deutsch-deutsche Systemkonkurrenz. Daraus folgen die weiteren Thesen, dass "Interpretation und Darstellung des antifaschistischen Widerstandes stets durch eine Parallelisierung von Vergangenheit und Gegenwart gekennzeichnet" waren (563) und dabei vor allem "politisch-ideologisch wichtige Leitdaten und historische Jahrestage" Anlass für Produktion und Ausstrahlung der Filme gaben (564).
Zur letztlichen Bestätigung dieser Thesen gelangt Böttcher durch ihren Ansatz der kontextualisierten qualitativen Filminhaltsanalyse. In dieser werden zunächst durch eine quantitative Datensatzanalyse die "filmischen Präsentationsstrukturen" (148) des Genres im DDR-Fernsehen ermittelt: Die Anzahl der ausgestrahlten Dokumentationen pro Jahr, Sendedauer, Wochentage und Programmplätze werden gemessen und jeweils aufgeschlüsselt nach vier Zeitphasen und den vier Subthemen "kommunistischer Widerstand", "bürgerlich-militärischer Widerstand", "Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/Harnack" und "sonstige nichtkommunistische Gruppen". Der nüchtern-sachliche Stil ihrer Herangehensweise zielt, wie Böttcher immer wieder betont, vor allem auf eine intersubjektive "Vergleichbarkeit" und "Systematik" ihrer Ergebnisse. Dieser Ansatz muss angesichts der oft gegen- oder zumindest nebeneinander laufenden Diskurse zum DDR-Antifaschismus besonders hervorgehoben werden. Er leistet eine wichtige empirische Grundlagenarbeit, auf die sich auch Filmanalysen mit rein kritisch-hermeneutischer Methodik beziehen können.
Der quantifizierenden Datensatzanalyse lässt Böttcher in einem umfangreichen Teil ihres Buches ausführliche qualitative Sendungsanalysen folgen. Diese Interpretationen werden anhand tabellarisch angelegter Schemata durchgeführt, die ein quantifizierbares "Kategoriensystem" filmischer Freund- und Feindbildmuster bilden. Die für die Sendungsanalysen ausgewählten Filme wurden ausdrücklich nicht aufgrund ihrer Repräsentativität zur Analyse herangezogen, sondern aufgrund einer thematischen Innovativität in Bezug auf die Subthemen "kommunistischer Widerstand", "bürgerlich-militärischer Widerstand" und die "Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/Harnack". Die hier qualitativ erschlossenen Filme stellen also entweder Pionierwerke oder Ausnahmen unter den DDR-Fernsehdokumentationen zum NS-Widerstand dar.
Ein für die weitere Forschung zu DDR-Fernsehen und Antifaschismus wichtiges Ergebnis ist die in Böttchers Studie erfolgte Konkretisierung und Systematisierung des filmischen Gegenstands "historische Fernsehdokumentation" mit NS-Widerstandsthematik in einem Datensatz. Dieser von ihr gebildete, virtuelle Bestand umfasst alle einschlägigen Eigenproduktionen des DDR-Fernsehens, Produktionen des DEFA-Studios für Dokumentarfilme und der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam Babelsberg. Ausgestrahlte Produktionen, die nicht aus dem Studiosystem der DDR stammen, wurden nicht mit einbezogen. Ergebnis ist ein Korpus von insgesamt 548 Filmen mit dem Anspruch einer vollständigen Bestandsaufnahme, die auch eine inhaltliche Erschließung der Filme bietet.
Oft werden in der Forschung die 1980er Jahre als dasjenige Jahrzehnt hervorgehoben, in denen sich der DDR-Antifaschismus von marxistisch-leninistischen Dogmen befreit und nach jahrzehntelanger Ignoranz nun auch der Erinnerung des Holocaust endlich etwas mehr Raum verliehen habe. Böttchers Studie belegt hier jedoch eindrücklich, dass es lediglich eine gewisse "ideologiebestimmte Phraseologie und Rhetorik" und "offensichtliche ideologische Überformung" (566) waren, die nun in den Hintergrund traten. Zu beobachtende "Bedeutungswechsel" waren eher strategische Reaktionen auf die Glaubwürdigkeitskrise des Antifaschismus seit den 1970er Jahren, auf außenpolitische Zwänge und den zunehmenden Konkurrenzdruck westlicher Fernsehprogramme. Auch in den 1980er Jahren blieb der antifaschistische Widerstand "ein Politikum", für das Böttcher zeigen kann, dass vermeintliche Wagnisse politisch gewollt, einzelne Verschiebungen in Interpretation und Darstellung wissenschaftspolitisch akribisch vorbereitet und vom Fernsehen umgesetzt wurden.
Trotz kleinerer Kritikpunkte, die überwiegend das Lektorat und die bisweilen recht ausführlich dargelegten methodisch-theoretischen Grundlagen betreffen, ist Claudia Böttcher ein bedeutender Beitrag zur medialen Vergangenheitspolitik der DDR gelungen. Zu wünschen wäre, dass noch eine Möglichkeit gefunden würde, ein zentrales Ergebnis dieser Arbeit - die umfangreiche Datenbank aller DDR-Fernsehfilme mit NS-Widerstandsthematik, inklusive einer Vielzahl noch nicht ausgewerteter medialer Beziehungen und Verknüpfungen - einer größeren Öffentlichkeit jenseits der Pflichtexemplare zur Verfügung zu stellen.
Anmerkung:
[1] Vgl. James zu Hüningen: Dokumentation, in: Filmlexikon Kiel, verfügbar unter: https://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=129 (letzter Zugriff am 07.07.2020).
Claudia Böttcher: »Fortschrittlich« versus »reaktionär«. Deutungsmuster des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in historischen Dokumentationen des DDR-Fernsehens (= MEDIENRAUSCH; Bd. 8), Marburg: Büchner Verlag 2019, 640 S., 13 Tbl., 69 s/w-Abb., ISBN 978-3-96317-136-9, EUR 40,00
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