Zu Christiane Eberhardine von Brandenburg-Bayreuth (1671-1727), Gemahlin des sächsischen Kurfürsten Friedrich August I. und zugleich polnischen Königs August II. ("August der Starke") liegt bislang keine wissenschaftlich fundierte seriöse Biografie vor. Nach wie vor bestimmt Paul Haakes tendenziöse Briefedition von 1930 die nachfolgende, überwiegend populärwissenschaftliche Literatur. [1] In ihr dominiert eine legendenhaft geprägte Charakterisierung der Fürstin als fromme, zurückgezogen lebende und verbitterte, abgewiesene Gattin.
Mit ihrer 2017 als kunsthistorische Dissertation eingereichten Arbeit zeichnet Silke Herz nun ein ganz anderes Bild. Das gewichtige Buch bietet auf annähernd 700 Seiten gleichermaßen historische wie kunsthistorische Forschungsergebnisse. Ausgewertet wurde eine beeindruckende Zahl an Akten und ungedruckten Quellen aus 28 Archiven, darunter zahlreiche bisher unbekannte, wie etwa Briefe eines französischen Kammerfräuleins, in denen sie 1686/87 vom Alltagsleben am sächsischen Hof berichtet (30).
Das Buch ist mit 370 Abbildungen großzügig bebildert, wobei leider einige zu klein abgedruckt wurden. Trotz Detailaufnahmen sind insbesondere die Beschriftungen von Plänen oder Briefen häufig nicht lesbar (Abbildungen 70, 71, 77, 86-88, 112).
Im ersten Teil des Werkes hat Silke Herz eine fundierte Biografie der Kurfürstin vorgelegt und diese in Beziehung gesetzt zu vergleichbaren Adligen. Was bisher selten für Fürstinnen geleistet wurde, ist die Rekonstruktion ihrer Finanzen (83-103). Herz legt detailliert Einnahmen, Ausgaben und Besitz der Christiane Eberhardine dar, und zwar unterschieden nach ihren Rollen als Herzogin, Kurfürstin und Königin. Die auf die Wahl Augusts 1697 zum König von Polen erfolgende Rangerhöhung wirkte sich auch auf ihren Etat aus, zumal eine separierte Hofhaltung finanziert werden musste, da Christiane Eberhardine nicht ihrem Mann nach Polen folgte (87). Ebenso ausführlich wird der Hofstaat der Kurfürstin beschrieben, die Ämter und Funktionen ihres Personals vom Oberhofmeister bis zu den Hofzwergen (104-128).
Im zweiten Teil "Orte der fürstlichen Inszenierung" folgt das eigentliche Thema: die Wechselbeziehung zwischen sozialem Status, Zeremoniell und Raum, ablesbar an Lage, Größe und Ausstattung der fürstlichen Appartements. Eine Rekonstruktion der von Christiane Eberhardine bewohnten Häuser und Räume samt Ausstattung, Kunstwerken und Gärten, legt ihre Repräsentations- und Inszenierungsstrategien dar und gibt damit Auskunft über ihre zeremonielle Rolle. Eine aussagekräftige Interpretation ergibt sich jedoch erst aus dem Vergleich mit den Appartements ihres Mannes, weiterer sächsischer Fürstinnen und anderer Höfe, die immer wieder herangezogen werden.
Dazu war zunächst die Rekonstruktion aller fürstlichen Appartements im Dresdner Residenzschloss von 1693 bis 1727 notwendig - ein mühsames Unterfangen, da zum Zeitpunkt der Abfassung des Textes eine entsprechende bauhistorische Untersuchung noch nicht vorlag [2] und eine Nutzungsgeschichte bis heute ein Desiderat ist. Insgesamt konnte Silke Herz fünf Appartements für Christiane Eberhardine nachweisen, die sie teils gleichzeitig, teils nacheinander bewohnte und die je nach Funktion (offizielle Appartements, Sommergemächer) in unterschiedlichen Modi ausgestattet waren.
Den weiteren Wohn- und Paradeappartements in Dresdner Stadthäusern und im Torgauer Schloss Hartenfels ist ebenso jeweils ein eigener Abschnitt gewidmet wie temporären Wohnungen, etwa bei den regelmäßigen Messebesuchen im Apelschen Haus in Leipzig.
Die umfangreichste Darstellung befasst sich ist jedoch mit Schloss Pretzsch, das Christiane Eberhardine 1696 zur Nutzung erhielt und zunächst als Sommersitz nutzte. Anlässlich der Konversion des Kurprinzen zum Katholizismus zog sich die streng protestantische Kurfürstin-Königin immer mehr vom Dresdner Hof zurück, so dass sie 1718 die Erlaubnis erhielt, Pretzsch zu einer eigenen, wirtschaftlich unabhängigen Residenz auszubauen (303). Herz legt hier unter erstmaliger Auswertung archivalischer Quellen (238) eine detaillierte Rekonstruktion der Schlossanlage mit Innenausstattung samt Garten und Nebengebäuden vor. Die Fürstin wird als eigenständige Bauherrin und innovative Gartengestalterin, die eine der modernsten Gartenanlagen des Kurfürstentums schuf (286), vorgestellt.
Der dritte Teil des Buches "Kunst im Interieur als Medium der fürstlichen Repräsentation" behandelt die Innenausstattung der von Christiane Eberhardine genutzten Räumlichkeiten, wobei exemplarisch fünf Objektgruppen untersucht wurden: textile Wandbekleidungen, Silbermöbel und -gegenstände, Gemälde, Porzellan und Lackarbeiten.
Deutlich wird der ephemere Charakter der Raumausstattungen, insbesondere eine ständige Änderung der Raumtextilien als Kulisse für bestimmte Ereignisse und darauf abgestimmte Zeremonien. Der Silberbestand dokumentierte den fürstlichen Status: Mit der Erhebung zur Residenz musste auch Pretzsch (wie Dresden) mit den höchstrangigen Silbermöbeln ausgestattet werden (434), und die übrigen Silbergegenstände wurden modernisiert. Zur Neugestaltung gehörte auch die Anlage einer eigenen Ahnengalerie (457), wie sich aus der verdienstvollen Rekonstruktion des Pretzscher Gemäldebesitzes der Königin ergibt. Der Katalog zu 409 aus den Inventaren ermittelten Nummern samt Abbildungen der noch vorhandenen Gemälde ist komplett im Anhang abgedruckt.
Die Arbeit von Silke Herz vereint in hervorragender Weise Bau- und Nutzungsgeschichte mit Wirtschafts- und Sozialgeschichte, und dies alles ausgehend von Fragen der Gender Studies nach Repräsentationsstrategien und Gestaltungsmöglichkeiten von Fürstinnen. Zudem stellt sie in weiten Teilen eine Geschichte des sächsischen Hofes dar, da generelle Erkenntnisse etwa zu Baukosten, handwerklichem Aufwand oder Ausstattungsmodalitäten getroffen werden. Eine Interpretation des Gestaltungsaufwandes der Christiane Eberhardine wird stets im Vergleich mit Ihrem Gatten oder mit anderen Mitgliedern des sächsischen Hofes vorgenommen.
Spannend sind die zahlreichen Exkurse zu Themen, die bislang nur wenig erforscht sind. Die von Herz als "Appartement auf Reisen" bezeichnete Organisation von Mobiliar und Reisegepäck etwa verdeutlicht den enormen Aufwand, der betrieben werden musste, um unterwegs eine standesgemäße öffentliche Wirksamkeit zu erreichen. So besaß Christiane Eberhardine 1727 43 unterschiedlichste Kutschen und Wagen (235)!
Wenig bekannt ist auch über die temporäre textile Auskleidung von Räumen in Trauerfällen. Analog zur Trauerkleidung bestanden auch für Zimmer (der Staatsgemächer) hierarchisch abgestufte Vorgaben über Anzahl, Art und Weise und Dauer der mit Tuchen in Trauerfarben (weiß, violett oder schwarz) zu verhüllenden Räume (379). Silke Herz eröffnet hier mit Erkenntnissen zum sächsischen Hof einen Einstieg in weitere Forschungen.
Silbermöbel, ein zentrales Repräsentationsmedium, sind nie im Zusammenhang mit Frauen gesehen worden (432). Um Christiane Eberhardines Silberinterieur einordnen zu können, stellte Herz eine erste - noch recht kurze - Liste von Silbermöbeln im Besitz anderer Fürstinnen zusammen, aus der jedoch hervorgeht, dass sie zur Standardausstattung einer Fürstin gehörten (434).
Das fundierte Werk erscheint zu Recht in der Schriftenreihe zur Residenzkultur. Es bietet grundlegende Erkenntnisse zur sächsischen Hofkultur, und man wünscht sich ein ähnlich profundes Pendant zu August dem Starken.
Anmerkungen:
[1] Paul Haake: Christiane Eberhardine und August der Starke. Eine Ehetragödie, Dresden 1930.
[2] Die Dokumentation der Denkmalpflege erschien erst nach Drucklegung des hier zu besprechenden Werkes: Das Residenzschloss zu Dresden, Band 3: Von barocker Prachtentfaltung bis zum großen Schlossumbau im 19. Jahrhundert, hg. vom Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, Petersberg 2020.
Silke Herz: Königin Christiane Eberhardine. Pracht im Dienst der Staatsraison. Kunst, Raum und Zeremoniell am Hof der Frau Augusts des Starken (= Schriften zur Residenzkultur; 12), Berlin: Lukas Verlag 2020, 669 S., ISBN 978-3-86732-333-8, EUR 70,00
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