Die Wirtschaftsgeschichte Europas an der Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit wird häufig als Geschichte der Kommerzialisierung erzählt: Der Austausch über den Markt nahm eine immer wichtigere Rolle in den ökonomischen Beziehungen ein. Solche Prozesse wurden zunächst vor allem für den Gütermarkt herausgearbeitet; in jüngerer Zeit finden auch Faktormärkte für Kapital, Arbeit und Land größere Aufmerksamkeit. Bisher wurden vor allem Märkte in England und den Niederlanden entsprechend erforscht. Der anzuzeigende Sammelband erweitert die Perspektive der Forschung nun um Transaktionen von Land, die in verschiedenen zentraleuropäischen Regionen stattfanden (im heutigen Österreich, Tschechien, Südtirol und Italien).
Bisher leide die Forschung darunter, so arbeiten die Herausgeber in ihrer knappen, aber prägnanten Einleitung heraus, dass die Arbeiten zu Kommerzialisierungsprozessen gerade für Faktormärkte geographisch allzu beschränkt sei. Deshalb neige sie dazu, entweder westeuropäische Bedingungen zu verallgemeinern oder von grundsätzlichen Gegensätzen in der Entwicklung zwischen Nord- und Süd-, West- und Osteuropa auszugehen. Die Fallstudien aus Zentraleuropa sollen in Zukunft differenziertere Vergleiche ermöglichen. Darauf aufbauend könnte auch die Thesenbildung zu überwölbenden Themen wie etwa der Transformation vom Feudalismus zum Kapitalismus verfeinert werden. Der Band möchte dafür die Grundlage schaffen, nimmt solche Vergleiche oder weitergehende Thesenbildungen aber nicht selbst vor.
Die Kommerzialisierungserzählung bietet sich laut den Herausgebern besonders gut an, um die vormoderne Wirtschaftsgeschichte zu erfassen, da sie die Dynamik der wirtschaftlichen Beziehungen betont. Die beiden anderen großen Deutungsmodelle, die malthusianische Bevölkerungs- und die marxistische Klassentheorie, sehen die Zeit vor dem Kapitalismus hingegen im Wesentlichen als statisch an. Die Beiträge des Bandes zeigen, dass in den Transaktionen mit Land in verschiedenen Regionen Zentraleuropas von Statik in der Tat keine Rede sein kann. Nicht nur fand ein reger Handel mit Land statt, sondern dieser Handel konnte auch vielfältige Formen annehmen, die sich insbesondere nach den institutionellen Rahmenbedingungen richteten.
Johannes Kaska zeigt am Beispiel des Stifts Lambach in Oberösterreich in der Mitte des 15. Jahrhunderts, dass das Prinzip der Erbteilung nicht unbedingt eine Zersplitterung des Landes zur Folge haben musste. Vielmehr wurde das vererbte Land zwar besitzrechtlich geteilt, aber gemeinsam bewirtschaftet. Besitzrechte, landwirtschaftliche Nutzungsrechte und fiskalische Pflichten bestanden nebeneinander, ohne deckungsgleich werden zu müssen.
Thomas Frank untersucht ebenfalls die Verteilung von Land einer religiösen Institution, nämlich des Hospitals Santa Maria dei Battuti in Treviso um 1500. Die Fallstudie macht deutlich, dass neben den rechtlichen Normen auch die konkrete wirtschaftliche Lage einen wichtigen Einfluss darauf hatte, wie Land weitergegeben werden konnte: Als der Bevölkerungsdruck zunahm, verschlechterten sich die Bedingungen für die Pächter; viele konnten ihre Besitzungen nur kurz halten.
Mit dem Verhältnis zwischen Stadt und Land beschäftigen sich die Beiträge von Thomas Ertl und Tomáš Klír. Ertl arbeitet heraus, dass die Stadt Wien im späten Mittelalter als "Weinstadt" gelten kann: Die Hälfte der Wiener Haushalte besaß um 1400 Weinberge, die auch rege gehandelt wurden. Klír analysiert für den Stadtstaat Cheb in der Mitte des 15. Jahrhunderts, wie der Handel mit Land mit der Mobilität der Bevölkerung zusammenhing. Dabei kann er eine Aufwärts-Mobilität feststellen: Wenn Pächter umzogen, dann vor allem auf ein wertvolleres Stück Land.
Drei Beiträge von Samuel Nussbaum, Birgit Heinzle und Janine Maegraith kommen zu dem Ergebnis, dass sich kommerzielle und nicht-kommerzielle Beziehungen nicht leicht unterscheiden lassen. In der Forschung wird die Weitergabe innerhalb der Familie häufig als nicht-kommerzielle Transaktion vom Handel am Markt unterschieden. Heinzle zeigt am Beispiel von Aflenz und Veitsch in der oberen Steiermark, dass sich Transaktionen innerhalb und außerhalb der Familie bedingten: Weil das Erbe nicht geteilt wurde, konnten jüngere Geschwister nur Land erwerben, indem sie es kauften oder erheirateten. Die Erben des Landes wiederum mussten am Markt aktiv werden, um ihre Geschwister auszubezahlen.
Maegraith kommt für das Mühlwald-Tal in Südtirol ebenfalls zu dem Ergebnis, dass sich angesichts der Vielfalt an Landtransaktionen (Kauf, Tausch, Erbe, Schuldverhältnisse etc.) keine einfache Dichotomie zwischen kommerziell und nicht-kommerziell eröffnen lässt. Maegraith wie Nussbaum mahnen an, das konkrete institutionelle Setting für Transaktionen zu berücksichtigen. Für drei weinanbauende Dörfer nahe Wien kann Nussbaum etwa zeigen, dass nicht Familien, sondern städtische und klerikale Institutionen ihre Ländereien am längsten hielten.
Zum Abschluss bilanziert Emmanuel Huertas in seiner Zusammenschau der Beiträge, die zentraleuropäischen Landmärkte seien dynamischer gewesen als bisher angenommen. Das Verdienst des Bandes liege also darin, den Blick der Forschung zu Faktormärkten nach Zentraleuropa zu lenken und darauf hinzuweisen, dass auch hier vielfältige Transaktionen stattgefunden hätten.
Die Frage, wie diese Perspektiverweiterung die bisherigen Thesen zu Kommerzialisierung und wirtschaftlicher Entwicklung in Europa beeinflussen könnte, überlassen die Herausgeber und AutorInnen der zukünftigen Forschung. Das ist natürlich legitim, und der Band schafft eine hervorragende Ausgangsbasis für künftige Vergleiche, dennoch hätte die Leserin interessiert zu erfahren, wie die BeiträgerInnen selbst denn die Rolle ihrer zentraleuropäischen Beispiele in der weiteren europäischen Wirtschaftsgeschichte einschätzen, welche der in der Einleitung angesprochenen Verallgemeinerungen oder Simplifizierungen sie konkret auflösen konnten.
Auf jeden Fall arbeiten die einzelnen Fallstudien deutlich heraus, in wie vielen unterschiedlichen rechtlichen Formen und ökonomischen Transaktionen Land weitergegeben werden konnte. Den Band kann man insofern in gewisser Weise als Plädoyer dafür lesen, den historischen Kontext genau zu berücksichtigen: Ohne die Einbettung in soziale und politische Zusammenhänge lassen sich auch ökonomische Transaktionen kaum richtig verstehen.
Damit verschwinden in diversen Beiträgen die Unterschiede zwischen kommerziellen und nicht-kommerziellen Beziehungen. Wenn man beide kaum noch voneinander trennen kann, stellt sich allerdings die Frage, ob man trotzdem die These von der Kommerzialisierung aufrechterhalten kann. Wenn man marktförmige und nicht-marktförmige Transaktionen nicht sinnvoll unterschieden kann, kann man schließlich auch schwer argumentieren, dass die markt-förmigen Transaktionen zunahmen. Ein weiteres Potenzial des Bandes liegt also darin, die Kommerzialisierungsthese für Differenzierungen zu öffnen. Dem Buch ist deshalb eine rege Rezeption zu wünschen, denn die wichtigen Ergebnisse der Fallstudien können die größeren Diskussionen der Wirtschaftsgeschichte bereichern.
Thomas Ertl / Thomas Frank / Samuel Nussbaum (eds.): Busy Tenants. Peasant Land Markets in Central Europe (15th to 16th Century) (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte; 253), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2021, 259 S., 20 s/w-Abb., 44 Tbl., ISBN 978-3-515-13022-6, EUR 58,00
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