Seit einigen Jahren wendet sich die historische Forschung verstärkt internationalen Organisationen und transnationalen Kooperationen im Bereich der Menschenrechte zu. Dabei nimmt die Anti-Apartheid-Bewegung einen prominenten Platz ein, weil sie über besonders viele Länder verbreitet war und neben zivilgesellschaftlichen Gruppierungen in westlichen Ländern auch die von den sozialistischen Staaten getragenen Protest- und Boykottbewegungen umfasste. Während für etliche westliche Länder bereits Studien zur Anti-Apartheidbewegung vorliegen, war der Sportboykott bislang noch kaum in den Fokus der Forschung geraten. Die vorliegende Arbeit von Jan Hangebrauck, die als Dissertation an der Universität Bochum und an der Sporthochschule Köln entstand, schließt diese Lücke. Die Arbeit liegt im Trend einer transnationalen Forschung, da sowohl die internationalen Sportverbände wie das Internationale Olympische Komitee (IOC) als auch in vergleichender Perspektive die entsprechenden Akteure in der BRD, der DDR und Großbritannien behandelt werden. Großbritannien wird als Vorreiter der internationalen Anti-Apartheidbewegung mit gutem Grund einbezogen.
Hangebrauck hat sich für ein systematisches, kein chronologisches Vorgehen entschieden, auch wenn er in den einzelnen Kapiteln der Chronologie folgt. So kommt es zwangsläufig zu einigen inhaltlichen Wiederholungen, die aber dadurch wettgemacht werden, dass die jeweiligen Kapitel ihr Thema, etwa die Sportverbände oder die Medien, abgeschlossen behandeln. Deshalb kann das Buch auch als Handbuch und Nachschlagewerk zum Sportboykott benutzt werden. Neben der Auswertung von Archivmaterialien greift der Autor auf Interviews mit Schlüsselpersonen wie Sam Ramsamy zurück, wobei er die interviewten Personen und die angewandten Methoden ausführlich offenlegt (70ff.).
Die Arbeit konzentriert sich auf drei Sportarten, nämlich Fußball, Rugby und Leichtathletik. Fußball ist in Südafrika eine vor allem von der schwarzen Mehrheit betriebene Sportart, während die weiße, afrikaanssprachige Minderheit geradezu verrückt auf Rugby ist und darum durch einen Boykott dieser Sportart besonders hart getroffen werden konnte. Die Einbeziehung von Leichtathletik erlaubt eine Differenzierung nach Team- und Individualsportarten und den Wirkungen, die Boykotte jeweils entfalten konnten. Dabei richtet der Verfasser sein Augenmerk insbesondere auf den Wandel der Ausschluss- und Boykottmaßnahmen.
Das Buch ist in neun, teilweise umfangreiche, Kapitel gegliedert. Nach Vorwort und Einleitung stellt das dritte Kapitel die theoretischen Ansätze vor, deren sich der Autor bedient, um sein empirisches Material zu analysieren. Danach (Kap. 4) gibt er einen generellen Überblick über die Apartheid und geht auf die Apartheid in den drei untersuchten Sportarten genauer ein. Das fünfte Kapitel charakterisiert den sportbezogenen Protest in Südafrika selbst, in Großbritannien, der BRD und der DDR sowie das Protestverhalten internationaler Akteure wie des IOC, der internationalen Sportverbände sowie der Vereinten Nationen und auf dem afrikanischen Kontinent. Interessant ist dabei, wie bereits in den 1980er Jahren neue Differenzen entstanden, als einzelne Sportverbände angesichts kosmetischer oder tatsächlicher Reformen die Maßnahmen aufweichen wollten, was zu teilweise heftigen internen Auseinandersetzungen führte (265ff.), aber auch Kritik von Seiten des Afrikanischen Nationalkongresses und diesem nahestehender exilierter südafrikanischer Sportverbände hervorrief. Das sechste, mit fast 200 Seiten umfangreichste Kapitel behandelt dann im Einzelnen die Positionierung der Regierungen der genannten Länder, der nationalen Sportverbände sowie der Anti-Apartheidbewegung (251ff.), die als europaweite, transnationale und vernetzte Bewegung erfasst wird. Allerdings kommt der Verfasser zum Schluss, dass im Bereich des Sports der Einfluss der Anti-Apartheidbewegung eher begrenzt war und den Ausschlag viel mehr die Sportverbände selbst gaben (280, 357). Schließlich widmet sich ein eigener Abschnitt der Berichterstattung in den Medien der verschiedenen Länder.
Während bis dahin die Länder einzeln betrachtet wurden, wendet sich das siebte Kapitel den transnationalen Dimensionen zu, indem die Wechselwirkungen der internationalen Verbände, der UN, der Anti-Apartheidbewegung, aber auch der Ostblockstaaten und der Zeitungen genauer betrachtet werden. Im Fall der Zeitungen beschränkt sich die Untersuchung auf Stichproben (285ff.). Dies wird im folgenden, achten Kapitel vertieft, da hier gemeinsame Merkmale, Positionen und Wirkungen herausgearbeitet werden. Das neunte Kapitel fasst die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung zusammen und weist auf noch bestehende Desiderate und Themen für künftige Forschungen hin.
Die Maßnahmen gegen südafrikanische Sportler richteten sich in erster Linie gegen ihre Beteiligung an internationalen Wettkämpfen, woraus sich bereits der transnationale Charakter der Studie erklärt. Dabei eröffneten sich zwei Vorgehensweisen, nämlich der Ausschluss südafrikanischer Sportler und ihrer Verbände durch internationale und nationale Institutionen, entweder Staaten oder, häufiger, nationale und internationale Verbände. Die andere Vorgehensweise wurde primär von der Zivilgesellschaft getragen, im Fall der DDR aber von staatlicher Seite, und bestand im Boykott von Veranstaltungen, entweder durch SportlerInnen oder ZuschauerInnen. Die Unterscheidung von Ausschluss und Boykott ist für Hangebrauck grundlegend und leuchtet unmittelbar ein. Er kritisiert, dass in der bisherigen Literatur diese Differenzierung zu wenig vorgenommen wurde.
Der Autor stellt fest, dass die Proteste meistens friedlich verliefen, es aber auch gewalttätige Auseinandersetzungen gab, die als ziviler Ungehorsam etwa gegen die Tour der südafrikanischen Rugby-Nationalmannschaft, den Springboks, in Großbritannien durchgeführt wurden. Wie bei allen Anti-Apartheid-Aktionen bestand der Hauptunterschied zwischen der Bundesrepublik und der DDR darin, dass in letzterer der Staat die Aktivitäten initiierte und kontrollierte, während die Regierung der Bundesrepublik sich unter Verweis auf die Politisierung während der Olympischen Spiele 1936 aus dem Sport weitgehend heraushielt und die Proteste von der Zivilgesellschaft getragen wurden. Diese übte auch den notwendigen Druck aus, um die oft widerstrebenden und zögerlichen Sportverbände zu Maßnahmen zu bewegen, da deren Spitzenpersonal zuweilen aus Personen bestand, denen selbst rassistische Gesinnung nachgesagt wurde. Neben der Zivilgesellschaft waren es internationale Organisationen wie die UNO oder afrikanische Dachverbände, die den Boykott befürworteten und selbst praktizierten.
Auffallend ist bei der Untersuchung des Verhaltens staatlicher Institutionen die ausgesprochen konservative und manchmal geradezu politisch dubiose Haltung der deutschen Botschaft in Pretoria, die nicht nur abwiegelte, sondern zuweilen geradezu für die südafrikanische Seite Partei ergriff (176f.). Aufschlussreich ist auch der Abschnitt über die allmähliche Öffnung der weißen Sportverbände in Südafrika für eine verstärkte Kooperation mit schwarzen Sportlern und deren Aufnahme (193ff.).
Die Entscheidungsprozesse und Maßnahmen in den verschiedenen Ländern, den internationalen Verbänden sowie suprastaatlichen Organisationen wie der UNO werden so kenntnis- wie detailreich ausgebreitet, wodurch wichtige Unterschiede im Verhalten der untersuchten Länder und der Verbände der drei Sportarten, aber auch des Internationalen Olympischen Komitees sichtbar werden.
Hangebrauck verliert trotz der Konzentration auf den Sportboykott bzw. -ausschluss nicht den Blick für die größeren Kontexte, denn er weist wiederholt darauf hin, dass zur Abschaffung der Apartheid die "harten", d.h. wirtschaftlichen, Sanktionen eine größere Wirkung entfaltet hätten als der Sport. Allerdings zeigt er im Vergleich mit anderen sportbezogenen Boykottaktionen, dass der Boykott Südafrikas wegen des hohen Stellenwerts des Sports für die dortige weiße Bevölkerung auch nicht unterschätzt werden sollte. Doch können andere Boykott- und Ausschlussmaßnahmen, etwa gegen die reformierte weiße Kirche, ebenso als wirkungsvoll bezeichnet werden.
Ein paar kleinere Fehler sind festzustellen. So wird als Innenminister T.E. Jongens (86) genannt, der aber in Wirklichkeit T.E. Dönges war, dessen Name an anderen Stellen richtig angegeben wird. Viele Veränderungen fanden im Jahr 1985 statt, als die Maßnahmen gegen Südafrika generell verschärft wurden. Dies hing sicherlich, wie Hangebrauch völlig richtig hervorhebt, mit dem Ausnahmezustand und der verstärkten Repression in Südafrika zusammen. Doch wäre ein Hinweis auf die von der Regierung groß angekündigte "Rubikon"-Rede von Präsident Botha hier sinnvoll gewesen, in der er, statt die in Aussicht gestellten tiefgreifenden Reformen bekanntzugeben, sich auf kleinkarierte parteipolitische Polemik einließ.
Jan Hangebrauck hat eine umfassende, eine große Fülle an Material verarbeitende Dissertation vorgelegt, die mit Sicherheit für lange Zeit das Standardwerk zum Thema werden dürfte. Diese detailgenaue Studie, die auf einer großen Breite an Archivmaterial und einer Auswertung der Medienberichterstattung beruht, füllt eine Forschungslücke im aktuell intensiv beackerten Gebiet der Anti-Apartheidbewegung ebenso wie der internationalen Vernetzungen, Kooperationen und Boykotte jenseits der rein staatlichen Ebene, auch wenn letztere in die Studie einbezogen wurde. Vor allem besticht die Arbeit durch die genaue Abwägung des Einflusses der verschiedensten Akteure und die Berücksichtigung von historischen Veränderungen und Machtverschiebungen. Das Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Anti-Apartheidbewegung sowie der Sportpolitik und zeigt die Problematik und Erfolgschancen von Boykott- und Ausschlussverfahren im Sport an einem besonders herausragenden Beispiel.
Jan Hangebrauck: Sportbezogener Protest gegen die Apartheid in Südafrika 1956-1992, Baden-Baden: Academia 2020, 464 S., ISBN 978-3-8966-5909-5, EUR 84,00
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.