sehepunkte 23 (2023), Nr. 5

Martha Keil / Peter Rauscher / Sabine Ullmann (Hgg.): Juden und Krieg in der Frühen Neuzeit

Es galt in der Geschichtswissenschaft lange als Tatsache, dass aschkenasische Juden keine aktive Rolle in Kriegen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit eingenommen hätten. Auch die Jüdischen Studien verließen sich lange auf die Annahme, Juden sei das Tragen von Waffen verboten und somit ihre Teilnahme an militärischen Konflikten unmöglich gewesen. Stattdessen fokussierte man sich auf die Folgen von Kriegen. Juden waren keine Akteure, sondern Opfer von Pogromen und Zwangsmaßnahmen. Die josephinischen Reformen seien der erste Schritt in Richtung einer jüdischen Emanzipation und darauffolgenden Integration in die Armeen der Nationalstaaten gewesen. Doch auch hier wurde vermehrt eine Geschichte der Enttäuschung geschrieben, die ihr trauriges Ende in den zerschlagenen Hoffnungen des Ersten Weltkriegs fand. Mit diesem Narrativ bricht der vorliegende Sammelband, dessen Ausgangspunkt eine Tagung im Februar 2019 war.

Im Vorwort und auch in ihren Beiträgen weisen die HerausgeberInnen mehrfach darauf hin, dass sie einer kompletten Darstellung der Thematik und des Forschungsstandes nicht annähernd gerecht werden können und verkaufen sich und ihren Sammelband dabei weit unter Wert.

Der Beitrag der HerausgeberInnen Rauscher und Keil macht mit einer überblickshaften Darstellung der Thematik Juden und Militär in der Frühen Neuzeit den Auftakt und fungiert, wenn auch nicht namentlich, als Einleitung. Reichhaltige Anmerkungen und zusammenfassende Forschungsstände zu verschiedenen Zeitfenstern, Regionen und Lebensbereichen ermöglichen es auch fachfremden LeserInnen, sich in die Thematik einzuarbeiten und ihre Kenntnisse zu vertiefen.

Allen Beiträgen ist gemein, dass ihre AutorInnen äußerst großen Wert auf eine tragfähige Quellenbasis legen. Doch auch Themenbereiche, in denen Quellen rar gesät oder so weit verstreut sind, dass es noch genauerer Recherche bedarf, werden nicht ignoriert, sondern methodisch problematisiert. So befasst sich Monika Müller in ihrem Beitrag mit jüdischer Migration während des Dreißigjährigen Krieges am Beispiel des Fürstentums Pfalz-Neuburg. In ihrer Mikro-Studie zeichnet sie nach, wie man auch mit Quellen, deren Detailliertheit von Stadt zu Stadt schwankt, aber auch vom jeweiligen Verständnishorizont des Verfassers abhängt, zufriedenstellend arbeiten kann.

Lokalität, entweder als Ortsgebundenheit oder als Mobilität, ist eines der Felder, an denen sich der Sammelband abarbeitet. Hier gehen Monika Müller und Sabine Ullmann in ihren jeweiligen Beiträgen den Fragen nach, wie kriegerische Konflikte die Beziehungen zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen Stadt und Vorstadt beeinflussten und welche Chancen sich der jüdischen Bevölkerung boten. Natürlich werden Flucht und Vertreibung nicht vernachlässigt, doch das Bemühen der Autorinnen, Juden und Jüdinnen als Akteure zu begreifen, trägt hier Früchte.

Das thematische Hauptfeld des Sammelbandes ist die Verbindung zwischen Krieg und Wirtschaft. Damit bewegen sich die AutorInnen auf sicherem und bekanntem Boden, schaffen es aber dennoch mit einigen vermeintlich feststehenden Tatsachen aufzuräumen und neue Perspektiven auf altbekannte Persönlichkeiten wie den Kriegsfinancier Samuel Oppenheimer und die Vernetzung jüdischer Handelshäuser zu geben.

Ein Thema, das aus Sicht der Jüdischen Studien zu kurz kommt, ist die Verbindung von Religion und Krieg bzw. jüdischer Religionspraxis und Militärdienst. Lediglich der Beitrag von Carsten Wilke beschäftigt sich mit der Rekrutierungsarbeit von Rabbinern in den napoleonischen Kriegen. Dabei lenkt er den Fokus für ein Thema, das für die Zeit des Ersten Weltkrieges gut bearbeitet ist, auf einen weniger berücksichtigten Konfliktrahmen.

Es ist genau dieses Vorgehen, das den Sammelband so lesenswert und erkenntnisfördernd macht. Bekannte oder vermeintlich bekannte und vollständig bearbeitete Themen wie jüdische Kriegsfinanciers oder der Chancenreichtum des Söldnerlebens werden aufgegriffen und durch neue Quellenfunde erweitert oder durch neue methodische Zugänge ergänzt und mittels neuer Perspektiven angereichert.

Bemerkenswert ist zudem, dass alle Beiträge dem roten Faden des Bandes - Juden als Akteure, die ihr Leben auch in Kriegssituationen so aktiv wie möglich gestalten - folgen und sich in Qualität und Sorgfalt kaum unterscheiden. Die ausführlichen Anmerkungen, Literaturempfehlungen und die sorgsame Verortung in die historischen Kontexte machen diesen Sammelband nicht nur für MilitärhistorikerInnen und JudaistInnen lesenswert, sondern auch für Studierende in unteren Semestern zugänglich.

Rezension über:

Martha Keil / Peter Rauscher / Sabine Ullmann (Hgg.): Juden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Akteure - Erfahrungen - Strukturwandel (= Forschungen zur Geschichte der Juden. Abteilung A: Abhandlungen; Bd. 33), Wiesbaden: Harrassowitz 2022, XXII + 286 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-447-11857-6, EUR 58,00

Rezension von:
Tanja Zakrzewski
Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft, Universität Potsdam
Empfohlene Zitierweise:
Tanja Zakrzewski : Rezension von: Martha Keil / Peter Rauscher / Sabine Ullmann (Hgg.): Juden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Akteure - Erfahrungen - Strukturwandel, Wiesbaden: Harrassowitz 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 5 [15.05.2023], URL: https://www.sehepunkte.de/2023/05/37388.html


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