Es gibt wenige Bücher, über die die Aussage, sie seien zum rechten Zeitpunkt erschienen, so zutreffen dürfte, wie für "The Economic Weapon" von Nicholas Mulder. Seine an der Columbia University entstandene Dissertation beschäftigt sich über die Zeit vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs mit der Herausbildung von Wirtschaftssanktionen als Mittel des Krieges. Angesichts der westlichen Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine ist das natürlich ein höchst aktuelles Thema. Zugleich ordnet sich das Buch in eine wachsende Forschung zur International History ein, die sich mit der Lösung und Koordination internationaler - während der Zwischenkriegszeit vor allem: europäischer - Probleme beschäftigt und dabei die Rolle supranationaler Organisationen wie des Völkerbundes besonders hervorhebt.
Der Ausgangspunkt für die Debatte über Sanktionen stellte die alliierte Blockade während des Ersten Weltkriegs dar. Diese wurde bereits vor dem Krieg geplant und dann in seinem Verlauf sukzessiv ausgeweitet und verschärft. Eine besondere Herausforderung war es dabei, die neutralen Länder und Handelspartner der Mittelmächte "auf Linie" zu bringen. Insbesondere der Kriegseintritt der Vereinigten Staaten schuf die Voraussetzungen dafür, die Blockade effektiver zu machen und vorhandene Schlupflöcher zu beseitigen. Das gilt etwa hinsichtlich im Krieg neutraler Länder wie den Niederlanden oder Dänemark. Mulder wirft dabei - verglichen etwa mit Isabell Hulls "A Scrap of Paper" - einen eher kritischen Blick auf die alliierte Blockade und deren völkerrechtliche Legitimität. Jedoch stellt er zugleich fest, in welchem Maße die Blockade den Werkzeugkasten und die Begründungen schuf, um Sanktionen zu einem legitimen Mittel internationaler Reaktion auf militärische Konflikte zu machen.
Die Schärfung von Economic Weapons blieb auch nach dem Ersten Weltkrieg auf der Tagesordnung. Sie spielte beispielsweise bei verschiedenen militärischen Konflikten in Südosteuropa eine wichtige Rolle, nicht zuletzt aber auch, um die von den Deutschen zu leistenden Reparationszahlungen zu garantieren. Die sich zuspitzenden Konflikte um die Reparationen, die schließlich in der französisch-belgischen Besetzung des Ruhrgebiets 1923 mündeten, waren allerdings unter den europäischen Mächten stark umstritten. Schließlich stellte die Besetzung auch ein Problem für den Völkerbund dar, der eigentlich für sich in Anspruch nahm, Wirtschaftssanktionen als Antwort der Weltgemeinschaft auf Verletzungen des Völkerrechts durchzusetzen und sich nicht zum Werkzeug von Partikularinteressen zu machen.
Tatsächlich jedoch gewann der Völkerbund während der 1920er Jahre zunehmend an Gewicht - nicht zuletzt deswegen, weil seine Rolle als koordinierende wirtschaftliche Instanz durch zahlreiche Interventionen zur Währungsstabilisierung in Europa beträchtlich anwuchs. In seinem Rahmen wurden die wichtigsten zeitgenössischen Debatten geführt, wie Wirtschaftssanktionen sinnvoll durchgeführt werden konnten und wie sie sich so ausgestalten ließen, dass sie ihre volle Wirkungskraft entfalteten. Die Stunde des Völkerbunds als Sanktionsmacht sollte aber erst in den 1930er Jahren schlagen, als die japanische Annexion der Mandschurei 1932 sowie der italienische Einmarsch in Abessinien 1935 mit internationalen Wirtschaftssanktionen beantwortet wurden.
Das alles ging mit intensiven Debatten über die Ausgestaltung und Wirksamkeit von Wirtschaftssanktionen einher - verständlich angesichts der zunehmend angespannten außenpolitischen Lage während der 1930er Jahre. Die Autarkiepolitik des nationalsozialistischen Regimes verfolgte dabei nicht zuletzt die Absicht, sich gegen internationale Wirtschaftssanktionen zu wappnen. Dabei wurden auch früh bemerkenswerte Anstrengungen unternommen, sich etwa bei Energieträgern wie Öl von der Exportabhängigkeit zu befreien. In Frankreich zeigte das durchaus Wirkung und die Angst vor dem deutschen "Genie d'Ersatz" konnte dahin führen, die Sinnhaftigkeit von Wirtschaftssanktionen generell in Frage zu stellen. Gleichwohl sollten diese sich im Zweiten Weltkrieg wiederum als ein wichtiger Teil der Kriegsführung gegen die nationalsozialistische Aggression erweisen.
Insgesamt kann Mulders gelungene Studie zeigen, wie das Werkzeug der Wirtschaftssanktionen zunächst als Teil der modernen Kriegsführung im Ersten Weltkrieg entwickelt, dann aber mehr und mehr als Alternative zur direkten militärischen Intervention ausgestaltet wurde. Auf einer breiten Quellengrundlage beschreibt er die Debatten, Maßnahmen und Gegenmaßnahmen, die Wirtschaftssanktionen zu einem legitimen, durch die internationale Gemeinschaft gedeckten Politikinstrument machten, das bis heute von höchster Relevanz ist. Es zeigt, dass auch die Zweifel an der Wirksamkeit von Sanktionen keineswegs neu sind, sondern bereits in den 1920er Jahren heiß diskutiert wurden. Und schließlich werden immer wieder die Spannungen deutlich, zu denen die Anwendungen von Sanktionen in der internationalen Gemeinschaft führten, wo sich ganz unterschiedliche wirtschaftliche, politische und militärische Interessen überlagerten. All das macht Mulders Buch zu einem wichtigen Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte und Geschichte der internationalen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit.
Nicholas Mulder: The Economic Weapon. The rise of sancitions as a tool of modern war, New Haven / London: Yale University Press 2022, XIV + 434 S., ISBN 978-0-300-25936-0, EUR 32,50
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