In Zeiten, in denen Fragen von Identität und der Begründung kultureller Grenzziehungen über die verschiedenen historischen Disziplinen hinweg, vor allem aber in der Gesellschaft insgesamt, höchst kontrovers diskutiert werden, sind Differenzierungen durch einen frischen Blick auf vermeintlich Altbekanntes nötig. Dies leistet das vorliegende, hervorragend lesbare und sehr zugängliche Buch von Yaron Z. Eliav, Associate Professor of Rabbinic Literature and Jewish History of Late Antiquity an der University of Michigan in Ann Arbor. Schon Eliavs methodologische Reflektionen in der "Introduction" (1-17) lassen erkennen, dass es sich bei dem Thema des Buches nicht um eine Nischendiskussion handelt. In der Tat: Das vielfältige Spannungsfeld zwischen sozialen, politischen und religiösen Grenzziehungen in der römischen Antike lässt sich kaum detailgenauer und packender behandeln als anhand des Badhauses. Die Quellenlage hier ist sowohl archäologisch als auch literarisch besser als bei zahlreichen anderen, ähnlich zentralen Institutionen des "Roman way of life" (romanitas): "If you want to examine the ways people interacted with each other, and, in particular, how a segment of society engaged with the norms and the ways of the Romans, the public bathhouse offers an ideal place, a laboratory of sorts, to carry out those investigations" (3).
Wie die folgenden überaus informativen Kapitel zeigen, beherrscht Eliav diese Quellen souverän: In den drei Kapiteln des ersten Teils "Setting the Stage" (19-104) legt Eliav die Basis für seine Analyse (Kap. 1: "The Miracle of (Hot) Water: The Emergence of the Roman Public Bathhouse as a Cultural Institution", 21-43; Kap. 2: "A Literary Bathhouse: Realities and Perceptions at a Roman (Jewish) Public Bath", 44-76; Kap. 3: "Earliest Encounters: Archaeology, Scholarly Debate, and the Shifting Grounds of Interpretation", 77-103). Eliav weigert sich hierbei zu Recht, dem traditionellen "great divide" (9) zwischen der "world of the Rabbis" (cf. 17, 252f) und der sie umgebenden römischen Kultur zu folgen "as if they were two distinct, antagonistic entities". Er warnt davor, die jüdisch-orthodoxe Welt des 19./20. Jahrhunderts auf die Antike zurück zu projizieren, sondern fordert auf und hilft, auf die zahllosen Details und Zwischentöne zu hören, die uns lehren, dass palästinische und babylonische Rabbis in einem stetigen, keinesfalls immer konfliktfreien, aber durchwegs kreativen Dialog mit romanitas standen. Erstaunlich zum Beispiel, wie viele Details zur Architektur und Dekoration von Badhäuseren sich in der rabbinischen Literatur finden! Wie kann das sein, wenn Juden sich von ihnen fern gehalten hätten? Viel plausibler als binäre Antagonismen ist darum, was Eliav in Teil II "Filtered Absorption" (105-192) nennt und in drei weiteren Kapiteln anhand von besonders kontroversen Konfliktpunkten ausführt (Kap. 4: "A Sinful Place? Rabbinic Laws (Halakhah) and Feelings about the Public Bathhouse", 107-137; Kap. 5 "Tsni'ut (Rabbinic Modes of Modesty) in the Halls of Promiscuity: Mixed Bathing and Nudity in the Public Bathhouse", 138-160; Kap. 6: "The Naked Rabbi and the Beautiful Goddess: Engaging with Sculpture in the Public Bathhouse", 161-192). Teil III "Social and Cultural Textures" (193-251) umfasst die letzten beiden Kapitel und zeigt auf, wie verwoben rabbinische Auffassungen zur sozialer Etikette und Hierarchie mit denen ihrer nichtjüdischen Nachbarn waren (Kap. 7: "A Social Laboratory: Status and Hierachy in a Provincial Roman Bathhouse", 195-225) und dass beide Gruppen in ganz ähnlicher Weise mit den Tücken rutschiger Fussbodenfliesen umzugehen wussten (Kap. 8: "A Scary Place: The Perils of the Bath and Jewish Magic Remedies", 226-251).
So eröffnet Yaron Z. Eliavs Buch faszinierende neue Wege sowohl in die geistige und soziale Welt des antiken Judentums als auch in die römische Welt. Beide treten uns in sich wie auch im Umgang miteinander als viel vielfältigere und dynamischere, aufeinander bezogene und nicht gegeneinander abgeschlossenen Soziosphären gegenüber: "No longer must we view these cultures as hostile to one another" (253). Eliavs Modell der "filtered absorption" führt uns die ganze Bandbreite jüdischer Reaktionen zum Institut des Bades vor Augen: "Rabbis enthusiastically patronized the bathhouse and shared its amenities and pleasures [...]. Jews built public baths with no hesitation and rabbis frequented them with ease and comfort" (253). Die entscheidende Grundlage für diese Interpretation ist in der Tat, wie Eliav die jüdischen Quellen liest. Rabbinische Literatur sollte ihm zufolge auch von Althistorikern berücksichtigt werden, dann aber nicht als Zeugnis einer exklusivistischen und marginalen religiösen Gemeinschaft ausserhalb der Gesellschaft, als normative oder direkte Wiederspiegelungen vergangener gesellschaftlicher Reaitäten. Nimmt man rabbinische Literatur vielmehr als "voices of provincial locals often silenced in our pursuit of the empire" (254) ernst, dann unterstreicht sie gerade "diversity and disagreement": "Some [...] rabbis embraced, absorbed, and accepted it, while at the same time, they also rejected, reconfigured, and re-created" die Kultur des römischen Badhauses (253). Dank Eliav wird das Badehaus zur Metapher für römische Kultur insgesamt und ausgerechnet die uns oft als weltfremd geltenden antiken jüdischen Weisen zu ausgezeichneten Fremdenführern. Ein sehr lesenswertes und stimulierendes Buch!
Yaron Z. Eliav: A Jew in the Roman Bathhouse. Cultural Interaction in the Ancient Mediterranean, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2023, XV + 369 S., 27 s/w-Abb., ISBN 978-0-691-24343-6, USD 45,00
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